27.09.2011 Zivilrecht

OGH: Straßen ohne öffentlichen Verkehr – verbindliche von den Regeln der StVO abweichende Anordnung des Straßenerhalters gem § 1 Abs 2 StVO

Keinesfalls darf es vom Zufall abhängen, ob die Regelung einem Benützer zur Kenntnis gelangt; trifft dies zu, liegt keine verbindliche Anordnung des Straßenerhalters vor, sodass die Regeln der StVO anzuwenden sind


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Straßen ohne öffentlichen Verkehr, Straßenerhalter, verbindliche von den Regeln der StVO abweichende Anordnung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1 StVO

GZ 2 Ob 227/10m, 30.08.2011

 

OGH: Gem § 1 Abs 2 StVO gilt dieses Bundesgesetz für Straßen ohne öffentlichen Verkehr insoweit, als andere Rechtsvorschriften oder die Straßenerhalter nichts anderes bestimmen. Die Befugnisse der Behörden und Organe der Straßenaufsicht erstrecken sich auf diese Straßen nicht.

 

Mit dem Begriff „bestimmen“ wird zum Ausdruck gebracht, dass der Straßenerhalter mit Wirkung für alle befugten Benützer einer Verkehrsfläche iSd § 1 Abs 2 StVO auch eine von den Regeln der StVO abweichende Anordnung treffen kann. Dabei handelt es sich um keine hoheitlich verfügte Verordnung einer Verwaltungsbehörde, sondern um eine privatautonome Verkehrsregelung, der mit Rücksicht auf die gesetzliche Ermächtigung gleichwohl rechtsverbindliche Wirkung zukommt. Um einer derartigen Anordnung, die sich auch auf die Geltung der StVO beschränken kann, verbindliche Wirkung zu verleihen, kommt daher zwar keine - behördlichen Verordnungen vorbehaltene - Kundmachung nach § 44 StVO in Betracht; es ist aber erforderlich, dass die Anordnung jedem Benützer der Straße möglichst deutlich und unmissverständlich, etwa durch Straßenverkehrszeichen, Verkehrseinleiteinrichtungen, sonstige Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs oder durch die Ausfolgung von schriftlichen Hinweisen zur Kenntnis gebracht wird. Keinesfalls darf es vom Zufall abhängen, ob die Regelung einem Benützer zur Kenntnis gelangt. Trifft dies zu, liegt keine verbindliche Anordnung des Straßenerhalters vor, sodass die Regeln der StVO anzuwenden sind.

 

Nach den maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichts war bei der Einfahrt zum Betriebsgelände mittels Vorschriftszeichens eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h angeordnet (§ 52 lit a Z 10a StVO) und eine Zusatztafel mit der Aufschrift „Hier gilt die StVO“ angebracht. Die von der StVO abweichende Vorrangregel war hingegen „beim Informationsbereich im Gebäudeinneren“ als Rundschreiben ausgehängt.

 

Von der verbindlichen Anordnung einer Ausnahme von der StVO kann unter diesen Umständen keine Rede sein. Dazu hätte es nach den obigen Kriterien einer Kundgabe des Straßenerhalters mit einem dem Hinweis auf die Geltung der StVO vergleichbaren Auffälligkeitswert bedurft. Wie bereits das Erstgericht insoweit völlig zutreffend hervorgehoben hat, kann nicht erwartet werden, dass ein das Betriebsgelände befugt benützender Kraftfahrer von sich aus nach einer den klaren Hinweis beim Einfahrtsbereich („Hier gilt die StVO“) wieder abändernden Regelung forscht. Die Beweislast für die Geltung der behaupteten Ausnahmeregelung und deren Erkennbarkeit traf die sich darauf berufenden beklagten Parteien. Dieser Beweis ist ihnen nicht gelungen. Es galten somit die Vorrangregeln der StVO.

 

Vor diesem Hintergrund ist aber die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Erstbeklagte, der von einem Abstellplatz trotz diverser Sichtbehinderungen rückwärts in die Zufahrtsstraße einfuhr und dort mit dem im Fließverkehr befindlichen Klagsfahrzeug kollidierte, habe trotz Kenntnis des Rundschreibens keinesfalls darauf vertrauen dürfen, dass ihm der „unbedingte“ Vorrang zukommen würde, jedenfalls vertretbar.