25.10.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Honoraransprüche des Klagevertreters bei Klage auf wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen – Bemessungsgrundlage nach § 9 RAO oder Begrenzung iSd § 77 Abs 2 ASGG?

Für Klagen des Versicherten auf wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen bildet der in § 77 Abs 2 ASGG genannte Betrag von 3.600 EUR die Bemessungsgrundlage; aus Rechtsschutzerwägungen und entsprechend dem Normzweck des § 77 Abs 2 ASGG sind insofern die Berechnungsregeln des RATG telelogisch zu reduzieren


Schlagworte: Sozialrechtssachen, wiederkehrende Leistung, Invaliditätspension, Kostenersatzansprüche, Rechtsanwalt, Honoraranspruch, Begrenzung
Gesetze:

§ 77 ASGG, § 9 RAO, § 7 ABGB

GZ 7 Ob 162/11s, 28.09.2011

 

Der Kläger brachte - vertreten durch den Klagevertreter - im Mai 2010 die Klage gegen die Pensionsversicherungsanstalt auf Gewährung einer Invaliditätspension ein. Für diese Klage machte der Klagevertreter dem Kläger gegenüber einen Honoraranspruch auf Basis einer Bemessungsgrundlage des 3-Fachen der eingeklagten Jahresinvaliditätspension von insgesamt 78.640,80 EUR geltend und verlangte dessen Bezahlung.

 

Die beklagte Versicherung erteilte dem Kläger für dieses Verfahren Rechtsschutzdeckung unter Berufung darauf, dass gem § 77 Abs 2 ASGG für die Berechnung des tarifmäßigen Honorars des Klagevertreters die Bemessungsgrundlage von 3.600 EUR maßgeblich sei.

 

OGH: § 77 ASGG („Kostenersatzansprüche“) betrifft unmittelbar nur das „Außenverhältnis“ in einer Sozialrechtssache zwischen einem Versicherten und einem Versicherungsträger. Hat die Rechtsstreitigkeit eine Feststellung oder einen Anspruch des Versicherten auf eine wiederkehrende Leistung - wie hier die Klage des Klägers auf Invaliditätspension - zum Gegenstand, so ist gem § 77 Abs 2 ASGG - auch wenn der Versicherte nur teilweise obsiegt - bei der Festsetzung seines Kostenersatzes von einem Betrag von 3.600 EUR auszugehen. Nach den Gesetzesmaterialien zur Stammfassung wirke diese Bestimmung „grundsätzlich kostenreduzierend“ und werde zum einen als „sachgerechte Modifikation des § 58 Abs 1 JN und zum anderen aus Gründen der Vollziehbarkeit vorgeschlagen“. Durch § 77 Abs 2 ASGG soll die Kostenlast insbesondere bei Pensions- und Rentenstreitigkeiten in Grenzen gehalten werden.

 

Klicka vertritt die Ansicht, dass sich bei wiederkehrenden Sozialleistungen aus § 77 Abs 2 ASGG nicht nur der Kostenersatzanspruch des Versicherten ergebe, sondern dass sich aus Rechtsschutzerwägungen auch der gesetzliche Tarifanspruch seines Rechtsanwalts nach dem dort genannten Betrag richte. Wenn der Versicherte eine wiederkehrende Geldleistung beziffert einklage und (voll oder teilweise) obsiege, habe er einen Ersatzanspruch, der auf der Basis von (nunmehr) 3.600 EUR zu berechnen sei. Im Ergebnis bedeute dies aber nichts anderes, als dass der Versicherte regelmäßig den Großteil seiner Kosten selbst zu tragen habe, obwohl ihm keine Überklagung vorzuwerfen sei. Denn nach dem sonst für sein Innenverhältnis zum Rechtsanwalt maßgeblichen RATG (§§ 1, 3, 4, 9) wäre die Bemessungsgrundlage des gesetzlichen Entlohnungsanspruchs des Anwalts (zumindest) das Dreifache der Jahresleistung des begehrten Betrags. Dass der Versicherte für den Restbetrag gegenüber seinem Rechtsanwalt selbst aufkommen müsse, sei ein nicht leicht einsichtiges Ergebnis, zumal der Gesetzgeber als ein Ziel des ASGG auch den Abbau der „Kostenbarriere soweit als möglich“ nenne. Dieses Ziel wäre bei dieser Sicht nicht erreicht; die Kostenbarriere wäre größer als in jedem anderen Prozess. Wolle man der Zielsetzung des Gesetzes zum Durchbruch verhelfen, müsse man den Inhalt des § 77 Abs 2 ASGG auf das Innenverhältnis des Versicherten zu seinem Rechtsanwalt übertragen. Dies führe zu einer Reduktion der Berechnungsregeln des RATG (§§ 3, 4, 9) dahingehend, dass für Klagen auf wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen der in § 77 Abs 2 ASGG genannte Betrag die Bemessungsgrundlage bilde. Der Rechtsanwalt bekäme in allen Prozessen über wiederkehrende Sozialleistungen gesetzliches Honorar auf Basis von (nunmehr) 3.600 EUR.

 

Der erkennende Senat erachtet die Rechtsansicht Klickas für überzeugend und schließt sich ihr an. Zutreffend argumentiert das Berufungsgericht, dass auch Ausnahmeregelungen - hier die Bemessung des Kostenersatzes gem § 77 Abs 2 ASGG - im Rahmen ihrer engeren ratio legis der ausdehnenden Auslegung und auch der Analogie fähig sind. Im Hinblick auf das Ziel der Kostenersatzbestimmung des § 77 ASGG und insbesondere des Abs 2 - Abbau der Kostenbarriere für den Sozialversicherten und grundsätzliche Reduktion der Kosten - würde dieser Gesetzeszweck durch einen Honoraranspruch des den Versicherten vertretenden Rechtsanwalts auf der höheren Bemessungsgrundlage gem § 9 Abs 1 RATG oder - wie vom Kläger ebenfalls argumentiert - nach § 14 lit a RATG konterkariert. Diese offensichtlich planwidrige Lücke kann aber für Klagen des Versicherten auf wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen durch analoge Heranziehung des in § 77 Abs 2 ASGG genannten Betrags von 3.600 EUR als gesetzlicher Tarifanspruch des eigenen Rechtsanwalts geschlossen werden. Aus Rechtsschutzerwägungen und entsprechend dem Normzweck des § 77 Abs 2 ASGG sind insofern die Berechnungsregeln des RATG telelogisch zu reduzieren.