01.11.2011 Zivilrecht

OGH: Adoption gem §§ 179 ff ABGB – verliert die Mutter ihr Zustimmungsrecht iSd § 181 Abs 1 ABGB, wenn sie sich nicht innerhalb von sechs Monaten nach Auffinden des Kindes in der Babyklappe meldet?

Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Adoption sind nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz zu beurteilen; auch der Kreis der Zustimmungsberechtigten bestimmt sich (daher) nach diesem Zeitpunkt


Schlagworte: Familienrecht, Adoption, Bewilligung, Eltern, Zustimmung, Babyklappe, keine Meldung innerhalb von sechs Monaten nach Auffinden des Kindes
Gesetze:

§§ 179 ff ABGB, § 87 AußStrG

GZ 4 Ob 148/11k, 19.10.2011

 

E***** E***** H***** wurde am 25. Juli 2010 in der „Babyklappe“ des Landeskrankenhauses Salzburg aufgefunden. Mit der Obsorge ist kraft Gesetzes der Jugendwohlfahrtsträger betraut (§ 211 ABGB). Seit dem 24. September 2010 lebt E***** im Haushalt von B***** und A***** H*****, die sie unentgeltlich betreuen und adoptieren wollen. Zu diesem Zweck schlossen sie am 4. Februar 2011 mit dem Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Kindes einen Vertrag über die Annahme an Kindes statt.

 

Am 1. März 2011 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger beim Erstgericht die Bewilligung der Adoption. Am 16. März 2011 langte dort jedoch eine Eingabe von E***** P***** ein, in der sie die Mutterschaft anerkannte und ausdrücklich erklärte, einer Adoption nicht zuzustimmen. Aufgrund eines gerichtsmedizinischen Gutachtens steht fest, dass sie tatsächlich die Mutter von E***** ist.

 

OGH: Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Adoption sind nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz zu beurteilen; auch der Kreis der Zustimmungsberechtigten bestimmt sich (daher) nach diesem Zeitpunkt. Ein Grund, die Voraussetzungen für den Entfall des Zustimmungserfordernisses nach § 181 Abs 2 ABGB für einen anderen Zeitpunkt zu beurteilen, ist nicht erkennbar.

 

Für dieses Ergebnis spricht auch § 87 Abs 1 AußStrG. Danach kann eine Zustimmung zur Adoption bis zur Entscheidung erster Instanz widerrufen werden. Auch diese Bestimmung setzt voraus, dass für die Beurteilung der Adoptionsvoraussetzungen der Entscheidungszeitpunkt maßgebend ist. Zudem wäre es ein untragbarer Wertungswiderspruch, wenn die Mutter zwar eine förmlich erteilte Zustimmung mit der Wirkung widerrufen könnte, dass die Adoption (vorbehaltlich des § 181 Abs 3 ABGB) nicht bewilligt werden dürfte, ihr unbekannter Aufenthalt von sechs Monaten aber für alle Zukunft zum Wegfall des Zustimmungserfordernisses führte. Anders gewendet: Eine Mutter, die ihr Kind - regelmäßig in einer psychischen Ausnahmesituation - anonym in einer Babyklappe deponiert und damit faktisch zur Adoption freigibt, kann nicht schlechter stehen als eine Mutter, die ihr Kind nach reiflicher Überlegung einer Pflegefamilie überlässt und dabei in öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunde (§ 86 Abs 1 AußStrG) der Adoption zustimmt.

 

Die Entscheidung 9 Ob 68/06z steht dieser Auffassung nicht entgegen. Dort hat der OGH zwar ausgeführt, dass sich Eltern, insbesondere die Mutter, nach einer anonymen Geburt binnen sechs Monaten melden müssten, wenn sie doch den Wunsch hätten, selbst für das Kind zu sorgen. Die Frage, was bei einer Meldung nach Ablauf von sechs Monaten, aber vor Bewilligung der Adoption gelte, war dort aber nicht zu klären. Denn als sich die Mutter in diesem Verfahren gemeldet hatte, war die Adoption bereits bewilligt gewesen. Die hier zu beurteilende Situation hat der damals erkennende Senat offenkundig nicht in seine Erwägungen einbezogen.

 

Die Wahleltern zeigen keine zwingenden Gründe auf, die Rechtslage anders zu beurteilen. Vor Bewilligung der Adoption besteht kein rechtlich geschütztes Vertrauen auf deren Zustandekommen. Das mag im Einzelfall für präsumtive Wahleltern, die schon eine innige Beziehung mit dem Kind aufgebaut haben, nur schwer verständlich sein, folgt aber zwingend aus der gesetzlichen Regelung, die neben dem Adoptionsvertrag eben auch eine gerichtliche Bewilligung vorsieht. Eine „jahrelange“ Rechtsunsicherheit ist damit nicht verbunden. Wurde die Adoption bewilligt, so könnte ein übergangener Elternteil insofern nur mehr mit Rekurs geltend machen, dass die Voraussetzungen des § 181 Abs 2 ABGB nicht vorlagen. War sein Aufenthalt tatsächlich sechs Monate - qualifiziert - unbekannt, wird er damit scheitern. Der mit dem Bewilligungserfordernis notwendigerweise verbundene Schwebezustand muss wegen der grundrechtlich geschützten Rechtsstellung der leiblichen Eltern jedenfalls hingenommen werden.