08.11.2011 Zivilrecht

OGH: § 140 ABGB – Bemessungsgrundlage iZm Privatentnahmen eines Selbständigen bzw Kreditaufnahme / Überziehung des Girokontos eines Unselbständigen

Eine Hinzurechnung zur Unterhaltsbemessungsgrundlage kann grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn tatsächlich Vermögen vorhanden ist, das „flüssig“ gemacht werden kann, nicht aber dann, wenn die Erhöhung der liquiden Mittel für die Bestreitung des Lebensbedarfs durch das Eingehen von Schulden finanziert wird


Schlagworte: Familienrecht, Unterhalt, Bemessung, selbständig / unselbständig Erwerbstätiger, Privatentnahmen, Privatkredit, Überziehung des Girokontos, Eingriff in die Vermögenssubstanz
Gesetze:

§ 140 ABGB

GZ 2 Ob 115/11t, 29.09.2011

 

OGH: Bemessungsgrundlage für die Unterhaltsverpflichtung ist nach einhelliger Auffassung die Summe aller tatsächlichen in Geld oder geldwerten Leistungen erzielten Einkünfte, über die der Unterhaltspflichtige verfügen kann. Das ist bei unselbständig Erwerbstätigen das Nettoeinkommen, also das Bruttogehalt einschließlich Überstundenentlohnung und Sonderzahlungen vermindert um Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge. Beim selbständig Erwerbstätigen ist dagegen nicht der steuerliche Reingewinn maßgebend, sondern der tatsächlich verbleibende. Insgesamt ist das Gesamteinkommen des Unterhaltspflichtigen nach Abzug von Steuern und öffentlichen Abgaben vom Einkommen und die sich daraus ergebende tatsächliche wirtschaftliche Lage entscheidend, somit die Summe der dem Unterhaltsschuldner tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel.

 

Die Judikatur, wonach ein Unterhaltsverpflichteter, der die Kosten seiner Lebensführung teilweise auch aus der Substanz seines Vermögens deckt, den unterhaltsberechtigten Ehepartner an diesem „Lebenszuschnitt“ angemessen teilhaben lassen muss, differenziert nicht danach, ob der Unterhaltspflichtige selbständig oder unselbständig erwerbstätig ist. Bezieht der Unterhaltspflichtige sein Einkommen teilweise aus Einkünften aus selbständiger und teilweise aus unselbständiger Tätigkeit und erhöht er das aus dem Reingewinn seines Unternehmens resultierende Einkommen durch Privatentnahmen, liegt darin eine Gestaltung der Lebensverhältnisse, an der auch seine Unterhaltspflichten zu messen sind. Auch diese Privatentnahmen sind daher bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Ein solches Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse stellt eine privatautonome Gestaltung der Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen dar, an denen auch die angemessenen Bedürfnisse seiner Kinder zu messen sind.

 

Welche Umstände den Unternehmer veranlasst haben höhere Privatentnahmen zu tätigen, ist nach der Judikatur nur insoweit relevant, als es um die Frage der Art ihrer Verwendung geht. Werden Privatentnahmen der privaten Lebensführung zugeführt, sind sie der Unterhaltsbemessung zugrundezulegen. Soweit sie dagegen der Sicherung und Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz des Unterhaltspflichtigen dienen oder sonstige betriebliche Aufwendungen darstellen, vermindern sie wie sonstige Betriebsausgaben die Unterhaltsbemessungsgrundlage.

 

Greift der Unterhaltspflichtige also sein Vermögen an, um damit die Kosten der von ihm gewählten Lebensführung zu decken, ist insoweit auch das Vermögen in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Aus der Überziehung eines Girokontos oder aus einem Privatkredit „lukrierte“ Einnahmen eines Unselbstständigen sind aber nicht mit Privatentnahmen eines selbständig Erwerbstätigen gleichzusetzen, mit denen der Stamm des Vermögens (nämlich die Unternehmenssubstanz) angegriffen wird. Beträge aus einer solchen Kontoüberziehung bzw einem Privatkredit sind daher grundsätzlich ebenso wenig in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, wie die spätere Rückführung dieser Beträge eine die Unterhaltsbemessungsgrundlage verringernde Abzugspost darstellt.

 

In 6 Ob 119/98p wurde zum Einkommen selbständig Erwerbstätiger dargelegt, dass Privatentnahmen, die höher sind als der Reingewinn, einen Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unterhaltsschuldners darstellen. Ein Unterhaltspflichtiger, der aus dem verlustbringenden Unternehmen Privatentnahmen zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards tätige, müsse auf dieser Grundlage auch die Unterhaltsberechtigten an seinen Lebensverhältnissen teilhaben lassen. Es sei dabei kein Unterschied zu machen, ob der Unterhaltsschuldner die den Reingewinn des Unternehmens übersteigenden Privatentnahmen aus Reserven oder Rückstellungen finanziere oder durch eine Erhöhung der Bankschulden. Auch in diesem Fall seien die Privatentnahmen der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzuzurechnen.

 

Dem ist nicht uneingeschränkt zu folgen.

 

Die Begründung für die Hinzurechnung von Privatentnahmen aus einem Unternehmen des selbständig tätigen Unterhaltspflichtigen zur Unterhaltsbemessungsgrundlage wird - wie schon gesagt - von der Judikatur darin gesehen, dass darin ein Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unterhaltspflichtigen liegt, die ebenso wie die Verwertung von sonstigem Vermögen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen seinen Unterhaltsberechtigten zugute kommen soll. Unabhängig davon, ob der Unterhaltspflichtige sein Einkommen aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit bezieht, soll den Unterhaltsberechtigten daher ein Anteil an jenem Einkommen zur Verfügung gestellt werden, dessen sich der Unterhaltspflichtige bedienen kann. Basierend auf diesem Gedanken kann es aber keinen Unterschied machen, ob der Eingriff in die Vermögenssubstanz beim selbständig oder unselbständig Tätigen erfolgt.

 

Aus dem Gedanken des Eingriffs in die Vermögenssubstanz und der Flüssigmachung dieses Vermögens für den Lebensbedarf folgt weiters, dass eine Hinzurechnung zur Unterhaltsbemessungsgrundlage grundsätzlich nur dann erfolgen kann, wenn tatsächlich Vermögen vorhanden ist, das „flüssig“ gemacht werden kann, nicht aber dann, wenn die Erhöhung der liquiden Mittel für die Bestreitung des Lebensbedarfs durch das Eingehen von Schulden finanziert wird.

 

Auch Privatentnahmen eines selbständig Erwerbstätigen aus seinem Unternehmen, die durch eine Erhöhung der Bankverbindlichkeiten des Unternehmens finanziert werden, sind nur solange ein Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unternehmens, als der Erhöhung der Bankverbindlichkeiten ein Vermögen gegenübersteht. Ist dies nicht (mehr) der Fall, ist die Situation gleich wie jene des (vermögenslosen) unselbständig Erwerbstätigen, der seinen Lebensunterhalt durch Überziehung seines Girokontos oder Aufnahme eines Privatkredits finanziert. In beiden Fällen ist mangels gegenüberstehenden Vermögens ein Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht (mehr) möglich.

 

Umgekehrt wird auch beim unselbständig Erwerbstätigen, der über Vermögen verfügt, aber statt dieses anzugreifen einen Privatkredit aufnimmt, in unterhaltsrechtlicher Sicht ein Eingriff in seine Vermögenssubstanz vorliegen und daher ein derartiger Mittelzufluss der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzuzurechnen sein.

 

Soweit also im vorliegenden Fall die das durchschnittliche Einkommen übersteigenden „Privatentnahmen“ durch vorhandenes Vermögen gedeckt waren und daher in Summe gesehen zu einer Verringerung dieses Vermögens führten, werden sie im fortgesetzten Verfahren der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzuzurechnen sein, soweit dies nicht der Fall sein sollte, dagegen nicht. Die Behauptungs- und Beweislast dafür trifft den Unterhaltspflichtigen.