22.11.2011 Verfahrensrecht

OGH: Zulässigkeit der Nebenintervention im Rechtsmittelverfahren

Über den Zurückweisungsantrag hat das Gericht zu entscheiden, bei dem das Verfahren anhängig ist und der Beitritt erklärt wurde; diesem Gericht obliegt damit auch die Schlüssigkeitsprüfung des behaupteten Interventionsinteresses; tritt der Nebenintervenient erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist für die Hauptpartei dem Verfahren bei, kann er selbst dann kein eigenes Rechtsmittel mehr erheben, wenn die Hauptpartei ihrerseits rechtzeitig ein Rechtsmittel erhoben hat


Schlagworte: Nebenintervention, Zulässigkeit Rechtsmittelverfahren, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, Revision
Gesetze:

§§ 17 ff ZPO, §§ 502 ff ZPO

GZ 3 Ob 45/11f, 12.10.2011

 

OGH: Funktionelle Zuständigkeit:

 

Wird der Beitritt erst im Rechtsmittelverfahren erklärt, stellt sich die Frage, welches Gericht zuständig ist, die nach neuerer Auffassung gebotene amtswegige Prüfung bestimmter Interventionsvoraussetzungen vorzunehmen bzw über den von einer Partei gestellten Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention zu entscheiden.

 

Das Gesetz selbst stellt seine Regelungen erkennbar auf das erstinstanzliche Verfahren ab, enthält aber zu der hier maßgeblichen Frage keine ausdrückliche Aussage.

 

Nach hA hat über den Zurückweisungsantrag das Gericht zu entscheiden, bei dem das Verfahren anhängig ist und der Beitritt erklärt wurde. Diesem Gericht obliegt damit auch die Schlüssigkeitsprüfung des behaupteten Interventionsinteresses.

 

Dem steht § 509 Abs 2 ZPO nicht entgegen. Aus dieser Bestimmung ist nicht der Umkehrschluss zu ziehen, dass es dem OGH verwehrt wäre, eine mündliche Verhandlung über einen von einer Partei gestellten Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention anzuberaumen. So wurde bereits über den Wortlaut des § 509 Abs 2 ZPO hinaus die Möglichkeit der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung auf Rekurse gegen in zweiter Instanz ergangene Beschlüsse auf Urteilsaufhebung nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO erweitert.

 

Da im Anlassfall der Beitritt nach Erhebung der außerordentlichen Revision und deren Vorlage an den OGH erklärt wurde, ist somit der OGH für die Prüfung der Beitrittsvoraussetzungen zuständig.

 

Zur Zulässigkeit der Nebenintervention im Revisionsstadium:

 

Gem § 18 Abs 1 ZPO kann die Nebenintervention in jeder Lage des Verfahrens bis zu dessen rechtskräftiger Erledigung durch Zustellung eines Schriftsatzes an beide Parteien erfolgen. Sie wird mit Zustellung des Beitrittsschriftsatzes rechtswirksam.

 

Aus diesem Wortlaut leiten LuRsp ab, dass der Beitritt auch erst im Revisionsverfahren erklärt werden kann.

 

Es bedarf zunächst einer Auseinandersetzung damit, ob dem Nebenintervenienten die Berufungsentscheidung - mit der Konsequenz der Eröffnung einer eigenen Revisionsfrist - zuzustellen ist.

 

Unzweifelhaft ist, dass die Erhebung einer Revision, wenn der Beitritt erst zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem für die Hauptpartei die Rechtsmittelfrist bereits ungenützt verstrichen ist, nicht mehr möglich ist: Zwar sind dem Nebenintervenienten seit der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 145/02h Ausfertigungen der Entscheidung wie der Hauptpartei zuzustellen, wobei für ihn die Rechtsmittelfrist, auch wenn er erst im Rechtsmittelverfahren beitrat, mit dem Zeitpunkt dieser Zustellung beginnt. In der Entscheidung des verstärkten Senats wurde allerdings ausdrücklich betont, dass dieser Grundsatz nur gilt, wenn zum Zeitpunkt des Beitritts die Rechtsmittelfrist für jene Partei, auf deren Seite der Nebenintervenient beitrat, noch nicht abgelaufen ist.

 

Ist hingegen die der Hauptpartei eröffnete Rechtsmittelfrist im Beitrittszeitpunkt bereits verstrichen, muss der Nebenintervenient die dadurch bestimmte Verfahrenslage hinnehmen. Das ergibt sich aus § 19 Abs 1 ZPO, wonach der Nebenintervenient den Rechtsstreit in der Lage annehmen muss, in welcher sich derselbe zur Zeit seines Beitritts befindet.

 

Die Aussage, dass nach Ablauf der der Hauptpartei offen stehenden Rechtsmittelfrist vom Nebenintervenienten abgegebene Erklärungen im Rechtsmittelverfahren unbeachtlich sind, es sei denn, die Hauptpartei habe selbst rechtzeitig ein Rechtsmittel ergriffen (Schubert in Fasching/Konecny² § 18 ZPO Rz 3), ist nicht dahin zu verstehen, dass ein erst nach Ablauf der Rechtsmittelfristen für die Hauptpartei erklärter Beitritt, wenn die Hauptpartei selbst rechtzeitig ein Rechtsmittel erhob, zur Verpflichtung der Zustellung der von der Hauptpartei angefochtenen Entscheidung an den Nebenintervenienten und damit zur Auslösung einer ihm eröffneten Rechtsmittelfrist führt. Die gegenteilige Beurteilung würde mit dem dargestellten Grundsatz des § 19 Abs 2 ZPO in Widerspruch stehen. Ein Dritter, der ein Interventionsinteresse glaubhaft machen kann, könnte andernfalls nicht nur unterlassene Ausführungen der Hauptpartei in deren Rechtsmittel nachträglich - bis zur Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sanieren, sondern bis zum Zeitpunkt der Entscheidung, allenfalls etwa noch nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung mit Beweiswiederholung oder Beweisergänzung, wenn dort die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten wurde, seinen Beitritt erklären und - nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung an ihn - selbst ein Rechtsmittel ergreifen.

 

Auch der der Entscheidung 6 Ob 582/95, 583/95 zugrunde liegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass der Nebenintervenient seinen Beitritt innerhalb der der Hauptpartei offen stehenden und von ihr auch ausgenützten Berufungsfrist erklärte (ebenso 2 Ob 257/03p und 2 Ob 174/06m). Die in der zitierten Entscheidung des verstärkten Senats enthaltene Aussage, dass der Nebenintervenient, wenn die der Hauptpartei eröffnete Rechtsmittelfrist im Beitrittszeitpunkt bereits abgelaufen ist, die dadurch bestimmte Verfahrenslage hinzunehmen hat, ist ebenfalls in diesem Sinn zu verstehen: Der Hinweis auf eine für die Seite, auf die er beitrat, nicht mehr anfechtbare Entscheidung gibt lediglich ein Beispiel dafür, inwiefern der Nebenintervenient den Rechtsstreit iSd § 19 Abs 1 ZPO anzunehmen hat, lässt aber nicht den Schluss zu, dass für den Nebenintervenienten bei einem erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist der Hauptpartei erklärten Beitritt durch Zustellung einer Ausfertigung der von der Hauptpartei angefochtenen Entscheidung eine neue Rechtsmittelfrist ausgelöst würde.

 

Tritt der Nebenintervenient erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist für die Hauptpartei dem Verfahren bei, kann er somit selbst dann kein eigenes Rechtsmittel mehr erheben, wenn die Hauptpartei ihrerseits rechtzeitig ein Rechtsmittel erhoben hat.

 

Damit stellt sich aber im Anlassfall die Frage, ob die Nebenintervention nicht im Hinblick darauf unzulässig ist, dass dem Nebenintervenienten kein Einfluss auf den Verfahrensablauf des Revisionsverfahrens zukommt:

 

Der OGH entscheidet nach der Grundregel des § 509 Abs 1 ZPO über die Revision in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. Eine mündliche Revisionsverhandlung ist nur im - hier nicht vorliegenden - seltenen Fall geboten, dass es im Dienste des Rechtsschutzes für die Parteien geboten erscheint, deren kontradiktorisch vorgetragene Standpunkte anzuhören.

 

Berücksichtigt man, dass der Beitritt keinem Selbstzweck, sondern dazu dient, dass der Nebenintervenient bei rechtlichem Interesse am Obsiegen einer Partei als „Streithelfer“ Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen, Beweise anbieten und alle sonstigen Prozesshandlungen mit Wirksamkeit für die Hauptpartei vornehmen kann (§ 19 Abs 1 Satz 2 ZPO), ist ein Beitritt, der dem Beitretenden zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung seiner Zulässigkeit (Zeitpunkt der Beschlussfassung - 7 Ob 526/57 RZ 1958, 59; Schubert in Fasching/Konecny² § 18 ZPO Rz 10, der auf die Beitrittserklärung abstellt) keinen Einfluss auf den Verfahrensgang ermöglicht, als unzulässig zu qualifizieren.

 

Die Auffassung, ein Beitritt könne auch noch im Revisionsstadium nach Ablauf der Revisionsfrist durch einen unmittelbar an den OGH gerichteten Schriftsatz erfolgen, weil die Möglichkeit eines Aufhebungsbeschlusses in der Hauptsache bestehe (Schubert in Fasching/Konecny² § 18 ZPO Rz 1), lässt außer Acht, dass die Interventionszulässigkeit nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung zu beurteilen ist. Die Möglichkeit, dass das Revisionsgericht in der Hauptsache einen Aufhebungsbeschluss fällt, begründet kein rechtliches Interesse des Nebenintervenienten an einem Beitritt zum Revisionsverfahren, sondern allenfalls ein rechtliches Interesse, dem fortgesetzten erstinstanzlichen Verfahren beizutreten. Ein zuvor ergangener Zurückweisungsbeschluss in Ansehung des Beitritts im Revisionsverfahren würde wegen der insofern geänderten Sachlage keine Bindungswirkung entfalten. Über einen entsprechenden - neuerlichen - Beitritt hätte dann das Erstgericht zu entscheiden.

 

Insofern unterscheidet sich ein Beitritt im Revisionsverfahren nach Ablauf der für die Hauptpartei laufenden Revisionsfrist von jenem im Berufungsverfahren nach Ablauf der Berufungsfrist: Da nämlich könnten dem Nebenintervenienten etwa Beteiligungsbefugnisse an einer gegebenenfalls abgehaltenen Berufungsverhandlung mit Beweiswiederholung bzw -ergänzung zukommen. Ein wirksamer Beitritt im Berufungsverfahren nach Ablauf der Berufungsfrist löst überdies zwar nicht die Verpflichtung zur Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung, aber die Verpflichtung aus, dem Nebenintervenienten die Berufungsentscheidung zuzustellen, gegen die er gegebenenfalls ein Rechtsmittel innerhalb der ihm ab Zustellung eröffneten Rechtsmittelfrist ergreifen kann. Der Sinn eines Beitritts im Revisionsstadium nach Ablauf der der Hauptpartei offen stehenden Rechtsmittelfrist könnte hingegen lediglich darin gesehen werden, dass dem Nebenintervenienten ein allenfalls ergehender Aufhebungsbeschluss zuzustellen wäre, den er allerdings trotz wirksamen Beitritts wegen Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Revisionsgerichts nicht bekämpfen könnte. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, dass er bloß aus diesem Grund das Revisionsverfahren mit einem Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Nebenintervention, die überhaupt nur für den Fall eines fortgesetzten Verfahrens vor dem Erstgericht Bedeutung gewinnen könnte, belasten wollte.

 

Daraus folgt, dass die Nebenintervention schon deshalb als unzulässig zurückzuweisen ist, weil der Nebenintervenient im konkreten Fall auf den Verfahrensgang des Revisionsverfahrens keinerlei Einfluss nehmen kann und die Revisionsentscheidung auch nicht die Notwendigkeit fristgebundener Prozesshandlungen (Ergreifen eines Rechtsmittels) bedingen kann. Diesem Ergebnis steht auch der nicht nur nach seinem Wortlaut auszulegende § 18 Abs 1 ZPO, wonach der Beitritt bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits erfolgen kann, nicht entgegen: Aus dem Umstand, dass das Revisionsverfahren noch nicht rechtskräftig beendet ist, lässt sich noch nicht zwingend eine immer gegebene Zulässigkeit eines im Revisionsstadium nach Ablauf der Revisionsfrist erklärten Beitritts als Nebenintervenient ableiten.

 

Die Prüfung der grundsätzlichen Zulässigkeit der Nebenintervention ist nach neuerer Auffassung amtswegig vorzunehmen. Da somit die Zurückweisung des Nebenintervenienten von Amts wegen und nicht erst über den Zurückweisungsantrag der Beklagten zu erfolgen hatte, bedurfte es keiner Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht über den Zurückweisungsantrag der Parteien. Der Nebenintervenient hat der Beklagten die Kosten ihrer Äußerung zu ersetzen.