06.12.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Invaliditätspension gem § 254 ASVG (bzw Berufsunfähigkeitspension iSd § 271 ASVG) iZm vermehrt benötigten Arbeitspausen

Für die Beurteilung der Frage, ob der Versicherte im Hinblick auf die von ihm benötigten Arbeitspausen auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, ist grundsätzlich von der Regelung über die Ruhepausen in § 11 AZG auszugehen; es ist allgemein üblich geworden, jedenfalls kurze Toilettenpausen während der Arbeitszeit zu tolerieren und nicht als zusätzliche Arbeitspausen zu qualifizieren


Schlagworte: Pensionsversicherung, Invaliditätspension, Berufsunfähigkeitspension, vermehrt benötigte Arbeitspausen, vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen
Gesetze:

§ 254 ASVG, § 255 ASVG, § 271 ASVG, § 273 ASVG, § 11 AZG

GZ 10 ObS 106/11b, 08.11.2011

 

OGH: Der Revisionswerber zieht nicht in Zweifel, dass nach stRsp des OGH für die Beurteilung der Frage, ob der Versicherte im Hinblick auf die von ihm benötigten Arbeitspausen auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, grundsätzlich von der Regelung über die Ruhepausen in § 11 AZG auszugehen ist.

 

Demgemäß ist die Arbeitszeit, wenn die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt, durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen, welche - im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebs oder bei Notwendigkeit aus betrieblichen Gründen - auch in zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder drei Ruhepausen von je zehn Minuten gewährt werden kann.

 

Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass es allgemein üblich geworden sei, jedenfalls kurze Toilettenpausen während der Arbeitszeit zu tolerieren und nicht als zusätzliche Arbeitspausen zu qualifizieren, liegen ebenfalls im Rahmen stRsp (10 ObS 124/99d), wonach (selbst) behinderungsbedingte zusätzliche Kurzpausen in einer täglichen Gesamtdauer von etwa 20 Minuten im Allgemeinen in der Wirtschaft toleriert werden, sodass diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und deshalb nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist (10 ObS 119/05f).

 

Auch im zuletzt erwähnten Fall musste die dortige Klägerin aufgrund einer Harnsperre mit Selbstkatheterismus die Möglichkeit haben, alle zwei Stunden die Toilette für die Dauer von jeweils zehn Minuten aufsuchen zu können. Ihre außerordentliche Revision gegen die Abweisung der von ihr begehrten Berufsunfähigkeitspension hat der Senat mit folgender Begründung zurückgewiesen (10 ObS 119/05f):

 

„Unabhängig davon, dass das Aufsuchen der Toilette keineswegs nur während der Arbeitspausen üblich ist, sodass sich überhaupt die Frage stellt, inwieweit dafür iSd Ausführungen der Klägerin 'zusätzliche Arbeitspausen' erforderlich sind (vgl 10 ObS 124/99d), steht die Beurteilung des Berufungsgerichtes, die Klägerin sei im Hinblick auf die erwähnte Regelung der Ruhepausen und der in der Wirtschaft darüber hinaus allgemein tolerierten behinderungsbedingten zusätzlichen Kurzpausen nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, jedenfalls im Einklang mit der zitierten stRsp des OGH.
Diese Erwägungen führen zur Zurückweisung der Revision mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO.“

 

Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten, dessen Sachverhalt mit jenem, der zu 10 ObS 119/05f zu beurteilen war, durchaus vergleichbar ist:

 

Die Blasenentleerungsstörung mit deutlicher Restharnvermehrung macht auch für den Kläger die Durchführung eines intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK) vier- bis fünfmal täglich (zweimal davon während der normalen Arbeitszeit) erforderlich; wobei die dafür benötigten Pausen ebenfalls mit zehn Minuten „ohne Wegstrecke“ veranschlagt werden müssen, hier jedoch zusätzliche (normale) Toilettenpausen während der Arbeitszeit alle 90 Minuten für einen „Harnabschlagvorgang“ (also die Entleerung der Harnblase von frischem Harn) erforderlich sind.

 

Die außerordentliche Revision geht insoweit selbst davon aus, dass es sich bei den letztgenannten Pausen nur um „kurze normale, aber wiederholte Toilettenbesuche“ handelt, wobei Intervalle iSe Notwendigkeit des Aufsuchens der Toilette „alle 1,5; 3; 4,5; 6 und 7,5 Stunden“ der rechtlichen Würdigung zugrunde zu legen seien. Weshalb es dem Kläger nicht möglich sein sollte, bei zweien dieser „normalen“ Toilettenbesuche auch den Selbstkatheterismus durchzuführen, ist nicht einzusehen und wird im vorliegenden Rechtsmittel auch nicht aufgezeigt.

 

Demgemäß weicht das Berufungsgericht aber nicht von den dargelegten Grundsätzen der Rsp des erkennenden Senats ab, wenn es die - von den Parteien unbekämpften - Feststellungen rechtlich dahin beurteilte, dass sich daraus „logisch zwingend“ insgesamt zwei „ISK“ in der (Gesamt-)Dauer von 20 Minuten sowie drei Toilettenbesuche, die nicht wesentlich länger als bei anderen Arbeitnehmern dauern, ergeben. Davon ausgehend, dass einer von diesen in der Mittagspause erfolgen kann, verbleiben neben den beiden Toilettenbesuchen zur Durchführung des Selbstkatheterismus also tatsächlich nur noch zwei kurze Toilettenbesuche.

 

Die Beurteilung, dass der Kläger bei entsprechender, nach den Feststellungen zumutbarer Gestaltung der Toilettenpausen nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei, ist somit jedenfalls vertretbar.