27.07.2011 Zivilrecht

OGH: § 16 Abs 2 AOCV (Transport einer Außenlast durch Hubschrauber) als Schutznorm iSd § 1311 ABGB?

§ 16 Abs 2 AOCV stellt eine an den Piloten adressierte Schutznorm iSd § 1311 ABGB dar, die den Schutz der körperlichen Integrität und des Eigentums der „auf der Erde“ befindlichen Personen, somit die Hintanhaltung von Drittschäden bezweckt


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Schutznorm, Transport einer Außenlast durch Hubschrauber, Pilot
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 16 Abs 2 AOCV

GZ 2 Ob 112/10z, 22.06.2011

 

OGH: Die Verordnung betreffend die Voraussetzungen für die Erteilung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOCV) 2004, BGBl II 2004/425, regelt die flugbetrieblichen und technischen Grundlagen für das Luftverkehrsbetreiberzeugnis (Air Operator`s Certificate - AOC) als Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebsgenehmigung für den gewerblichen Luftverkehr iSd Verordnung (EWG) 2407/92 (§ 1 Abs 1 AOCV). Die §§ 12 bis 16 AOCV regeln den Flugbetrieb.

 

§ 16 AOCV enthält eine Sonderbestimmung für Hubschrauber. In der Entscheidung 2 Ob 119/09b wurde das Verschulden des Piloten mit eingehender Begründung auf die Verletzung des § 16 Abs 2 AOCV gestützt, der folgenden Wortlaut hat:

 

„Die gleichzeitige Beförderung von Personen und Sachen ist nur zulässig, wenn die beförderten Sachen mit dem Hubschrauber fest verbunden oder in geeigneter Weise gegen Lageveränderungen gesichert sind. Werden Sachen als Unterlasten (Außenlasten) befördert, dürfen nur die für die Beförderung zweckdienlichen Personen mitgeführt werden. Der Pilot hat vor dem Start die Aufhängevorrichtung zu überprüfen (Funktionsprobe). Es ist verboten, mit nicht ausklinkbaren Aufhängevorrichtungen Lasten zu befördern. Über die sichere Durchführung der Aufhängung der Lasten entscheidet der Pilot und erteilt die erforderlichen Anweisungen an das mit dem Verladen betraute Personal. Der Pilot darf erst starten, wenn vom Flughelfer Zeichen für eine sichere Startdurchführung erteilt wurden. Der Pilot hat den Flug so zu wählen, dass bei einer eventuellen Auslösung der Aufhängevorrichtung während des Fluges die herabfallende Last weder Personen noch Sachen auf der Erde gefährdet.“

 

Der erkennende Senat beurteilte den letzten Satz dieser Bestimmung als eine an den Piloten adressierte Schutznorm iSd § 1311 ABGB, die den Schutz der körperlichen Integrität und des Eigentums der „auf der Erde“ befindlichen Personen, somit die Hintanhaltung von Drittschäden bezweckt.

 

Nach stRsp des OGH ergibt sich der Schutzzweck der Norm aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten soll. Wie weit der Normzweck reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall. Entscheidend ist nur der Inhalt der Norm. Es genügt, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist; die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen zumindest intendiert haben.

 

Für die Frage der Gefährdung der in den Schutzbereich des § 16 Abs 2 AOCV fallenden Rechtsgüter macht es keinen Unterschied, ob die Außenlast „bloß“ befördert wird oder ob die Entladung „schwebend“ oder nach vorheriger Landung des Hubschraubers erfolgt. In beiden Fällen beruht die Gefährdung auf dem Transport einer Außenlast, auf den Zweck des Flugs kommt es dabei nicht an. § 16 Abs 2 AOCV kann bei sinnvoller Interpretation demnach nur dahin verstanden werden, dass bei Hubschrauberflügen (welcher Art auch immer) die mit dem Transport von Außenlasten verbundenen Gefahren für die geschützten Rechtsgüter durch Einhaltung der vorgeschriebenen Maßnahmen möglichst gering zu halten sind.

 

Darauf, ob der in der erörterten Norm verwendete Begriff „Beförderung“ der Terminologie in § 102 Abs 1 LFG bzw der VO (EWG) Nr 2407/92 entspricht, kommt es aus den dargelegten Gründen nicht entscheidend an. Die erörterte inländische Schutznorm regelt ganz allgemein den Transport von Außenlasten mit Hubschraubern und geht von ihrer Bedeutung über den in § 1 Abs 1 AOCV 2004 definierten Geltungsbereich der Verordnung hinaus.