06.07.2011 Strafrecht

OGH: Fehlende umfassende Begründung des Wahrspruchs der Geschworenen und eingeschränkte Bekämpfbarkeit – Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art 6 Abs 1 EMRK?

Der OGH sieht sich nicht veranlasst, einen Antrag gem Art 89 Abs 2 zweiter Satz B-VG beim VfGH zu stellen, zumal ein Wahrspruch alle jene wesentlichen Sachverhaltselemente enthält, die zur Subsumtion erforderlich sind, und das Urteil demnach in diesem Sinn durchaus als begründet anzusehen ist; eine Anfechtungsmöglichkeit bietet - wenn auch im eingeschränkten Umfang - § 345 Abs 1 Z 10a StPO


Schlagworte: Geschworenengericht, Wahrspruch, fehlende umfassende Begründung, eingeschränkte Bekämpfbarkeit, Recht auf ein faires Verfahren, Tatsachenrüge
Gesetze:

Art 6 Abs 1 EMRK, § 345 Abs 1 Z 10a StPO, §§ 340 f StPO

GZ 12 Os 48/11t, 07.06.2011

 

Die Tatsachenrüge (§ 345 Abs 1 Z 10a StPO) sieht den Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt, weil die StPO keine umfassende Begründung des Wahrspruchs der Geschworenen und va keine Bekämpfbarkeit der Entscheidungsgründe vorsehe.

 

OGH: Schon die Behauptung der Verfassungswidrigkeit eines - durch ein Gericht fehlerfrei - angewendeten Strafgesetzes stellt kein zulässiges Vorbringen bei der Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes dar.

 

Der OGH sieht sich auch nicht veranlasst, einen Antrag gem Art 89 Abs 2 zweiter Satz B-VG beim VfGH zu stellen, zumal ein Wahrspruch (auch der gegenständliche) alle jene wesentlichen Sachverhaltselemente enthält, die zur Subsumtion erforderlich sind, und das Urteil demnach in diesem Sinn durchaus als begründet anzusehen ist. Eine Anfechtungsmöglichkeit bietet - wenn auch im eingeschränkten Umfang - § 345 Abs 1 Z 10a StPO. Damit unterscheidet sich das österreichische geschworenengerichtliche Verfahren auch in wesentlichen Punkten vom (in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht ausdrücklich genannten, wohl aber angesprochenen) belgischen, welches von der Großen Kammer des EGMR mangels präziser (die Tat individualisierende Umstände enthaltender) Fragen an die Geschworenen und mangels eines ordentlichen Rechtsmittels, welches nicht bloß Rechtsfragen umfasse, als nicht Art 6 Abs 1 EMRK entsprechend angesehen wurde.

 

Der formelle Nichtigkeitsgrund der Z 10a des § 345 Abs 1 StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten Tatsachen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt - wird dadurch nicht eröffnet.