22.06.2011 Zivilrecht

OGH: Analoge Anwendung des Vollzugsstufensystems der Unterlassungsexekution nach § 355 EO auf Vertragsstrafen bewährte Unterlassungsvereinbarungen?

Wenn die Vertragsstrafenvereinbarung iZm einer Unterlassungsverpflichtung offensichtlich den Zweck hat, eine Klageführung zur Schaffung eines entsprechenden Exekutionstitels zu ersparen, ist davon auszugehen, dass die Parteien eine Vereinbarung angestrebt haben, die im Ergebnis im Wesentlichen einem Exekutionstitel entspricht; es ist daher naheliegend, die Voraussetzung für die Verwirkung der Vertragsstrafe „für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung“ dahin zu verstehen, dass die fortgesetzte Missachtung der Unterlassungsverpflichtung in einer dem Vollzugsstufensystem der Unterlassungsexekution nach § 355 EO vergleichbaren Art und Weise geahndet werden soll


Schlagworte: Konventionalstrafe, Unterlassungsvereinbarungen, für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung
Gesetze:

§ 1336 ABGB, § 355 EO, § 1380 ABGB, §§ 914 f ABGB

GZ 4 Ob 2/11i, 12.04.2011

 

Mit Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung vom 18. April 2008 verpflichtete sich die Beklagte gegenüber der Klägerin

 

1. es ab sofort zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Kennzeichen „RECO“ in Alleinstellung bzw iVm nichtunterscheidungskräftigen Zusätzen wie „Recycling“ usw iZm Dienstleistungen eines Recyclings- und Entsorgungsunternehmens zu benutzen und/oder benutzen zu lassen;

 

2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungsverpflichtung, im Falle vorsätzlichen Handelns unter Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs, an die Klägerin eine Vertragsstrafe iHv 5.100 EUR zu zahlen;

 

3. sechs Monate nach Abgabe der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung die Kennzeichnung „RECO“ von der Homepage www.recycling-ost.at bzw damit verlinkten Internetseiten entfernen zu lassen;

 

4. für die Verwendung von noch vorrätigem Werbematerial wie zB Prospekte, Briefpapier, Beschriftung von Fahrzeugen und Containern wird eine Aufbrauchsfrist von zwei Jahren ab Abgabe der Unterlassungserklärung gewährt.

 

OGH: Grundlage des hier zu beurteilenden Zahlungsanspruchs ist eine von der Klägerin verfasste und an die Beklagte übermittelte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung, die diese unterfertigte. Ungeachtet der äußeren Form einer einseitigen Verpflichtungserklärung der Beklagten liegt inhaltlich nicht bloß eine einseitige Verpflichtung iSe unentgeltlichen Zuwendung, sondern viel eher ein zweiseitiges entgeltliches Geschäft, ähnlich einem Vergleich vor. Die Beklagte verpflichtet sich einerseits, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs ein mit der Firma der Klägerin verwechselbar ähnliches Zeichen („RECO“) weder in Alleinstellung noch iVm nicht unterscheidungskräftigen Zusätzen iZm ihrem Unternehmensgegenstand zu benutzen und verpflichtet sich für den Fall der Zuwiderhandlung überdies zu Vertragsstrafen. Andererseits gesteht die Klägerin der Beklagten für die erklärungskonforme Umgestaltung ihres Internetauftritts und für den Aufbrauch bereits vorrätigen Werbematerials (sehr lange) Fristen zu. Die Auslegungsregel des § 915 Satz 1 ABGB, wonach bei einseitig verbindlichen Verträgen im Zweifel angenommen wird, dass sich der Verpflichtete eher die geringere als die schwerere Last auferlegen wollte, ist daher entgegen der von den Vorinstanzen ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Ansicht nicht anwendbar. Zu berücksichtigen ist aber, dass die von der Beklagten unterfertigte Verpflichtungserklärung von der Klägerin vorgegeben war, sodass gem § 915 zweiter Satz ABGB eine undeutliche Erklärung zum Nachteil der Klägerin auszulegen wäre.

 

Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 f ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen. Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind. Wurde nicht bewiesen, dass für den einen Vertragspartner aus dem Erklärungsverhalten des anderen eine vom Inhalt der Urkunden abweichende Erklärungsbedeutung zu erschließen war, ist die Absicht der Parteien im Rahmen der rechtlichen Beurteilung allein aus der Urkunde nach dem objektiven Aussagewert des Textes und dem Wortsinn seiner gewöhnlichen Bedeutung im Zusammenhalt mit dem Zweck der Vereinbarung zu ermitteln. Der Zweck der Vertragsstrafe nach § 1336 ABGB liegt nicht nur in der Vereinfachung des Schadenersatzes sondern gerade in einem Fall wie diesem auch in der Verstärkung der vertraglichen Pflichten und zwar umso mehr, je mehr der Betrag über den ex ante wahrscheinlichen Schaden hinausgeht. Undeutliche Vertragsbestimmungen müssen so ausgelegt werden, dass sie keinen Widerspruch enthalten und wirksam sind. Es ist davon auszugehen, dass eine schriftliche Vertragserklärung keine überflüssigen Formulierungen enthält, vielmehr ist eine Auslegung vorzuziehen, die für die Anwendung jeder vertraglichen Bestimmung Raum lässt.

 

Offenkundiger Zweck der hier zu beurteilenden Unterlassungsverpflichtung der Beklagten ist, die Klägerin - möglichst unter Vermeidung gerichtlicher Durchsetzung ihres Unterlassungsanspruchs - davor zu schützen, dass die Beklagte ein mit der Firma der Klägerin verwechselbar ähnliches Zeichen fortdauernd zu Geschäftszwecken benützt. Der Unterlassungsanspruch soll durch Vereinbarung einer Vertragsstrafe gesichert werden. Die Gewährung einer Umstellungsfrist für den Internetauftritt (sechs Monate) und einer Aufbrauchsfrist für bereits vorrätiges Werbematerial (zwei Jahre) ändert nichts an der vorangestellten sofortigen Unterlassungspflicht, die im Hinblick auf die Sonderregelungen aber nur für neue Nutzungen des beanstandeten Zeichens sofort gilt (etwa für neues Werbematerial, andere Arten der Geschäftsanbahnung etc). Die Vereinbarung der Vertragsstrafen soll offensichtlich nicht bloß der Pauschalierung des Schadenersatzes bzw der Erleichterung seiner Geltendmachung (Beweisschwierigkeiten), sondern auch der Druckausübung auf die Beklagte als Schuldnerin dienen.

 

Nach dem systematischen Aufbau der Verpflichtungserklärung und wegen der unterschiedlichen Regelung für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln ist die Formulierung „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“ iSd Standpunkts der Klägerin dahin zu verstehen, dass die Vertragsstrafe nicht bloß einmal für verschiedene Formen des Zuwiderhandelns vereinbart gilt, sondern für jede einzelne Zuwiderhandlung, auch wenn es sich um gleichartige Verstöße gegen die Unterlassungsverpflichtung handelt. Unter Fortsetzungszusammenhang ist die Zusammenfassung mehrerer Verstöße zu einem einzelnen Verstoß zu verstehen. Der Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs im Fall vorsätzlichen Handelns würde jeden Sinn verlieren, wenn man nach der Vertragsauslegung des Berufungsgerichts nur eine Vertragsstrafe für gleichartige Verstöße für zulässig erachtet.

 

Der Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs bedeutet vielmehr, dass die Beklagte im Fall der vorsätzlichen Verletzung ihrer Unterlassungsverpflichtung für jede einzelne Verletzung ersatzpflichtig wird, die Vertragsstrafe von 5.100 EUR also verwirkt wird, während bei bloß fahrlässiger Verletzung der Unterlassungsverpflichtung gleichartige Verstöße zusammenzufassen sind.

 

Wenn die Vertragsstrafenvereinbarung iZm einer Unterlassungsverpflichtung - wie hier - offensichtlich den Zweck hat, eine Klageführung zur Schaffung eines entsprechenden Exekutionstitels zu ersparen, ist davon auszugehen, dass die Parteien eine Vereinbarung angestrebt haben, die im Ergebnis im Wesentlichen einem Exekutionstitel entspricht. Es ist daher naheliegend, die Voraussetzung für die Verwirkung der Vertragsstrafe „für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung“ dahin zu verstehen, dass die fortgesetzte Missachtung der Unterlassungsverpflichtung in einer dem Vollzugsstufensystem der Unterlassungsexekution nach § 355 EO vergleichbaren Art und Weise geahndet werden soll. Nach der zu vermutenden Absicht der Parteien, eine der Unterlassungsexekution vergleichbare Durchsetzung der eingegangenen Unterlassungsverpflichtung zu ermöglichen, ist die Vertragsstrafenregelung daher dahin auszulegen, dass die Vertragsstrafe verwirkt wird, wenn die Beklagte nach Beginn der Unterlassungsverpflichtung (erstmals) gegen die Unterlassungspflicht verstößt und weiter immer dann, wenn sie - ungeachtet konkreter Aufforderung der Klägerin, sich konform ihrer Verpflichtung zu verhalten, neuerlich verstößt bzw den von ihr zu beseitigenden Zustand (Inhalt des Internetauftritts) nicht beseitigt. Dass der fortgesetzte Verstoß, insbesondere wenn man die tageweisen Vollzugsstufen nach der Rsp zu § 355 EO zugrunde legt, zu einer enormen Vertragsstrafe führen könnte, die insgesamt unangemessen scheinen mag, könnte durch eine - nun auch für Unternehmer mögliche - allfällige Mäßigung ausgeglichen werden.

 

Da die Beklagte bewusst die von ihr übernommene Unterlassungspflicht weiter missachtete, bewirkte die in der Unterlassungsklage vom 8. Juli 2009 zu erblickende Aufforderung der Klägerin, das der übernommenen Verpflichtung zuwiderlaufende Verhalten aufzugeben - vergleichbar dem neuerlichen Strafantrag bei der Unterlassungsexekution nach § 355 EO - die neuerliche Verwirkung der Vertragsstrafe. Gleiches gilt für den zur Sicherung des klageweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs von der Klägerin gestellten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Unterlassungsverfügung, die die Beklagte (ihr Vertreter) am 2. September 2009 erhielt. Die weitere Missachtung der Unterlassungsverpflichtung bewirkte daher die (dritte) Verwirkung der Vertragsstrafe.

 

Am 11. September 2009 forderte der Klagevertreter die Beklagte neuerlich zur Einhaltung der von ihr übernommenen Verpflichtung auf, was die Beklagte ebenso missachtete wie die weitere Aufforderung des Klagevertreters vom 23. September 2009. Dadurch wurde jeweils neuerlich die Vertragsstrafe verwirkt, sodass die Beklagte für insgesamt fünf Verstöße gegen die Unterlassungsverpflichtung 25.500 EUR schuldet.

 

Der Auffassung der Klägerin, auch die Klagebeantwortung und die Äußerung zum Sicherungsantrag habe die Vertragsstrafe verwirkt, kann hingegen nicht gefolgt werden, weil diese Prozesserklärungen nur den Willen der Beklagten ausdrücken, ungeachtet der jeweils vorangehenden Aufforderung der Klägerin (Klage bzw Sicherungsantrag), der Unterlassungsverpflichtung nicht zu folgen. Die analog zur Unterlassungsexekution nach § 355 EO anzunehmende Vollzugsstufe wird aber jeweils durch eine Aufforderung der Klägerin ausgelöst. Das einer zweimaligen weiteren Verwirkung der Vertragsstrafe entsprechende Mehrbegehren ist daher abzuweisen.