09.06.2011 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, ob dem Masseverwalter die Bestimmung des Art XLII Abs 1 2. Fall EGZPO gegenüber dem „verheimlichenden“ Schuldner zugute kommt

Das von Art XLII Abs 1 EGZPO geforderte privatrechtliche Interesse ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn durch die Verheimlichung oder Verschweigung des Vermögens der Kläger selbst unmittelbar in seinen aus dem Gesetz oder einer Vereinbarung abgeleiteten Privatrechten beeinträchtigt wird; das privatrechtliche Interesse ist auch immer dann gegeben, wenn der Kläger über das zu manifestierende Vermögen im Unklaren ist, die Angabe über die Vermögensverschweigung oder -verheimlichung aber braucht, um einen gesetzlichen oder vertraglichen Hauptanspruch geltend machen zu können; der Kläger ist nicht gehalten, vor einem Begehren nach Art XLII EGZPO nach den §§ 99 ff (insbesondere § 101) KO vorzugehen; passiv legitimiert ist jeder, der von der Verschweigung oder Verheimlichung „vermutlich Kenntnis“ hat; dabei ist kein strenger Maßstab an die - vom Kläger nur zu bescheinigende - Kenntnis anzulegen


Schlagworte: Stufenklage, Rechnungslegung, Insolvenzrecht, Masseverwalter, Verheimlichung
Gesetze:

Art XLII Abs 1 EGZPO

GZ 3 Ob 47/11z, 11.05.2011

 

Der Kläger (Masseverwalter) begehrt im Rahmen einer Stufenklage

 

1. die Rechnungslegung der beklagten Partei DK***** GmbH über die vom Schuldner für die DK*****-E***** KEG bzw DK***** K***** KEG, die D***** K***** KG und die DK***** GmbH erbrachten Leistungen sowie über die aus diesen Leistungen den Gesellschaften zugeflossenen Einkünfte für den Zeitraum von 8. April 2008 bis 30. November 2009 sowie

 

2. die Zahlung des sich aufgrund der Rechnungslegung als Erlös ergebenden Geldbetrags, wobei die ziffernmäßige Festsetzung des Zahlungsbegehrens bis zu der gemäß Punkt 1. des Urteilsbegehrens erfolgten Rechnungslegung vorbehalten bleibe.

 

Der Kläger hat den behaupteten Anspruch auf Bekanntgabe der vom Schuldner erbrachten Leistungen und die diesem zugeflossenen Einkünfte daraus abgeleitet, dass der Schuldner auch während des Konkursverfahrens weiterhin für die drei - von ihm faktisch beherrschten - Gesellschaften tätig geworden sei und einen Anspruch auf Entgelt und/oder Gewinn erworben habe. Entweder habe er Einkünfte unzulässigerweise an der Konkursmasse vorbeigeschleust oder eine gegenüber der Masse und den Gläubigern unwirksame Vereinbarung geschlossen, unentgeltlich für die Gesellschaften tätig zu werden. Die Masse habe Anspruch auf denjenigen Vorteil, den die Gesellschaften durch die Leistungen des Schuldners erhalten habe, jedenfalls aber auf ein angemessenes Entgelt für die Tätigkeit. Mit der Gründung der jeweiligen Gesellschaften sei eine Bestandsübertragung erfolgt, sodass sämtliche Ansprüche der Vorgängergesellschaft(en) aus der Vermittlung von Versicherungs- und Finanzierungsverträgen an die jeweils nachfolgende Gesellschaft übergegangen seien und letztendlich die GmbH als Nachfolgerin der DK*****-E***** KEG anzusehen sei. Die beklagte Partei habe sich in einem Zivilverfahren ausdrücklich auf die Bestandsübertragungen berufen.

 

OGH: Nach Art XLII Abs 1 2. Fall EGZPO kann derjenige, der von der Verheimlichung oder Verschweigung eines Vermögens vermutlich Kenntnis hat, auch ohne Bestand anderer materieller Verpflichtungen von jedem, der ein privatrechtliches Interesse an der Ermittlung des Vermögens hat, auf eidliche Angabe seines Wissens über Art, Höhe und Verbleib dieses Vermögens in Anspruch genommen werden.

 

Diese Bestimmung schafft im Gegensatz zum ersten Fall des Art XLII Abs 1 EGZPO einen eigenen privatrechtlichen Anspruch auf Angabe des Vermögens. Der Zweck der Bestimmung liegt darin, Informationsdefizite auszugleichen und die erfolgreiche Anspruchsverfolgung zu ermöglichen.

 

Vermögen ist jeder Aktivwert, der Gegenstand einer Leistungsklage sein kann.

 

Das von Art XLII Abs 1 EGZPO geforderte privatrechtliche Interesse ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn durch die Verheimlichung oder Verschweigung des Vermögens der Kläger selbst unmittelbar in seinen aus dem Gesetz oder einer Vereinbarung abgeleiteten Privatrechten beeinträchtigt wird. Das privatrechtliche Interesse ist auch immer dann gegeben, wenn der Kläger über das zu manifestierende Vermögen im Unklaren ist, die Angabe über die Vermögensverschweigung oder -verheimlichung aber braucht, um einen gesetzlichen oder vertraglichen Hauptanspruch geltend machen zu können.

 

Da die Arbeitskraft des Schuldners nicht Massebestandteil ist, steht ihm deren Verwertung auch nach Konkurseröffnung frei. Allerdings ist der der Exekution unterliegende Teil des Erwerbseinkommens Massebestandteil. Gem § 99 KO ist der Schuldner verpflichtet, „alle zur Geschäftsführung erforderlichen“ Auskünfte zu erteilen. Diese umfassende Verpflichtung zur Auskunftserteilung wird jeweils durch Aufforderungen des Masseverwalters konkretisiert. Die Auskunftspflicht umfasst auch Angaben zum Umfang der Masse und damit auch zu den vom Schuldner während des Konkursverfahrens erzielten Einkünften. Erbringt der Schuldner zwar in einem ständigen Verhältnis für einen Dritten Arbeitsleistungen, die nach Art und Umfang üblicherweise vergütet werden ohne oder gegen eine unverhältnismäßig geringe Gegenleistung, gilt im Verhältnis zwischen dem Dritten und Gläubigern des Schuldners ein angemessenes Entgelt als geschuldet (§ 292e EO).

 

In diesem Sinn ist das geforderte privatrechtliche Interesse des Klägers an einer Bekanntgabe der vom Schuldner erbrachten Leistungen und die daraus bezogenen Einkünfte grundsätzlich zu bejahen.

 

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Kläger nicht gehalten, vor einem Begehren nach Art XLII EGZPO nach den §§ 99 ff (insbesondere § 101) KO vorzugehen. Abgesehen davon, dass die Stufenklage gegen die (potenzielle) Geschäftsherrin des Schuldners gerichtet ist und sich die Schritte nach den §§ 99 ff KO gegen den Schuldner richten, ist eine  Klageführung nach Art XLII Abs 1 1. Fall EGZPO wegen der unterschiedlichen Mittel und Ziele von vornherein nicht subsidiär zu einem Vorgehen nach den §§ 99 ff KO. In diesem Sinn wurde zu Art XLII Abs 1 1. Fall EGZPO bereits ausgesprochen, dass eine Pflicht zur Rechnungslegung nicht bloß deshalb verneint werden kann, weil der Kläger die angestrebte Auskunft allenfalls auch auf andere Weise erlangen könnte, beispielsweise aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs im Verwaltungsverfahren.

 

Das Verschweigen bzw Verheimlichen von Vermögen setzt kein strafbares oder deliktisches Verhalten voraus. Gefordert wird von der Rsp ein aktives Verhalten, das bezweckt zu verhindern, dass Vermögen in die Verfügung des Klägers gelangt. Dieses Verhalten muss nicht unbedingt vom Beklagten gesetzt werden. Passiv legitimiert ist jeder, der von der Verschweigung oder Verheimlichung „vermutlich Kenntnis“ hat. Dabei ist nach stRsp kein strenger Maßstab an die - vom Kläger nur zu bescheinigende - Kenntnis anzulegen. Schon der durch objektive Anhaltspunkte gestützte Verdacht, dass der Beklagte von der Verschweigung oder Verheimlichung Kenntnis hat, reicht aus. Demnach sind auch die Umstände, die den Verdacht einer Vermögensverheimlichung begründen, vom Kläger bloß zu bescheinigen.

 

Nach den Feststellungen hat der Schuldner gegenüber dem Masseverwalter aktive Verheimlichungsmaßnahmen in Bezug auf seine Einkünfte gesetzt. Er ist (ohne Informierung des Masseverwalters) während des Konkursverfahrens gesellschaftsrechtliche Verflechtungen eingegangen und ist - wie die nicht unbeträchtlichen Kilometergeldauszahlungen zeigen - für zumindest einer der drei in Rede stehenden Gesellschaften laufend tätig geworden. Das unbefristete Abtretungsanbot in Bezug auf die Anteile an der GmbH bestätigt das aktive Verheimlichungsverhalten des Schuldners.

 

Das Wissen der beklagten Partei um die Maßnahmen des Schuldners kann bereits aufgrund deren Prozessverhaltens als bescheinigt angenommen werden. Wie bereits das Erstgericht dargestellt hat, wurde vorerst ein verdienstliches Tätigwerden des Schuldners bestritten. Schließlich wurde das Tätigwerden außer Streit gestellt, aber behauptet, er habe dafür kein über den Ersatz von Auslagen hinausgehendes Entgelt erhalten. Als sich die Hinweise auf das Tätigwerden des Schuldners in dem in einem Strafverfahren eingeholten Buchsachverständigengutachten verdichteten, wurde in offensiver Weise vorgebracht, dass sich die Ansprüche des Klägers bereits aus diesem Gutachten errechnen ließen.

 

Im Übrigen bietet dieses Gutachten, das zu einem anderen Zweck erstellt wurde als dem Kläger als Berechnungsgrundlage zu dienen, allerdings keine taugliche Grundlage für die Annahme, dass das zu manifestierende Vermögen nun dem Kläger bereits bekannt wäre.

 

Da das endgültige Ziel des Begehrens des Klägers, der eine Stufenklage nach Art XLII Abs 3 EGZPO erhoben hat, die Zahlung eines sich aufgrund der Rechnungslegung ergebenden Geldbetrags ist, strebt er letztlich die Erfüllung einer Geldleistungsverpflichtung an; die von ihm in der ersten Stufe geforderten Offenlegungen haben hiezu Hilfscharakter. Die zu § 1409 ABGB ergangene Rsp, wonach der Übernehmer eines Vermögens infolge des gesetzlichen Schuldbeitritts neben dem ursprünglichen Schuldner nur für die Erfüllung von Geldverpflichtungen haftet, verhindert nicht, dass der Übernehmer - damit seine Haftung überhaupt effektuiert werden kann - auch die mit der Geldverpflichtung in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Offenlegungsverpflichtungen erfüllt.

 

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war die beklagte Partei „Rechtsnachfolgerin“ der DK*****-E***** KEG (später DK***** K***** KEG) und der D***** K***** KG und handelte „de facto“ als solche. Im Zusammenhang betrachtet stand beim Übergang von einer Gesellschaft auf eine andere die „Bestandsübernahme“ im Vordergrund, was auch dazu führte, dass sich die beklagte Partei in einem Zivilverfahren darauf stützte, zur Entgegennahme des Entgelts für von einer Vorgängergesellschaft erbrachte Leistungen berechtigt zu sein. Auch wenn die entsprechenden Feststellungen relativ offen formuliert sind, ist die Ansicht des Erstgerichts, die beklagte Partei sei als (direkte bzw indirekte) Vermögensübernehmerin und daher als nach § 1409 ABGB haftende Person zu qualifizieren, nicht zu beanstanden.

 

Da das Klagebegehren bereits nach Art XLII Abs 1 2. Fall EGZPO berechtigt ist, erübrigt sich ein Eingehen auf die Voraussetzungen des Art XLII Abs 1 1. Fall EGZPO.