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16.03.2021 Zivilrecht

OGH: Verkehrssicherungspflichten bei Demonstrationen

Die Verkehrssicherungspflichten des Veranstalters dürfen nicht überspannt werden, um nicht durch die generelle Übertragung des Risikos eines strafrechtswidrigen, vom Veranstalter aber letztlich nur begrenzt beeinflussbaren Verhaltens einzelner Versammlungsteilnehmer das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Versammlung übermäßig zu behindern


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Demonstrationsschaden, Versammlung, Gefahrenquelle, Veranstalter, Verkehrssicherungspflicht, Verein, Organe, Repräsentanten, Gehilfen
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1311 ABGB, § 1315 ABGB, § 11 VersG

 

GZ 9 Ob 8/20x [1], 27.01.2021

 

OGH: Der Veranstalter, der mit einer Versammlung bestimmte Ziele verfolgt und sie zu diesem Zweck organisiert, ist auch für die ordnungsgemäße Durchführung verantwortlich. Jede Massenveranstaltung bildet an sich schon eine Gefahrenquelle. Es ist eine allgemein bekannte Erfahrungstatsache, dass Angehörige einer Masse von mehreren tausend Menschen eigenen psychologischen Gesetzen unterliegen, insbesondere, dass dabei Hemmungen und Rücksichtnahmen, wie sie für den einzelnen selbstverständlich wären, bisweilen nahezu ausgeschaltet werden. Solcher Gefahren muss sich der Veranlasser einer Massenveranstaltung bewusst sein. Diese Erwägungen treffen auch auf Veranstalter von Versammlungen zu. Dementsprechend ist auch der Veranstalter einer Demonstration verpflichtet, alle möglichen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, sodass keine Gefahr für Teilnehmer oder Dritte von der Veranstaltung ausgeht. Zu diesen Verpflichtungen gehört es, im Vorfeld der Versammlung alle Sicherungsmaßnahmen zu setzen, damit Eskalationen vermieden werden können, also etwa für einen ausreichenden Ordnerdienst zu sorgen sowie sonst je nach Situation und Veranstaltung zur Gefahrenvermeidung erforderliche Sicherungsmaßnahmen zu setzen. Dabei ist auch bei einer Versammlung davon auszugehen, dass allein die behördliche Bewilligung und die Einhaltung der damit verbundenen Auflagen nicht ausschließt, dass im Hinblick auf die von der Versammlung ausgehende Gefahr vom Veranstalter weitergehende Sicherungsmaßnahmen zu fordern sind. Dass der Umfang und die Ausgestaltung dieser Maßnahmen jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängt, liegt auf der Hand.

 

Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Verkehrssicherungspflichten des Veranstalters nicht überspannt werden dürfen, um nicht durch die generelle Übertragung des Risikos eines strafrechtswidrigen, vom Veranstalter aber letztlich nur begrenzt beeinflussbaren Verhaltens einzelner Versammlungsteilnehmer das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Versammlung übermäßig zu behindern.

 

Da es sich vorliegend bei den beklagten Veranstaltern der Demonstration um Vereine handelt, kann eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nur durch Organe oder Gehilfen erfolgen. Da das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1315 ABGB von den Klägern nicht behauptet wird, kommt tatsächlich nur eine Haftung für Organe bzw Repräsentanten in Betracht.