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17.01.2012 Verfahrensrecht

OGH: Ist ein Antrag auf Übertragung der Masseaktiva eines insolventen Konzernunternehmens auf die Insolvenzmasse der Muttergesellschaft zulässig?

In einem Insolvenzverfahren kann es nur einen Schuldner geben; für einen Konzernverbund gilt auch im Insolvenzrecht das Trennungsgebot, sodass die Abwicklung des Insolvenzverfahrens isoliert für die einzelne Konzerngesellschaft als Subjekt des Insolvenzverfahrens zu erfolgen hat


Schlagworte: Insolvenzrecht, Konzern, Antrag, Ausschüttung der Masseaktiva eines insolventen Konzernunternehmens an die Insolvenzmasse eines anderen Konzernunternehmens
Gesetze:

§ 70 IO

GZ 8 Ob 104/11v [1], 22.11.2011

 

Die Masseverwalterin vertritt die Ansicht, dass die beantragte Übertragung der Masseaktiva der Schuldnerin auf die Muttergesellschaft und die Einbeziehung der Gläubiger der Tochtergesellschaft in das Insolvenzverfahren gegen die Muttergesellschaft zulässig sei.

 

OGH: Die Schuldnerin ist Teil eines Konzerns. Im Rahmen einer Konzernbildung werden durch einheitliche Leitung oder (Mehrheits-)Beteiligungen rechtlich selbständige Gesellschaften zu einer wirtschaftlichen Einheit mit der Folge zusammengefasst, dass Beherrschungs- und Abhängigkeitsverhältnisse entstehen, die zu einer Fremdbestimmung führen. Der (vertragliche oder faktische) Konzern bedingt nur eine funktionale Wirtschaftseinheit der verbundenen Unternehmen. Die wirtschaftliche Einheitlichkeit einerseits und die rechtliche Einheit andererseits fallen somit auseinander. Dem Konzern kommt keine Rechtspersönlichkeit zu.

 

Der Umstand, dass ein Konzern eine wirtschaftliche Einheit bildet, hat in einzelnen Bereichen der Rechtsordnung seinen Niederschlag gefunden. Dies gilt va für die gesetzliche Betriebsverfassung und die Konzernrechnungslegung. Sonst bestehen nur regelungsbereichsabhängige Einzelvorschriften. Der österreichische Gesetzgeber hat das konzernrechtliche Regelungsprogramm zweifellos auf ein Minimum reduziert. In der Rsp ist darüber hinaus anerkannt, dass bestimmte Konzernsachverhalte haftungsrechtliche Folgen auslösen können. In diesem Zusammenhang ist von Haftungsdurchgriff oder Durchgriffshaftung die Rede. Gegenstand der Betrachtung ist va die mögliche Haftung für die Schädigung von Konzernunternehmungen und deren Gläubiger durch Unternehmensleitung und Gesellschafter im Konzernverbund.

 

Im Zusammenhang mit Insolvenzen kann sich va die Frage stellen, ob rechtlich verbindliche Zusagen der Muttergesellschaft den Eintritt des Überschuldungstatbestands bei der Tochtergesellschaft verhindern können.

 

Darüber hinaus ist in LuRsp anerkannt, dass gegen jeden Schuldner ein gesonderter Insolvenzantrag erforderlich ist, sich der Insolvenzantrag nur gegen einen einzigen Schuldner richten darf und es mangels einer entsprechenden Norm in der IO kein Insolvenzverfahren mit mehr als einem Schuldner gibt. Selbst ein enger gesellschaftsrechtlicher Zusammenhang zwischen dem Schuldner und einem Dritten kann nie eine Insolvenzeröffnung auch über den Dritten rechtfertigen.

 

Den Überlegungen der Masseverwalterin liegen gerade jene wirtschaftlichen Gesichtspunkte zu Grunde, die für das Vorliegen einer Konzernstruktur charakteristisch sind. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise rechtfertigt nach den Feststellungen die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit. Dies ändert aber nichts an der rechtlichen Selbständigkeit beider Gesellschaften und an ihrer getrennten Rechtssubjektivität im Insolvenzverfahren. Die beantragte Übertragung der Masseaktiva eines insolventen Konzernunternehmens auf die Insolvenzmasse der Muttergesellschaft würde im Ergebnis zur Zusammenlegung der Insolvenzverfahren gegen mehrere Schuldner aufgrund wirtschaftlicher Gesichtspunkte und, was auch die Masseverwalterin zugesteht, de facto zur Bildung einer einheitlichen Insolvenzmasse führen. Beim Argument der Masseverwalterin, dass beide Insolvenzverfahren aufrecht blieben, im Insolvenzverfahren gegen die Tochtergesellschaft lediglich keine Quotenausschüttung stattfinde, handelt es sich um ein Formalargument. Tatsächlich würden im Fall der Genehmigung der Ausschüttung der Masseaktiva die insolvenzgerichtlichen Maßnahmen nur mehr in einem (gemeinsamen) Verfahren getroffen werden.

 

In der Literatur ist mitunter von der „Konzerninsolvenz“ die Rede. Dies darf aber nicht dahin missverstanden werden, dass über den Konzern als solchen ein einziges Insolvenzverfahren eröffnet würde.

 

Die wirtschaftliche Einheit eines Konzerns und die im Regelfall damit verbundene Wertsteigerung könnte durchaus auch im Rahmen eines Konzerninsolvenzrechts Berücksichtigung finden. Im Fall einer solchen Koordinierung der Insolvenzverfahren wären mehrere Stufen denkbar, von der Bündelung der Zuständigkeit bei einem Gericht und der Einsetzung desselben Insolvenzverwalters bis hin zur Einrichtung eines gemeinsamen Insolvenzverfahrens. Für eine derartige Vorgangsweise mangelt es allerdings an einer Rechtsgrundlage; ein Konzerninsolvenzrecht wurde in Österreich bisher nicht geschaffen. Aus diesem Grund ist bei Konzernunternehmen weiterhin nicht nur vom gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip, sondern ebenso vom insolvenzrechtlichen Trennungsprinzip auszugehen.

 

Im Ergebnis bedeutet dies, dass Subjekt eines Insolvenzverfahrens immer nur die einzelne Konzerngesellschaft, nicht aber der Konzern als solcher sein kann. Die Abwicklung des Insolvenzverfahrens hat demnach isoliert für das einzelne Konzernunternehmen zu erfolgen. Die Ausschüttung der Masseaktiva eines insolventen Konzernunternehmens an die Insolvenzmasse eines anderen Konzernunternehmens (hier der Muttergesellschaft) ist damit nicht zulässig. Maßnahmen, die zu einem kriminellen Vermögenstransfer zwischen Konzernunternehmen und auf diese Weise zur Begünstigung der Gläubiger der Tochtergesellschaft auf Kosten der Gläubiger der Muttergesellschaft geführt haben, können demnach nur im Weg des Insolvenzanfechtungsrechts korrigiert werden.