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31.01.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob trotz der Haftungsbeschränkung des § 176 Abs 2 ForstG eine allgemeine Ingerenzhaftung in Betracht kommt (hier: Verletzung durch überwucherten Stacheldraht abseits von öffentlichen Straßen und Wegen)

Weder der Waldeigentümer noch andere Personen dürfen durch positives Tun Gefahrenquellen (wie zB Fallgruben oder Fangeisen) für Waldbesucher schaffen, ohne diese gleichzeitig entsprechend abzusichern; die Haftung nach dem Ingerenzprinzip wird durch § 176 Abs 2 ForstG nicht ausgeschlossen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Forstrecht, abseits von öffentlichen Straßen und Wegen, Haftungsbeschränkung, Ingerenzprinzip, Verkehrssicherungspflichten, überwucherter Stacheldraht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 176 ForstG

GZ 7 Ob 171/11i [1], 21.12.2011

 

OGH: Jedermann darf - mit hier nicht relevanten Ausnahmen - den Wald zu Erholungszwecken betreten und sich dort aufhalten (§ 33 Abs 1 ForstG). § 33 Abs 1 ForstG hat eine Legalservitut zum Gegenstand. § 176 ForstG enthält allgemeine Haftungsbestimmungen. Wer sich im Wald abseits von öffentlichen Straßen und Wegen aufhält, hat selbst auf alle ihm durch den Wald, im Besonderen auch durch die Waldbewirtschaftung drohenden Gefahren zu achten (§ 176 Abs 1 ForstG). Den Waldeigentümer und dessen Leute sowie sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen (wie Nutznießer …) und deren Leute trifft, vorbehaltlich des Abs 4 oder des Bestehens eines besonderen Rechtsgrundes, keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen könnten; sie sind insbesondere nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, dass dadurch solche Gefahren abgewendet oder vermindert werden (§ 176 Abs 2 ForstG). Wird im Zusammenhang mit Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung ein an diesen nicht beteiligter Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine ihm gehörige Sache beschädigt, so haftet der Waldeigentümer oder eine sonstige, an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Person für den Ersatz des Schadens, sofern sie oder einer ihrer Leute den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben. Ist der Schaden durch Leute des Haftpflichtigen verschuldet worden, so haften auch sie nur bei Vorsatz oder bei grober Fahrlässigkeit. Entsteht der Schaden in einer gesperrten Fläche, so wird nur für Vorsatz gehaftet. Das EKHG bleibt unberührt (§ 176 Abs 3 ForstG). Für die Haftung für den Zustand einer Forststraße oder eines sonstigen Weges im Wald gilt § 1319a ABGB; zu der dort vorgeschriebenen Vermeidung von Gefahren durch den mangelhaften Zustand eines Weges sind der Waldeigentümer und sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen jedoch nur bei Forststraßen verpflichtet sowie bei jenen sonstigen Wegen, die der Waldeigentümer durch eine entsprechende Kennzeichnung der Benützung durch die Allgemeinheit ausdrücklich gewidmet hat. Wird ein Schaden auf Wegen durch den Zustand des danebenliegenden Waldes verursacht, so haften der Waldeigentümer, sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute keinesfalls strenger als der Wegehalter (§ 176 Abs 4 ForstG).

 

§ 176 Abs 2 und 4 ForstG belasten den Waldeigentümer nur mit der Obsorgepflicht bei erkennbar gefährlichem Waldzustand entlang öffentlicher Straßen und Wege. Der Kläger befand sich aber nicht in der Nähe eines Weges.

 

Zu § 176 Abs 3 ForstG wurde schon ausgesprochen, dass „iZm Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung“ insbesondere Arbeiten stehen, die zur Begründung, Pflege und forstlichen Nutzung des Waldes dienen, und die erforderlichen Begleitarbeiten. Das Fällen eines (beschädigten) Baums fällt jedenfalls darunter. Die in dieser Gesetzesstelle genannte Haftungseinschränkung bedeutet für sich noch keine Einschränkung der Sorgfaltspflicht, also der Verpflichtung zu der nach den Umständen des Einzelfalls erforderlichen und üblichen zumutbaren Vorsicht und Aufmerksamkeit. Die Verletzung des Klägers ereignete sich allerdings nicht iZm Arbeiten iSv § 176 Abs 3 ForstG. Im Übrigen diente der Stacheldraht schon seit vielen Jahren nicht mehr der Waldwirtschaft.

 

§ 176 Abs 1 ForstG stellt klar, dass der Wald auch abseits von öffentlichen Straßen und Wegen grundsätzlich betreten werden darf, aber auf eigene Gefahr, soweit sie vom Wald, insbesondere durch die Waldbewirtschaftung, ausgeht. § 176 Abs 2 ForstG normiert, dass der Waldeigentümer, der Nutznießer und die sonst dort genannten Personen keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden abseits von öffentlichen Straßen und Wegen haben, allerdings mit der Einschränkung, dass sich einerseits der Haftungsausschluss auf den Zustand der Waldes und dessen Bewuchs bezieht und andererseits dass kein besonderer Rechtsgrund besteht.

 

In der Judikatur wurde etwa eine Haftung für Immissionen trotz des Haftungsprivilegs des § 176 Abs 3 ForstG bejaht.

 

Auch die Haftung nach dem Ingerenzprinzip ist als besonderer Rechtsgrund anzusehen, weil sich diese Haftung auf die Abwendung einer geschaffenen Gefahr bezieht, die nicht auf die natürlichen Gefahren des Waldes zurückzuführen ist. Weder der Waldeigentümer noch andere Personen dürfen durch positives Tun Gefahrenquellen (wie zB Fallgruben oder Fangeisen) für Waldbesucher schaffen, ohne diese gleichzeitig entsprechend abzusichern. Die Haftung nach dem Ingerenzprinzip wird durch § 176 Abs 2 ForstG nicht ausgeschlossen. Zu prüfen ist damit, ob die Beklagte in ihrem Bereich eine Gefahr bestehen hat lassen, die nicht zu den natürlichen Gefahren des Waldes zu zählen ist.

 

Die Verkehrssicherungspflichten bestehen nach LuRsp - unabhängig von Sonderhaftungsnormen - dann, wenn jemand eine Gefahrenquelle schafft. Die Verpflichtung zur Beseitigung der Gefahrenquelle und damit die Verpflichtung zum positiven Tun folgt aus der vorhergehenden Verursachung der Gefahrensituation. Eine gleiche Verpflichtung trifft auch denjenigen, in dessen Sphäre gefährliche Zustände bestehen. Hier folgt die Verpflichtung zur Beseitigung aus der Zusammengehörigkeit von Verantwortung und Bestimmungsgewalt. Die Verkehrssicherungspflicht trifft denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden. Für die Sicherung von Gefahrenquellen ist in umso höherem Maß zu sorgen, je weniger angenommen werden kann, dass die von der Gefahr betroffenen Personen sich ihrerseits vor Schädigungen vorzusehen und zu sichern wissen. Die Verkehrssicherungspflicht entfällt bei Schaffung oder Duldung einer besonderen Gefahrenquelle nicht schon dann, wenn jemand ohne Gestattung in einen fremden Bereich eingedrungen ist. Besteht die Möglichkeit, dass Personen versehentlich in den Gefahrenbereich gelangen oder dass Kinder und andere Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, gefährdet werden oder besteht eine ganz unerwartete und große Gefährdung, so kann eine Interessenabwägung ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle dennoch zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen zu ergreifen hat.

 

Künstlich auf Straßen geschaffene Hindernisse und Gefahrenquellen sind, wenn sie nicht entfernt werden können, jedenfalls so abzusichern, dass sie auch bei schlechten Sichtverhältnissen für vernünftige Durchschnittsfahrer keine ernstliche Gefahr darstellen. Für das Verschulden reicht es aus, dass der Verletzer die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der betreffenden Art im Allgemeinen hätte erkennen müssen. Der Verkehrssicherungspflichtige hat zu beweisen, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat oder dass deren Einhaltung unzumutbar gewesen ist.

 

Grundsätzlich ist derjenige nicht schutzwürdig, der sich unbefugt in den Gefahrenbereich begeben hat, weil er nicht damit rechnen kann, dass Schutzmaßnahmen zu Gunsten unbefugt Eindringender getroffen werden.

 

Klar ist, dass der Waldeigentümer vorbehaltlich § 176 Abs 4 ForstG keine Verpflichtung zur Gefahrenabwehr bezüglich solcher Gefahren hat, die sich aus dem (natürlichen) Waldzustand ergeben. Zum Grundstückszubehör gehören auch Einfriedungen, die im direkten Zusammenhang mit der Durchführung von Waldbewirtschaftungsarbeiten stehen.

 

Der Kläger und seine Frau waren zweifellos befugt, durch das Waldstück zu gehen. Sie mussten grundsätzlich selbst auf die natürlichen Gefahren des Waldes achten. Fest steht, dass der Stacheldraht für den Kläger nicht sichtbar war.

 

Ursprünglich wurde der Stacheldrahtzaun aus forstwirtschaftlichen Gründen, nämlich zum Schutz des Jungwalds vor Weidevieh errichtet. Diese Funktion hat der nun schon seit vielen Jahren in der Natur liegende Stacheldraht längst verloren. Nicht nur das, er wurde auch von Pflanzen überwuchert und lag nicht mehr sichtbar am Boden. Damit wurde er zu einer für den durchschnittlichen Waldbenützer nicht erkennbaren und auch nicht zu erwartenden Gefahr, zumal er sich nach den Feststellungen über den gesamten Waldhang erstreckte. Er ist mit der (natürlichen) Beschaffenheit des Waldbodens nicht gleichzusetzen, sondern stellte eine unsichtbare, künstlich geschaffene Gefahrenquelle dar.

 

Diese Gefahrenquelle musste den Repräsentanten der Beklagten bekannt sein, forderten sie doch seinerzeit das Aufstellen des Stacheldrahtzauns von den Weidegenossenschaften. Sie ordneten auch jährlich an, ob der Stacheldraht weiter benötigt werde oder abgebaut werden könne. Hier ließen sie den Stacheldraht, der sich über einen ganzen Waldhang erstreckte, bestehen, obwohl er seinen Zweck schon längst nicht mehr erfüllt hat. Es ist für jedermann einsichtig, dass der Zaun im Laufe der Jahre zu Boden sinken kann und von der Natur überwuchert wird. Dennoch wurde der Stacheldraht einfach im Wald belassen. Damit wurde eine Gefahrenquelle geschaffen, die nicht iZm dem Wald und seiner Bewirtschaftung steht. Die Beklagte hätte nach dem Ingerenzprinzip für die Absicherung oder Beseitigung der Gefahrenquelle sorgen müssen. Die Entfernung des Stacheldrahts war der Beklagten auch zumutbar. Sie hätte lediglich dafür sorgen müssen, dass er von den Weideberechtigten oder eigenen Mitarbeitern entfernt wird, so wie dies in der Vergangenheit in anderen Waldgebieten auch gehandhabt wurde.