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31.01.2012 Verfahrensrecht

OGH: § 355 EO – zur Frage, welche Handlungen einem Verpflichteten, der Inhalte im Internet zu beseitigen hat, zumutbar sind

Jedenfalls nach der Weigerung des Betreibers, die rechtswidrige Information von seiner Internetseite zu nehmen, hat der Verpflichtete den Diensteanbieter vom Inhalt der EV und der daraus resultierenden Rechtswidrigkeit des Artikels zu verständigen und die Entfernung des Inhalts oder die Sperre des Zugangs dazu zu verlangen (iSd § 16 Abs 1 Z 2 ECG)


Schlagworte: Exekutionsrecht, Erwirkung von Duldungen und Unterlassungen, Beseitigung von Inhalten im Internet, Betreiber, Hosting-Provider, Aufforderung
Gesetze:

§ 355 EO, § 36 EO, § 16 ECG

GZ 3 Ob 190/11d [1], 14.12.2011

 

Der Impugnationskläger verfasste eine ehrenbeleidigende und kreditschädigende Äußerungen zu Lasten des beklagten Rechtsanwalts enthaltende Sachverhaltsdarstellung, die er dem Betreiber einer Internetseite übergab, der sie dort gemeinsam mit einem Artikel veröffentlichte. Deswegen wurden sowohl der Kläger als auch der Betreiber mit Einstweiliger Verfügung ua verpflichtet, „jegliche Verbreitung des Artikels […] samt Text der Anzeige (Sachverhaltsdarstellung [...]) zu unterlassen, und diesen Artikel nicht mehr abrufbar zu machen und/oder zu beseitigen.“ Nach Zustellung der EV am 1. Juli 2009 suchte der Kläger zunächst das Titelgericht auf und versuchte dann, mit dem Betreiber Kontakt aufzunehmen, was ihm vorerst nicht gelang. Als er diesen schließlich erreichte, verweigerte dieser die Entfernung des Artikels samt Anzeige von seiner Internetseite.

 

OGH: Mit der Behauptung, auch eine Löschung der Strafanzeige von der Internetseite des Betreibers hätte aus technischen Gründen nicht garantiert, dass die vom Beklagten bekämpften Behauptungen aus dem Internet verschwunden wären, macht der Kläger - entgegen seiner Argumentation - nicht die ex ante erkennbare Gewissheit der Unmöglichkeit der Einhaltung der nach dem Exekutionstitel geschuldeten Verpflichtung geltend, den Artikel samt Anzeige im Internet nicht mehr abrufbar zu machen oder daraus zu beseitigen. Er gesteht damit vielmehr selbst zu, der gewünschte Erfolg könne eintreten. Von vorne herein aussichtslosen Handlungen oder vergeblichen Mitteln, wie sie die Revision darzustellen versucht, ist daher nicht einmal im erstinstanzlichen (und deshalb wesentlichen) Vorbringen des Klägers die Rede.

 

Daher war er nach Zustellung der sofort vollstreckbaren EV verpflichtet, sogleich alles Zumutbare zu unternehmen, um die darin titulierte Verpflichtung erfüllen zu können. Nur wenn er dem nachkam, kann er sich darauf berufen, ohne jedes Verschulden dem Exekutionstitel zuwider gehandelt zu haben, wofür den Impugnationskläger die Behauptungs- und Beweislast trifft.

 

Die Aufforderungen an den Betreiber, den Artikel samt Anzeige von seiner Internetseite zu nehmen, bilden schon deshalb nur eine Mindestmaßnahme, weil dieser ja ohnehin durch die EV selbst verpflichtet war, was dem Kläger aus dem Text der EV bekannt sein musste.

 

Da der Exekutionstitel für den Kläger nicht auf eine Verpflichtung zur (psychischen) Einwirkung auf den Betreiber beschränkt ist, sondern ihn ebenso wie den Betreiber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Artikel samt Anzeige im Internet nicht mehr abrufbar ist oder daraus beseitigt wird, hatte der Kläger sofort und schon vor Kenntnis der Weigerung des Betreibers sowie unabhängig davon auch andere, va rechtliche (aber auch allfällige tatsächliche) Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, um das zu erreichen oder zu bewirken, zumindest aber sich darüber Kenntnis zu verschaffen.

 

Dass solche Möglichkeiten bestanden, gesteht der Kläger nunmehr in der Revision ausdrücklich zu, insbesondere die Aufforderung an den entsprechenden Hosting-Provider (hier: W*****) iSd § 16 Abs 1 Z 2 E-Commerce-Gesetz, ECG; sie sind auch durch die festgestellten, keineswegs ausufernden und dennoch rasch erfolgreichen Bemühungen des Beklagten dokumentiert. Die - ohnehin überschießende - Negativfeststellung des Erstgerichts zum Erfolg solcher Maßnahmen, hätte sie der Kläger ergriffen, geht wegen der ihn treffenden Beweislast ohnehin zu seinen Ungunsten, weil ihm damit der Nachweis nicht gelungen ist, die unterlassenen Maßnahmen hätten ohnehin keinesfalls die geschuldete Beseitigung herbeigeführt.

 

Wenn sich der Kläger - trotz der Behauptungen des Beklagten schon in erster Instanz - erstmals in der Revision darauf beruft, er habe davon keine Kenntnis gehabt, was ihm als durchschnittlichem Nutzer/Verbraucher nicht vorwerfbar sei, verstößt er schon gegen die Eventualmaxime des § 36 Abs 2 EO, jedenfalls aber auch gegen das Neuerungsverbot. Abgesehen davon verkennt er seine Position als Nutzer des Internets. Er trat nämlich nicht als (passiver) Konsument auf, der aus dem Internet Informationen bezieht, sondern hat zu vertreten, dass das Internet zur aktiven Verbreitung eines rechtswidrigen, von ihm stammenden Inhalts verwendet wurde. Dem entsprechend ist an die Informationspflicht des Klägers jedenfalls ein besonders strenger Maßstab anzulegen, weshalb ihn (allfällige) Unkenntnis von den vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten nicht exkulpieren kann.

 

Aus § 16 Abs 1 Z 2 ECG ergibt sich, dass den Hosting-Provider die Verpflichtung trifft, bei Bekanntwerden (offensichtlich) rechtswidriger Inhalte die entsprechenden Beiträge zu entfernen oder den Zugang dazu zu sperren. Daraus ist die Pflicht des Klägers abzuleiten, jedenfalls nach der Weigerung des Betreibers, den Artikel samt Anzeige von seiner Internetseite zu nehmen, W***** vom Inhalt der EV und der daraus resultierenden Rechtswidrigkeit des Artikels zu verständigen und die Entfernung des Inhalts oder die Sperre des Zugangs dazu zu verlangen; dass dies die primäre, weil effektivste vom Kläger zu treffende, aber auch erfolgversprechendste Maßnahme gewesen wäre, zeigt auch das vom Beklagten damit erzielte positive Ergebnis; im Übrigen ist der Nachweis ihrer Erfolglosigkeit ohnehin nicht erbracht. Auch an der Zumutbarkeit eines solchen Vorgehens sind angesichts der Einfachheit und Beschränkung auf ein Unternehmen nicht die geringsten Zweifel angebracht.

 

Hat der Kläger aber nicht einmal diese nahe liegende Maßnahme ergriffen, kann ihm schon deshalb nicht zugute gehalten werden, er habe alles Zumutbare unternommen, um dem gegen ihn ergangenen Exekutionstitel nachzukommen. Auf das weitere Unterlassen jeden Kontakts mit den Betreibern der (bekanntesten) Suchmaschinen des Internets kommt es dann aber gar nicht mehr entscheidend an. Jedenfalls ist ihm wegen seiner Passivität der Nachweis, es treffe ihn kein Verschulden daran, dem Exekutionstitel zuwider gehandelt zu haben, nicht gelungen.