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14.02.2012 Zivilrecht

OGH: Anbringung einer Videokamera bzw einer nicht als solche erkennbaren Videokameraattrappe durch einen Mieter an allgemeinen Flächen des Hauses?

Zur Vermeidung eines Eingriffs in die Privatsphäre anderer Hausbewohner durch einen nicht hinzunehmenden Überwachungsdruck darf bei diesen nicht der Eindruck entstehen, dass sie von einer systematischen, identifizierenden Überwachungsmaßnahme eines Mieters betroffen sind und sich etwa im Überwachungsbereich einer Videokamera befinden; eine solche Überwachungsmaßnahme darf sich nach Maßgabe des Eindrucks für einen unbeteiligten Betrachter grundsätzlich nur auf den eigenen gemieteten (Wohn-)Bereich des Mieters beziehen


Schlagworte: Mietrecht, Videokamera, Attrappe, Mieter, allgemeine Flächen des Hauses, Orts- bzw Verkehrsüblichkeit, Überwachungsdruck, Eingriff in die Privatsphäre, Aktivlegitimation des Vermieters, Güter- und Interessenabwägung, Schutz des Eigentums vor Einbrechern
Gesetze:

§ 1098 ABGB, § 16 ABGB, Art 8 EMRK

GZ 8 Ob 125/11g [1], 20.01.2012

 

OGH: Die Vorinstanzen haben an sich zutreffend zwischen dem Umfang des Gebrauchsrechts an der vermieteten Sache einerseits und dem Recht zur (Mit-)Benützung der Außenflächen des Bestandobjekts oder anderer allgemeiner Flächen andererseits unterschieden. Entsprechend dem Standpunkt der Klägerin sind sie davon ausgegangen, dass laut Mietvertrag die fragliche Außenwand der Wohnung der Beklagten und die Wand in der Sammelgarage nicht mitvermietet sind, sondern es sich dabei um allgemeine Flächen bzw sonstige allgemein benützte Einrichtungen des Hauses handelt.

 

Nach einhelliger Ansicht wird dem Bestandnehmer im Rahmen des Bestandzwecks auch ein Recht zur (Mit-)Benützung der Außenflächen des Bestandobjekts zugestanden, soweit er berechtigte Interessen daran hat, und weder das Haus beschädigt oder verunstaltet noch ein Nachbar gestört bzw sonst in seinen Interessen beeinträchtigt wird. Dementsprechend wird dem Mieter etwa das Recht auf Anbringung von Namens- oder Firmentafeln, von Geschäftsschildern, aber auch anderer Gegenstände wie Antennen, Automaten oder Markisen auch an der Außenfläche der von ihm gemieteten Räume zuerkannt, sofern das Haus nicht verunstaltet wird und andere Mieter nicht belästigt werden.

 

Die Anbringung solcher Gegenstände an anderen allgemeinen Flächen des Hauses, etwa im Hausflur, ist unter den dargestellten Bedingungen grundsätzlich nur mit Zustimmung des Vermieters gestattet, der diese allerdings nicht verweigern kann, wenn eine derartige Benützung der vereinbarten Benützung des Bestandobjekts oder dem Ortsgebrauch bzw der Verkehrsübung entspricht.

 

Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts kann die Orts- bzw Verkehrsüblichkeit des Anbringens von Videokameras bzw (nicht als solche erkennbaren) Videokameraattrappen zur Überwachung von Wohnungsbereichen und Pkw-Abstellplätzen durch einzelne Mieter nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass die Klägerin als Vermieterin (von der Datenschutzkommission geprüfte und registrierte) Videoüberwachungen an sicherheitsneuralgischen Orten in Gemeindebauten durchführt.

 

Davon abgesehen ist entscheidend, dass Nachbarn durch (vermeintliche) Überwachungsmaßnahmen nicht gestört oder belästigt werden. In dieser Hinsicht müssen auch deren Persönlichkeitsrechte beachtet und Beeinträchtigungen der Privatsphäre verhindert werden.

 

In der Entscheidung 6 Ob 6/06k wurde unter Hinweis auf die Entscheidung 8 Ob 108/05y auch der durch eine Videokameraattrappe geschaffene Überwachungsdruck auf einen Nachbarn als Eingriff in die Privatsphäre beurteilt. Müsse sich der Kläger immer kontrolliert fühlen, wenn er sein Haus betrete oder verlasse oder sich in seinem Garten aufhalte, so bewirkten Überwachungsmaßnahmen, selbst wenn das Gerät nur eine Attrappe einer Videokamera gewesen sein sollte, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Privatsphäre (Geheimnissphäre) des Klägers.

 

Nach den dargestellten Grundsätzen darf für Nachbarn bzw andere Mieter nicht der Eindruck des Überwachtwerdens entstehen. Den anderen Mietern ist auch ein berechtigtes Interesse daran zuzubilligen, dass das Betreten oder Verlassen ihrer Wohnung durch sie selbst, ihre Mitbewohner oder Gäste nicht überwacht bzw aufgezeichnet wird. Können diese Personen etwa durch den Standort oder die Ausrichtung einer Videokamera oder einer nicht als solche erkennbaren Videokameraattrappe die berechtigte Befürchtung haben, dass sie sich im Überwachungsbereich befinden und von den Aufnahmen bzw Aufzeichnungen erfasst sind, so ist ein Eingriff in die Privatsphäre grundsätzlich zu bejahen. In diesem Sinn gesteht auch die Beklagte zu, dass die Montage auch einer Videokameraattrappe einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre anderer Mieter darstellt, wenn diese den Eindruck bzw das subjektive Gefühl des Überwachtseins haben könnten.

 

Der Vorwurf des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht behauptet, dass die Videokameraattrappen auf allgemeine Teile des Hauses oder auf andere Bestandobjekte gerichtet gewesen wären, ist nicht berechtigt. Immerhin hat die Klägerin in ihrem Vorbringen darauf hingewiesen, dass sie als Vermieterin auch die Interessen anderer Mieter zu wahren und in diesem Sinn Vorsorge dafür zu treffen habe, dass auch nicht der Eindruck einer unzulässigen Videoüberwachung entstehe.

 

Demgegenüber hat die Beklagte nur vorgetragen, dass sie die Attrappen in dem zu ihrer Wohnung gehörigen Garten und in der Garage angebracht habe. Dass die Attrappen nach dem Eindruck für einen unbeteiligten Betrachter nur den eigenen Wohn- und Garagenbereich bzw nur die von ihr gemieteten Flächen erfassen würden, wurde von der Beklagten erstmals in der Berufungsbeantwortung vorgebracht.

 

Den Feststellungen lässt sich die Ausrichtung der Attrappen und der Eindruck, der bei einem unbeteiligten Betrachter über den Überwachungsbereich entstehen muss, nicht entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus diesen nur, dass die (überwachte) Terrasse der Beklagten vom allgemein zugänglichen Hof- bzw Hausgartenbereich nur durch einen etwa 1,10 m hohen Maschendrahtzaun abgetrennt ist. Daraus lässt sich nur die Sichtbarkeit der im Gartenbereich angebrachten Attrappe für andere Hausbewohner ableiten.

 

Die Frage des Vorliegens eines Eingriffs in die Privatsphäre anderer Hausbewohner lässt sich anhand der getroffenen Feststellungen somit noch nicht abschließend beurteilen.

 

Im vorliegenden Fall würden Überwachungsmaßnahmen, die die Privatsphäre anderer Mieter beeinträchtigen, zu einem Übergriff der beklagten Mieterin in der Benützung der Bestandsache führen. In einem solchen Fall wird auch dem Vermieter ein Anspruch gegen den Mieter zuerkannt, dass dieser die Überschreitung der Grenzen der zulässigen Benützung unterlässt. Daraus resultiert die auch unstrittige Aktivlegitimation der Klägerin.

 

Persönlichkeitsrechte sind absolute Rechte und genießen absoluten Schutz. Allgemein werden bei Persönlichkeitsverletzungen Unterlassungsansprüche zugelassen. Ein solcher Anspruch setzt kein Verschulden voraus; auch eine Abmahnung ist nicht erforderlich. Bei einem bereits erfolgten Verstoß stehen grundsätzlich auch Beseitigungsansprüche zu, die allerdings nicht von vornherein mit einem Entfernungsbegehren gleichgesetzt werden können. Da die Überwachung bzw die Schaffung des Eindrucks der Überwachung des eigenen Grundstücks und analog dazu auch die Überwachung des ausschließlich eigenen Wohn- und Garagenbereichs grundsätzlich als zulässig anzusehen sein wird, stößt das von der Klägerin erhobene allgemeine Entfernungsbegehren auf Bedenken. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung muss die Formulierung des Begehrens mit der Klägerin erörtert werden.

 

Sollte im fortgesetzten Verfahren aufgrund der Überwachungsmaßnahmen der Beklagten ein Eingriff in die Privatsphäre anderer Mieter und damit eine Beeinträchtigung rechtlicher Interessen dritter Personen zu bejahen sein, so wäre eine Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und zu beurteilen, ob dem durch die Überwachungsmaßnahmen begründeten Eingriff in die Privatsphäre auf Seiten der Beklagten ausreichende Gründe bzw Ziele entgegenstehen, die den Eingriff aufwiegen. Der Schutz des Eigentums vor Einbrechern stellt durchaus ein geeignetes Schutzziel dar. In der Entscheidung 6 Ob 6/06k wurde dazu beurteilt, dass für derartige Schutz- bzw Abschreckungsmaßnahmen die Überwachung des eigenen Grundstücks (hier des eigenen Wohn- bzw Garagenbereichs) genüge.