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21.02.2012 Zivilrecht

OGH: Umbuchung aller aus Betriebskosten resultierenden Guthaben auf das Rücklagenkonto der Liegenschaft – zur Frage, ob ein in § 34 Abs 4 WEG vorgesehener Beschluss mit den Stimmen der Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer gefasst werden kann

Im Rahmen des § 34 Abs 4 WEG können mit einfacher Mehrheit zunächst Beschlüsse rechtswirksam gefasst werden, die lediglich festlegen, wann und auf welche (andere, vom Gesetz abweichende) Weise Überschüsse den (einzelnen) berechtigten Wohnungseigentümern zukommen sollen, wie diese also den Wohnungseigentümern etwa durch Rückzahlung oder Verrechnung mit diese treffenden, fälligen anderen Zahlungspflichten (gegenüber der Eigentümergemeinschaft) gutgebracht werden; darüber hinausgehende Verfügungen über die aus Überschüssen resultierenden Ansprüche der Wohnungseigentümer bedürfen dagegen in der Regel einer Vereinbarung aller Wohnungseigentümer


Schlagworte: Wohnungseigentumsrecht, Abrechnung, Umbuchung aller aus Betriebskosten resultierenden Guthaben auf das Rücklagenkonto der Liegenschaft, Umlaufbeschluss, Mehrheit, Einstimmigkeit, Anfechtung
Gesetze:

§ 34 WEG 2002, § 31 WEG 2002, § 24 WEG 2002, § 52 WEG 2002

GZ 5 Ob 57/11k [1], 13.12.2011

 

Am 21. 11. 2008 fasste die Mehrheit der Wohnungseigentümer einen Umlaufbeschluss, womit die künftige Umbuchung aller aus Betriebskostenabrechnungen resultierenden Guthaben auf das Rücklagenkonto der Liegenschaft beschlossen wurde.

 

OGH: § 24 WEG regelt die Grundsätze der Willensbildung der Eigentümergemeinschaft. Demnach dient zur Willensbildung zwar vornehmlich die Eigentümerversammlung, doch können Beschlüsse auch - allenfalls auch ergänzend zu den in einer Eigentümerversammlung abgegebenen Erklärungen - auf andere Weise, etwa auf schriftlichem Weg, zustandekommen. Der erkennende Senat hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass sog Umlaufbeschlüsse, etwa in Form einer Unterschriftenliste, grundsätzlich zulässig sind, und zwar auch ohne dass zuvor eine gesonderte Beschlussfassung oder Verständigung über diese Vorgangsweise erfolgen müsste.

 

Bei einem schriftlichen Umlaufbeschluss, wie er hier in Frage steht, kommt die Entscheidung erst dann zustande, wenn auch dem letzten Miteigentümer Gelegenheit zur Äußerung geboten wurde. Die Bindung der Teilnehmer an ihre Abstimmungserklärung tritt dann ein, wenn sie allen anderen am Willensbildungsprozess Beteiligten zugegangen ist.

 

Nach § 52 Abs 1 Z 4 WEG ist im Verfahren außer Streitsachen über Anträge zu entscheiden, die die „Rechtswirksamkeit eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft (§ 24 Abs 6)“ zum Gegenstand haben. Von dieser Anordnung sind sämtliche Anträge, mit denen ein einzelner Wohnungseigentümer begehrt, die Rechtsunwirksamkeit eines Beschlusses wegen formeller Mängel, Gesetzwidrigkeit oder Fehlens der erforderlichen Mehrheit gerichtlich festzustellen, erfasst.

 

Der Antragsteller zieht als Anfechtungsgrund den der Gesetzwidrigkeit mit dem Argument heran, dass eine Beschlussfassung wie die gegenständliche nur mit Einstimmigkeit erfolgen könne, weil davon zivilrechtliche (eigentumsrechtliche) Ansprüche der Wohnungseigentümer betroffen seien, die aufgrund einer Abrechnung Anspruch auf Rückforderung eines Überschusses haben.

 

§ 34 Abs 4 WEG regelt, dass, sofern nichts anderes vereinbart oder beschlossen wird, ein sich aus der Bewirtschaftungskostenabrechnung nach § 34 WEG zugunsten eines Wohnungseigentümers ergebender Überschussbetrag auf dessen künftige Vorauszahlungen auf die Aufwendungen für die Liegenschaft gutzuschreiben ist.

 

Nach der gesetzlichen Lage hat also bei den laufenden Vorauszahlungen der Hausbewirtschaftungskosten eine entsprechende Gutschrift zu erfolgen, nicht aber ist der Saldo in die nächste Abrechnung vorzutragen. Überschüsse sollen entsprechend den schon bisher gegebenen Gepflogenheiten im wohnungseigentumsrechtlichen Geschehen nicht zurückgezahlt, sondern auf die Vorauszahlungen auf die Aufwendungen gutgeschrieben werden. In den ErläutRV heißt es dazu (nur):

 

„In Umsetzung mehrerer Anregungen aus dem Begutachtungsverfahren werden hier entsprechend den diesbezüglichen Regelungen im Heizkostenabrechnungsgesetz Anordnungen darüber vorgesehen, was mit einem sich aus der Abrechnung ergebenden Überschuss oder Fehlbetrag zu geschehen hat und wer im Fall eines Eigentümerwechsels während der Abrechnungsperiode zahlungspflichtig bzw rückforderungsberechtigt ist. Auf die Parallelbestimmungen in § 21 Abs 3 und 5 des Heizkostenabrechnungsgesetzes und in § 21 Abs 3 des Mietrechtsgesetzes sei hingewiesen.“

 

Das sich aus der Abrechnung ergebende Guthaben begründet eine Forderung des Wohnungseigentümers gegen die Eigentümergemeinschaft, allerdings nach der gesetzlichen Regelung des § 34 Abs 4 WEG nicht unmittelbar auf Rückzahlung eines Vorschusses iSd § 1435 ABGB, sondern auf Anrechnung auf die künftigen (laufenden) Vorauszahlungen.

 

Die gesetzliche Regelung des § 34 Abs 4 WEG ist disponibel, sieht diese Bestimmung doch vor, dass von ihr mit Vereinbarung oder Beschluss abgewichen werden kann. Allerdings wird der zulässige Inhalt der Abweichungen von der gesetzlichen Regelung je nach gewählter Form der Willensbildung nicht klargestellt. Jedenfalls indiziert der Begriff „Vereinbarung“, dass sie von allen Wohnungseigentümern gemeinsam getroffen werden muss, sei es im Wohnungseigentumsvertrag oder danach. Welche Art der Willensbildung (Vereinbarung/Mehrheitsbeschluss) notwendig ist, muss nach dem durch die damit angestrebte Maßnahme jeweils verbundenen Eingriff in die Rechtsposition der Wohnungseigentümer beurteilt werden:

 

Im Rahmen des § 34 Abs 4 WEG können mit einfacher Mehrheit zunächst Beschlüsse rechtswirksam gefasst werden, die lediglich festlegen, wann und auf welche (andere, vom Gesetz abweichende) Weise Überschüsse den (einzelnen) berechtigten Wohnungseigentümern zukommen sollen, wie diese also den Wohnungseigentümern etwa durch Rückzahlung oder Verrechnung mit diese treffenden, fälligen anderen Zahlungspflichten (gegenüber der Eigentümergemeinschaft) gutgebracht werden. Darüber hinausgehende Verfügungen über die aus Überschüssen resultierenden Ansprüche der Wohnungseigentümer bedürfen dagegen in der Regel einer Vereinbarung aller Wohnungseigentümer.

 

Durch den bekämpften Beschluss der Mehrheit der Wohnungseigentümer soll offenbar eine endgültige Verfügung über die Ansprüche der Wohnungseigentümer aus den Überschüssen dahin getroffen werden, dass diese der Rücklage, damit dem Sondervermögen der Eigentümergemeinschaft (§ 31 Abs 2 WEG), zugeführt werden und zwar auch für alle Zukunft und ohne Klärung des Umfangs und der künftigen Behandlung gegebenenfalls bislang und in Zukunft nicht hereingebrachter bzw uneinbringlicher Betriebskostenbeträge. Eine derart weitgehende Disposition über bestehende und auch künftige Überschüsse der Wohnungseigentümer iSd Überlassung der entsprechenden Beträge an einen anderen Rechtsträger überdies ohne Klärung der Frage der Einbringlichkeit ist nur aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses jedenfalls nicht zulässig.

 

Dem bekämpften Beschluss ist auch nicht - zumal mit der erforderlichen Klarheit - eine selbständige Entscheidung auf Erhöhung der Rücklage in einem ziffernmäßig bestimmten Ausmaß zu entnehmen; damit scheidet auch die Möglichkeit aus, dass den Wohnungseigentümern die Überschüsse durch eine exakt nachvollziehbare Verrechnung mit sie treffenden Zahlungspflichten für eine erhöhte Rücklage gutgebracht werden.

 

Diese Erwägungen haben zur Beseitigung des vom Antragsteller bekämpften Beschlusses zu führen. Sein Revisionsrekurs war daher berechtigt.