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12.03.2012 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage der Behandlung von Forderungen der Abgabenbehörden in Insolvenzverfahren aufgrund von Haftungsbescheiden (§§ 9, 80 BAO)

Eine bloß an die Tätigkeit anknüpfende Zahlungspflicht (wie eben eine Haftung nach §§ 9, 80 BAO) verschafft in keiner Weise Vermögenswerte, die der Masse zugute kommen können


Schlagworte: Insolvenzrecht, Abgaben, Vertreterhaftung, Haftungsbescheid, Masseforderungen
Gesetze:

§ 46 IO

GZ 6 Ob 231/11f [1], 16.02.2012

 

OGH: Nach stRsp des OGH hat der Insolvenzverwalter ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, dass eine als Masseforderung geltend gemachte Forderung nicht zu den vorrangig zu befriedigenden Forderungen gehört, also nicht Masseforderung ist.

 

Nach ebenfalls stRsp des OGH hat das Gericht die Frage, ob eine Abgabenforderung eine Masseforderung ist, nach Maßgabe der Bestimmungen des Insolvenzrechts zu entscheiden. Dies gilt auch für die Frage, ob eine von der Abgabenbehörde geltend gemachte Forderung überhaupt im Insolvenzverfahren zu berücksichtigen ist.

 

Das Finanzamt Innsbruck gründete seine als Masseforderung qualifizierte Forderung auf gem §§ 9, 80 BAO gegen den Gemeinschuldner erlassene Haftungsbescheide. Nach diesen Bestimmungen haftet ua der Geschäftsführer einer GmbH neben der abgabenpflichtigen Gesellschaft für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der dem Geschäftsführer auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Die Haftung des Geschäftsführers wird mit Erlassung des Haftungsbescheids konstitutiv begründet, wodurch die Gesellschaft und der Geschäftsführer Gesamtschuldner werden. Die Haftung ist einem zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch nachgebildet, hat doch die begründete Mitschuld ein pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers und einen dadurch bewirkten (zu befürchtenden) Einnahmeausfall der Abgabenbehörde zur Voraussetzung; durch die Normierung dieser Mithaftung im Abgabenverfahren ist die Einbringung einer Schadenersatzklage entbehrlich.

 

Nach hA sind nach Insolvenzeröffnung entstandene Ersatzansprüche gegen den Gemeinschuldner aus seinen persönlichen rechtswidrigen Handlungen nach der Insolvenzordnung weder Insolvenz- noch Masseforderungen. Soweit sich die in RIS-Justiz RS0124734 indizierten Entscheidungen mit schadenersatzrechtlichen Feststellungsbegehren gegenüber dem Insolvenzverwalter befassen, fand das haftungsbegründende Fehlverhalten des Gemeinschulders jeweils vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens statt.

 

Angesichts der rechtlichen Qualifikation der durch Bescheide nach §§ 9, 80 BAO entstehenden Mithaftung des Vertreters einer juristischen Person (3.) infolge dessen rechtswidrigen, schuldhaften Verhaltens erscheint es nicht zweifelhaft, dass die dargestellte hA auch auf Forderungen aus Haftungsbescheiden Anwendung zu finden hat.

 

Die den Haftungsbescheiden zugrunde liegenden Abgabenverpflichtungen der vom Gemeinschuldner vertretenen Gesellschaft entstanden ausschließlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Damit sind aber die diesem Verfahren zugrunde liegenden Forderungen des Finanzamts Innsbruck weder Masseforderungen noch Insolvenzforderungen (hinsichtlich der Verneinung von Insolvenzforderungen daher zutreffend VwGH 2002/14/0123; der in der Revision daraus gezogene Umkehrschluss, dann müsse es sich um Masseforderungen handeln, ist nicht zwingend).

 

Darüber hinaus bedarf es einer zeitlichen und einer sachlichen Voraussetzung, um iSd § 46 Abs 1 Z 2 IO (ebenso § 46 Abs 1 Z 2 KO vor dem IRÄG 2010) davon sprechen zu können, dass eine öffentliche Abgabe „die Masse trifft“. Die Arbeitskraft des Gemeinschuldners bildet jedoch keinen Massebestandteil, weshalb - unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen - in die Insolvenzmasse nur der Erwerb fällt, der dem Gemeinschuldner während der Insolvenz zufließt, und zwar der reine Erlös aus seiner Erwerbstätigkeit, also der Nettoerwerb. Hieraus hat der OGH bereits abgeleitet, dass nur jene nach den persönlichen Verhältnissen des Gemeinschuldners bemessenen öffentlichen Abgaben Masseforderungen sein können, die auf das für die Insolvenzmasse nach Insolvenzeröffnung erzielte Einkommen entfallen, hier also etwa ein Entgelt als Geschäftsführer der Gesellschaft (durch die Insolvenzeröffnung wird ja dessen Geschäftsführungsbefugnis nicht berührt). Eine bloß an die Tätigkeit anknüpfende Zahlungspflicht (wie eben eine Haftung nach §§ 9, 80 BAO) verschafft aber in keiner Weise Vermögenswerte, die der Masse zugute kommen können.