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19.03.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage der Nichtigkeit einer in AGB enthaltenen Bestimmung, wonach die Haftung für Schadenersatzansprüche mangels einer binnen drei Tagen erfolgten schriftlichen Anzeige entfällt

Misst man die hier in Frage stehende dreitägige Frist für die Geltendmachung von Schäden am dispositiven Recht, zeigt sich, dass auch das anerkennenswerte rasche Klarstellungsinteresse der Beklagten eine gegenüber der gesetzlichen Verjährungsregelung des § 1486 ABGB von drei Jahren so weitgehende Einschränkung der Frist nicht rechtfertigt


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Geltendmachung von Schäden, Einschränkung der Frist, Werkvertrag, Mängelrüge, gröbliche Benachteiligung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 864a ABGB, § 879 Abs 3 ABGB, § 1486 ABGB, §§ 1165 ff ABGB, § 377 UGB

GZ 10 Ob 93/11s [1], 14.02.2012

 

Die Klägerin wurde bei einem Bauvorhaben (Einfamilienhaus) in Wien mit der Lieferung, Montage und der Endreinigung sämtlicher Fensterkonstruktionen beauftragt. Die Beklagte legte der Klägerin für die Durchführung der „Fensterreinigung der Fixglaselemente und Normalfenster innen und außen, Glasgeländer 2. OG beidseitig, Glaslift innen und außen“ ein Anbot zum Pauschalpreis von 1.800 EUR exklusive Mehrwertsteuer. Nicht mehr strittig ist, dass auf diesen Geschäftsfall die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten anzuwenden sind, die auszugsweise wie folgt lauten:

 

„7. Haftung

Schadenersatzansprüche werden ausgeschlossen, soweit der Schaden durch leichte Fahrlässigkeit verursacht wurde. ... [Für] Schäden, die dem Auftragnehmer nicht innerhalb von drei Tagen vom Auftraggeber schriftlich gemeldet werden, entfällt die Haftung. Das Vorliegen grober Fahrlässigkeit hat der Geschädigte zu beweisen ...“.

 

OGH: Gem § 879 Abs 3 ABGB ist eine Vertragsbestimmung in AGB oder Vertragsformblättern, die - wie hier - nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, jedenfalls dann nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Vertragsverhältnisses einen Teil gröblich benachteiligt. Bei der in einem beweglichen System vorzunehmenden Angemessenheitskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB hat sich der Rechtsanwender am dispositiven Recht als dem Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs zu orientieren. Abweichungen vom dispositiven Recht können uU schon dann eine gröbliche Benachteiligung sein, wenn sich dafür keine sachliche Rechtfertigung ins Treffen führen lässt, jedenfalls aber dann, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur Rechtsposition des anderen steht. Die Beurteilung, ob die Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm sachlich gerechtfertigt ist, erfordert damit, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, eine umfassende, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessenabwägung.

 

Der Beurteilung einer vertraglichen Abrede als sittenwidrig iSd § 879 Abs 3 ABGB steht es nicht entgegen, wenn beide Vertragspartner Kaufleute sind; allenfalls ist im Einzelfall eine besonders gravierende Ungleichgewichtslage in den durch den Vertrag festgelegten Rechtspositionen zu fordern. Je weniger die Bevorzugung eines Vertragspartners - gemessen am dispositiven Recht - sachlich gerechtfertigt erscheint, desto eher wird auch im Handelsverkehr die Sittenwidrigkeit zu bejahen sein.

 

Die Beklagte und die Nebenintervenientin verweisen in diesem Zusammenhang auf die gesetzliche Regelung der Rügepflicht in § 377 UGB. Abs 1 dieser Gesetzesstelle bestimmt, dass im Falle eines beiderseitigen unternehmensbezogenen Geschäfts der Käufer dem Verkäufer Mängel der Ware, die er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang nach Ablieferung durch Untersuchung festgestellt hat oder feststellen hätte müssen, binnen angemessener Frist anzuzeigen hat. Nach den Gesetzesmaterialien soll die Frist für die Erhebung der Mängelrüge in § 377 UGB entschärft werden. Im Anschluss an Art 39 Abs 1 UN-Kaufrecht muss sie nicht mehr „unverzüglich“, sondern nur noch in angemessener Frist erhoben werden. Die Rsp erachtet hiezu im Zweifel eine Frist von 14 Tagen als angemessen. Dies wird auch weiterhin häufig zutreffen, allerdings soll diese Vermutung - anders als noch im Ministerialentwurf - nicht ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen werden, um die Beachtung der Umstände des Einzelfalls hier genügend Raum zu gewähren. Diese Regelung des § 377 UGB für den Warenkauf gilt gem § 381 UGB auch für den Kauf von Wertpapieren sowie für Werkverträge über die Herstellung körperlicher beweglicher Sachen und für Tauschverträge über körperliche bewegliche Sachen. Auf einen reinen Werkvertrag, bei dem keine ausreichenden Kaufvertragselemente vorliegen - wie im gegenständlichen Fall - ist hingegen nach der weiterhin maßgebenden bisherigen Rsp des OGH § 377 UGB im Weg des § 381 Abs 2 UGB auch nicht analog anzuwenden, weil die dem Kaufvertrag typischerweise inhärente Überprüfbarkeit der gelieferten „Ware“ fehlt und damit schon aufgrund der ratio legis eine analoge Anwendung des § 377 UGB ausscheidet. Nach dispositivem Recht ist daher die Geltendmachung vertraglicher Schadenersatzansprüche aus einem Werkvertrag nicht an eine rechtzeitige Schadensanzeige gebunden.

 

Die Parteien können allerdings die Übernahme des Regimes des § 377 UGB auch für Geschäfte, die nicht beiderseitig unternehmensbezogene Kaufverträge sind, grundsätzlich auch ausdrücklich vereinbaren.

 

Bei Anwendung der oa Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in der maßgebenden Klausel eine Unterscheidung danach, ob der beanstandete Mangel ohne weiteres erkennbar oder ob er verborgen war, nicht gemacht wird. Ein Verlust des Mängelrügerechts ist grundsätzlich nur dann zu rechtfertigen, wenn der Besteller oder Käufer zumutbaren, zur redlichen Abwicklung des Vertrags gebotenen Obliegenheiten nicht nachkommt. Eine Ausschlussfrist von drei Tagen, die erkennbare und versteckte Mängel gleichermaßen umfasst, beseitigt praktisch die Rügemöglichkeit des Bestellers völlig und ist daher als Klausel in AGB grundsätzlich unwirksam.

 

Aber selbst wenn man im Rahmen einer geltungserhaltenden Reduktion davon ausgeht, die gegenständliche Klausel umfasse nur die ohne weiteres erkennbaren Mängel, ist zu berücksichtigen, dass dem grundsätzlich anerkennenswerten Interesse der Beklagten, dass allfällige von ihr bei Baustellenreinigungen verursachte oder von ihr zu vertretende Schäden unverzüglich gerügt werden, das ebenso schutzwürdige Interesse der Klägerin gegenübersteht, berechtigte Ansprüche nicht vollständig zu verlieren. Misst man nun die hier in Frage stehende dreitägige Frist für die Geltendmachung von Schäden am dispositiven Recht, zeigt sich, dass auch das anerkennenswerte rasche Klarstellungsinteresse der Beklagten eine gegenüber der gesetzlichen Verjährungsregelung des § 1486 ABGB von drei Jahren so weitgehende Einschränkung der Frist nicht rechtfertigt. Sie ist daher als Klausel in AGB unwirksam. Die Geltendmachung der Schäden durch die Klägerin mit Schreiben vom 7. 9. 2009 war somit nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts rechtzeitig.