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19.03.2012 Zivilrecht

OGH: Zum Verhältnis zwischen den Ansprüchen auf Entschädigung nach den §§ 6 ff MedienG und auf immateriellen Schadenersatz wegen der Verletzung des Rechts am eigenen Bild nach § 87 Abs 2 UrhG

Das mit einem Schadenersatzanspruch nach § 87 Abs 2 iVm § 78 UrhG befasste Zivilgericht hat die Höhe des Ersatzes nach den in Rsp entwickelten Kriterien selbständig zu beurteilen, ohne dass es dabei zwischen der erlittenen Kränkung ieS und anderen von § 87 Abs 2 UrhG erfassten Nachteile unterscheiden müsste; im Medienverfahren zugesprochene Beträge sind auf den so ermittelten Anspruch anzurechnen


Schlagworte: Urheberrecht, Medienrecht, Bildnisschutz, immaterieller Schadenersatzanspruch, Kränkung, Konkurrenz, unterschiedliche Bewertung
Gesetze:

§ 87 UrhG, § 78 UrhG, §§ 6 ff MedienG

GZ 4 Ob 153/11w [1], 28.02.2012

 

OGH: Der Senat hat in der Entscheidung 4 Ob 287/97b ausführlich zum Verhältnis zwischen den Ansprüchen auf Entschädigung nach den §§ 6 ff MedienG und auf immateriellen Schadenersatz wegen der Verletzung des Rechts am eigenen Bild nach § 87 Abs 2 UrhG Stellung genommen. Danach hat die spätere Regelung im MedienG jener im UrhG nicht derogiert. Zwar werden, was die erlittene Kränkung betrifft, in beiden Fällen Ansprüche für denselben Schaden begründet. Es bestehen aber Unterschiede in den Anspruchsgrundlagen: Der Anspruch nach den §§ 6 ff MedienG ist verschuldensunabhängig und betraglich begrenzt; bei der Bemessung ist auch auf die Wahrung der wirtschaftlichen Existenz des Medienunternehmens Bedacht zu nehmen. Hingegen besteht der Anspruch nach § 87 Abs 2 UrhG nur bei Verschulden, die Haftung ist betraglich nicht begrenzt, und bei der Bemessung ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht zu berücksichtigen. Zudem geht der Anspruch nach § 87 Abs 2 UrhG über die erlittene Kränkung hinaus, er erfasst insbesondere auch (äußere) Persönlichkeitsschäden wie die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufs und des sozialen Ansehens.

 

Beträge, die in einem medienrechtlichen Verfahren als Entschädigung für die erlittene Kränkung zugesprochen wurden, sind wegen der insofern jedenfalls bestehenden Anspruchskonkurrenz auf den Anspruch nach § 87 Abs 2 UrhG anzurechnen. Gleiches gilt - soweit es um die zugefügte Kränkung geht - auch in die umgekehrte Richtung.

 

Das Berufungsgericht hat aus 4 Ob 287/97b abgeleitet, dass Zivilgerichte einen über die medienrechtliche Entschädigung hinausgehenden Schadenersatz nur zusprechen könnten, wenn die Betragsgrenzen des Medienrechts ausgeschöpft worden seien oder der Kläger Nachteile geltend mache, die von der Entschädigung nicht erfasst würden. Da das hier nicht zutreffe, seien die Ersatzbegehren abzuweisen. Der Senat teilt diese Auffassung nicht.

 

Wie schon in 4 Ob 287/97b dargelegt, haben die Ansprüche nach den §§ 6 ff MedienG und nach § 87 Abs 2 iVm § 78 UrhG unterschiedliche Grundlagen; sie sind auch in verschiedenen Verfahren geltend zu machen. Das kann zu einer unterschiedlichen Bewertung der durch dasselbe Verhalten verursachten immateriellen Nachteile führen: Der zivilrechtliche Anspruch besteht nur bei Verschulden, wobei der Grad des Verschuldens uU auch bei der Bestimmung der Höhe des Ersatzes Bedeutung bekommen kann; eine Obergrenze gibt es hier nicht. Beides ist bei der medienrechtlichen Entschädigung anders. Hier ist nicht ausgeschlossen, dass die Entschädigung im Einzelfall unter Bedachtnahme auf die jeweils möglichen Höchstbeträge geringer ausgemessen wird als beim Fehlen einer solchen Obergrenze. Wegen der Verschuldensunabhängigkeit ist auch nicht anzunehmen, dass die konkrete Vorwerfbarkeit des Verhaltens in angemessener Weise in die Bemessung der Entschädigung einfließt. Schließlich können die Tatbestände der §§ 6 ff MedienG auch ohne Lichtbildveröffentlichung erfüllt sein; mangels gesetzlicher Anordnung ist nicht sichergestellt, dass das Strafgericht den besonderen Unwert und die spezifischen Folgen einer auch nach § 78 UrhG unzulässigen Lichtbildveröffentlichung angemessen berücksichtigt.

 

Der Gesetzgeber hat die Konkurrenzproblematik ungeregelt gelassen; damit hat er die Möglichkeit einer unterschiedlichen Bewertung hingenommen. Daher hat es grundsätzlich bei der eigenständigen, also von allfälligen Vorentscheidungen der Strafgerichte unabhängigen Beurteilung des Schadenersatzes nach § 87 Abs 2 iVm § 78 UrhG durch die hiefür nach § 1 JN zuständigen Zivilgerichte zu bleiben. Der Gefahr einer Doppelentschädigung wird ohnehin durch die Anrechnung einer bereits zugesprochenen Entschädigung entgegengewirkt.

 

Für dieses Ergebnis sprechen auch praktische Erwägungen. Die vom Berufungsgericht angenommene Bindung könnte sich jedenfalls nur auf die Bewertung der „Kränkung“ beziehen. Daher müsste im Zivilprozess streng zwischen dieser Kränkung und anderen Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens wie der Schädigung des sozialen Ansehens und des wirtschaftlichen Rufs unterschieden werden; die letztgenannten Nachteile wären jedenfalls nach § 87 Abs 2 UrhG abzugelten. Gerade diese Differenzierung wird aber wegen der Wechselwirkungen zwischen den beiden Schadenskategorien oft nur schwer möglich sein. Das zeigt sich auch im vorliegenden Fall, in dem man durchaus annehmen kann, dass durch die falschen Berichte auch das soziale Ansehen des Klägers beeinträchtigt wurde. Folgt man dieser Auffassung, wäre zumindest ein Teil der geltend gemachten Schadenersatzansprüche auch nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts berechtigt.

 

Eine Differenzierung zwischen den einzelnen Schadenskategorien müsste erfolgen, wenn der Gesetzgeber eine ausdrückliche Regelung in diesem Sinn getroffen hätte. Da dies unterblieben ist, kann es bei der Globalbemessung des Schadenersatzes nach § 87 Abs 2 iVm § 78 UrhG bleiben.

 

Im konkreten Fall haben die beanstandeten Lichtbildveröffentlichungen das Persönlichkeitsrecht des Klägers in hohem Maße beeinträchtigt. In der breiten Öffentlichkeit zu Unrecht als tot bezeichnet zu werden führt zu einer schwerwiegenden Kränkung. Zwar ist eine solche Behauptung - anders als oft der Vorwurf einer strafbaren Handlung - eher leicht widerlegbar. Dennoch konnte sich der Kläger über Monate nicht sicher sein, wer von seinen Bekannten ihn immer noch für einen (mittelbaren) Selbstmörder hielt. Darin liegt auch eine grobe Minderung seines sozialen Ansehens. Das Verschulden der Verantwortlichen in den Redaktionen der Beklagten, das bei der Bemessung des Schadenersatzes zu berücksichtigen ist, wiegt schwer. Denn sie haben offenkundig auf gut Glück im Internet ein Foto zur Illustration ihrer Berichte gesucht, ohne sich darum zu kümmern, ob es tatsächlich die betroffene Person zeigte. Dass es dabei zu Verwechslungen kommen konnte, musste auch für sie auf der Hand liegen. Auf dieser Grundlage ist der jeweils geltend gemachte Anspruch auch unter Bedachtnahme auf die bereits im Medienverfahren zugesprochenen Entschädigungen angemessen. Zu den Schadenersatzbegehren ist daher die stattgebende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.