OGH > Zivilrecht
27.03.2012 Zivilrecht

OGH: Kurzzeitvermietung an Touristen (Ferienwohnungen) in einem als Wohnung gewidmeten Wohnungseigentumsobjekt?

Die mit der mehr als ein Drittel der Wohnungen erfassenden Nutzung durch Abschluss von Beherbergungsverträgen auch bei nur halber Auslastung pro Jahr zwangsläufig verbundene hohe Frequentierung des Wohnhauses durch ständig wechselnde hausfremde Personen, die einem Hotelbetrieb sehr nahe kommt, entspricht grundsätzlich nicht den Erwartungen der Erwerber einer Eigentumswohnung bei Vertragsabschluss und deren Interessen in einem ausschließlich zu Wohnzwecken gewidmeten Gebäude; sie ist daher geeignet, deren schutzwürdige Interessen iSd § 16 Abs 2 Z 1 WEG 2002 zu beeinträchtigen


Schlagworte: Wohnungseigentumsrecht, Widmungsänderungen, Kurzzeitvermietung an Touristen, Beherbungsvertrag, Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen, Eigentumsfreiheitsklage
Gesetze:

§ 16 Abs 2 WEG 2002, § 52 WEG, §§ 1090 ff ABGB, § 523 ABGB

GZ 3 Ob 158/11y [1], 08.11.2011

 

OGH: Der in § 16 Abs 2 WEG 2002 verwendete Begriff „Änderungen“ ist sehr weit auszulegen und erfasst demnach grundsätzlich auch alle Umwidmungen; jede Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte (wofür also schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung genügt), bedarf der Zustimmung aller Mitglieder der Eigentümergemeinschaft oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG. Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig Änderungen einschließlich Widmungsänderungen iSd § 16 Abs 2 WEG vornimmt, kann nach stRsp auch jeder einzelne Wohnungseigentümer mit Unterlassungs- bzw Beseitigungsklage nach § 523 ABGB im streitigen Rechtsweg vorgehen. Vom Streitrichter ist in einem solchen Fall die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfrage über die Berechtigung des Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen; die Genehmigungsfähigkeit ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

 

Für die Frage der Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts ist auf die privatrechtliche Einigung der Wohnungseigentümer (in der Regel im Wohnungseigentumsvertrag) abzustellen; spätere Widmungsänderungen können konkludent die Zustimmung aller Miteigentümer und Wohnungseigentümer finden, etwa durch die jahrelange widerspruchslose Hinnahme eines konsenslosen faktischen Zustands oder durch gemeinsame Bemühungen, Abweichungen vom ursprünglichen Bauplan über eine Neufestsetzung der Nutzwerte zu sanieren. Das Vorliegen (und die Zulässigkeit) einer Widmungsänderung kann nur beurteilt werden, wenn man die gültige Widmung des betreffenden Objekts der beabsichtigten Verwendung gegenüberstellt.

 

In diesem Zusammenhang stellte der OGH bereits klar, dass etwa der Betrieb einer Arztpraxis in einem als Wohnung gewidmeten Wohnungseigentumsobjekt eine genehmigungsbedürftige Änderung darstellt, wenn die Widmung jegliche Geschäftstätigkeit ausschließt; davon ist bei einer reinen Widmung zu Wohnzwecken („Wohnung“) auszugehen. Dass eine solche Umwidmung in außerstreitigen Wohnrechtsverfahren häufig genehmigt wird, weil keine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer vorliegt, lässt nicht den Schluss zu, es liege gar keine genehmigungsbedürftige Änderung vor.

 

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die ursprüngliche Widmung sämtlicher Wohnungs-eigentumsobjekte auf der Liegenschaft, daher jener, die nunmehr im Eigentum der Beklagten stehen, auf „Wohnung“ lautete.

 

Die von den Beklagten eingewendete und vom Erstgericht angenommene konkludente Umwidmung durch jahrelange Duldung der Art der von den Beklagten praktizierten Vermietung durch die übrigen Wohnungseigentümer muss schon daran scheitern, dass weder behauptet noch festgestellt wurde, ob und allenfalls seit wann den übrigen Wohnungseigentümern diese Praxis bekannt war. Auch die Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf ein Recht setzt aber gewisse Kenntnisse des Erklärenden (Duldenden) über die im Zeitpunkt seines Verhaltens vorliegenden maßgeblichen, rechtsbegründenden Umstände voraus, ohne die das Verhalten nicht die Rechtsfolgen schlüssiger Willenserklärungen hat.

 

Es ist daher auch hier von einer jede Geschäftstätigkeit ausschließenden Widmung der von der Unterlassungsklage betroffenen Wohnungseigentumsobjekte auszugehen.

 

Mit der Entscheidung des OGH zu 5 Ob 106/06h wurde klargestellt, dass dem Wohnungseigentümer im Regelfall auch das Recht zusteht, sein Objekt zu vermieten, ohne dass dies der Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer bedürfte.

 

Vom reinen Mietvertrag, bei dem nur die Wohnmöglichkeit zur Verfügung gestellt wird, unterscheidet sich der Beherbergungsvertrag (Hotelaufnahmevertrag, Gastaufnahmevertrag) als im Gesetz nicht ausdrücklich geregelter Vertrag, der Elemente des Mietvertrags, aber auch solche des Dienstvertrags, Werkvertrags und Kaufvertrags enthält und damit eine Beurteilung als Vertrag sui generis rechtfertigt. Für die Abgrenzung des Gastaufnahmevertrags vom reinen Bestandsvertrag ist entscheidend, ob dem Gast neben der Wohnmöglichkeit auch Verpflegung gewährt und für seine Bedienung gesorgt wird. Es kommt jeweils auf die Vertragsgestaltung im Einzelfall an, von der die rechtliche Einordnung abhängt. Zu den wesentlichen Merkmalen einer Vermietung im Rahmen des Betriebs eines Beherbergungsunternehmens (§ 1 Abs 2 Z 1 MRG) zählen nach der Judikatur (ua) die Überlassung der Räume mit bestimmten Dienstleistungen wie Reinigung des Objekts durch den Vermieter und Beistellung der Bettwäsche und von Geschirr aber auch dass der vereinbarte Mietzins die Kosten für Strom, Heizung und Wasser enthält (7 Ob 3/11h mwN). In dieser Entscheidung wurde auch klargestellt, dass es für die Abgrenzung nicht darauf ankommt, ob der Betrieb mit oder ohne Gewerbeberechtigung geführt wird.

 

Vorliegend steht fest, dass die Beklagten ihre zehn Wohnungen mit insgesamt 34 Betten im Internet zur Vermietung als Ferienwohnung für einen Mindestaufenthalt je nach Saison von drei Nächten bis zu einer Woche, jedenfalls aber für kurzfristige Aufenthalte bewerben und an Kunden überlassen. Dazu wird zwar keine Verpflegung angeboten, wohl aber die Endreinigung des Objekts sowie die Beistellung und Reinigung der jeweils frisch bezogenen Bettwäsche und der ebenso zur Verfügung gestellten Handtücher. Angesichts dieser, über die bloße Überlassung einer Wohnmöglichkeit und damit über den Vertragsinhalt eines reinen Bestandvertrags hinausgehenden Nebenleistungen und auch wegen der bloß sehr kurzfristigen Dauer der Nutzung der möblierten Wohnungen durch die Kunden der Beklagten, für die erkennbar ein Pauschalentgelt pro Nacht verrechnet wird, ist vom Abschluss von Beherbergungsverträgen auszugehen. Das entspricht aber nicht mehr der relevanten Widmung dieser Eigentumsobjekte als Wohnungen, weshalb dies deren Änderung bedeutet.

 

Ob es dafür der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedurfte, hängt davon ab, ob die „Vermietung“ eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte. Auch davon ist - ungeachtet der (ohnehin überschießenden) Feststellung zum Unterbleiben einer „über Gebühr vorhandenen Lärmentwicklung“ - bei den hier gegebenen konkreten Umständen auszugehen. Die mit der mehr als ein Drittel der Wohnungen erfassenden Nutzung durch Abschluss von Beherbergungsverträgen auch bei nur halber Auslastung pro Jahr zwangsläufig verbundene hohe Frequentierung des Wohnhauses durch ständig wechselnde hausfremde Personen, die einem Hotelbetrieb sehr nahe kommt, entspricht nämlich grundsätzlich nicht den Erwartungen der Erwerber einer Eigentumswohnung bei Vertragsabschluss und deren Interessen in einem ausschließlich zu Wohnzwecken gewidmeten Gebäude. Sie ist daher geeignet, deren schutzwürdige Interessen zu beeinträchtigen.

 

Die Beantwortung der Frage, ob eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer konkret gegeben ist, hat nicht im vorliegenden Unterlassungsprozess zu erfolgen, sondern ist einem außerstreitigen Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG iVm § 16 Abs 2 WEG vorbehalten. Im Prozess ist nur die Genehmigungsbedürftigkeit der Widmungsänderung zu prüfen.

 

Es entspricht weiters stRsp, dass die fehlende Zustimmung anderer Miteigentümer auch im Nachhinein durch einen Beschluss des Außerstreitrichters ersetzt werden kann. Wegen der rechtsgestaltenden Wirkung dieser Entscheidung steht dem ein vorangegangenes Beseitigungs- oder Unterlassungsurteil nicht entgegen, weshalb den Beklagten diese Möglichkeit auch in Zukunft noch offen steht.

 

Aus den dargelegten Gründen erweist sich das Unterlassungsbegehren der Kläger - sowohl nach dem Gesetz als auch iSd von den Beklagten mit dem Zweitkläger getroffenen vertraglichen Vereinbarung - als berechtigt, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen iSe Klagestattgebung abzuändern waren.