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09.04.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Kartellrecht – zur Nichtigkeitssanktion des Art 81 Abs 2 EGV (nunmehr Art 101 Abs 2 AEUV)

Die Nichtigkeitssanktion des Art 81 Abs 2 EGV bezieht sich nicht automatisch auf die gesamte Vereinbarung, sondern ordnet die Nichtigkeit nur für diejenigen Teile einer Vereinbarung an, die entweder selbst unmittelbar vom Verbot des Art 81 Abs 1 EGV erfasst sind oder sich von den von Art 81 Abs 1 EGV erfassten Teilen nicht sinnvoll abtrennen lassen; der Rückstellungsanspruch nach § 877 ABGB ist dadurch und insoweit begrenzt, dass und als die leistende Partei die kartellrechtswidrige Gegenleistung bereits konsumiert hat; zudem unterliegt der auf § 877 ABGB gründende Rückstellungsanspruch auch der Schranke des § 1174 Abs 1 ABGB; danach kann das wissentlich zur Bewirkung einer unmöglichen oder unerlaubten Handlung Gegebene nicht wieder zurückgefordert werden


Schlagworte: Kartellrecht, Kartellverbot, Nichtigkeit, Bereicherungsrecht, Rückstellungsanspruch
Gesetze:

Art 81 Abs 2 EGV (nunmehr Art 101 Abs 2 AEUV), § 1 Abs 1 KartG, § 877 ABGB, § 1174 ABGB

GZ 10 Ob 10/12m [1], 13.03.2012

 

OGH: Selbst wenn man mit den Ausführungen der Revisionswerber davon ausginge, das gegenständliche Lieferungsübereinkommen vom Sommer 1998 sei in der Folge im Hinblick auf das Inkrafttreten der Gruppenfreistellungsverordnung, VO Nr 2790/1999, wegen eines Verstoßes gegen Art 81 EGV (nunmehr Art 101 AEUV) oder gegen § 1 KartG 2005 nichtig gewesen, wäre zu berücksichtigen, dass das Unionsrecht keine abschließende Regelung der zivilrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen Art 81 EGV enthält. Nur die wichtigste zivilrechtliche Konsequenz einer Verletzung des Kartellverbots wird in Art 81 Abs 2 EGV vorgegeben: Gem Art 81 Abs 2 EGV sind Vereinbarungen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die gegen Art 81 Abs 1 EGV verstoßen, nichtig. § 1 Abs 3 KartG 2005 enthält die gleiche Rechtsfolgenanordnung für Vereinbarungen, die gegen das nationale Kartellverbot (§ 1 Abs 1 KartG 2005) verstoßen. Nichtigkeit gem Art 81 Abs 2 EGV bedeutet im Kern, dass die mit der Vereinbarung oder den Beschluss beabsichtigte Bindungswirkung nicht eintritt.

 

Die Nichtigkeitssanktion des Art 81 Abs 2 EGV bezieht sich nach der Rsp des EuGH nicht automatisch auf die gesamte Vereinbarung, sondern ordnet die Nichtigkeit nur für diejenigen Teile einer Vereinbarung an, die entweder selbst unmittelbar vom Verbot des Art 81 Abs 1 EGV erfasst sind oder sich von den von Art 81 Abs 1 EGV erfassten Teilen nicht sinnvoll abtrennen lassen. Nur wenn sich eine gemeinschaftsrechtswidrige Vertragsklausel vom restlichen Vertragswerk nicht trennen lässt, tritt Gesamtnichtigkeit ein. Dies ist zB dann der Fall, wenn eine Brauerei einem Gastwirt den begünstigten Bezug von Bier gegen Gewährung eines exklusiven Lieferrechts zusagt. Wenn die Alleinbezugspflicht des Abnehmers aus kartellrechtlichen Gründen entfällt, führt dies in der Regel auch zur Unwirksamkeit der damit in einem synallagmatischen Zusammenhang stehenden Gegenleistung, wie zB der Überlassung von Geld- oder Sachmitteln.

 

Mit der Frage nach der Reichweite der Nichtigkeitsfolge verwandt ist die Rückabwicklungsproblematik. Im Zuge der Duchführung und zur Abwicklung von Kartellvereinbarungen werden zwischen den Parteien häufig Leistungen ausgetauscht. Wenn ein Vertrag gegen Art 81 EGV verstößt und zur Gänze oder teilweise unwirksam ist, stellt sich die Frage, ob die ausgetauschten Leistungen einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung unterliegen. Mangels einer klaren gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe richtet sich auch diese Frage nach nationalem Recht. Die Rückforderung von Leistungen, die auf der Grundlage verbotener oder sittenwidriger Verträge erbracht wurden, richtet sich nach § 877 ABGB. Inhalt und Umfang des Anspruchs nach § 877 ABGB richten sich nach allgemeinen bereicherungsrechtlichen Grundsätzen. Gem § 877 ABGB hat daher derjenige, der die Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts wegen Nichtigkeit verlangt, auch alles das zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat.

 

Für wegen eines Verstoßes gegen den Kartelltatbestand des Art 81 Abs 1 EGV nichtige Vereinbarungen bedeutet dies, dass die bereits empfangenen Leistungen grundsätzlich allseitig zurückzustellen sind. Dies ist in diesen Fällen auch die sachgerechteste Lösung, weil der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte auch nach der Rsp des EuGH nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Anspruchsberechtigten führen soll. Dies stimmt damit überein, dass Normzweck des Art 81 EGV die Wiederherstellung der Handlungsfreiheit der beteiligten Unternehmen und nicht eine Vermögensverschiebung zugunsten eines der Beteiligten ist.

 

Der Rückstellungsanspruch derjenigen Partei, die der anderen zur Durchführung einer kartellrechtswidrigen Kooperation oder als Entgelt für ein kartellrechtswidriges Versprechen bereits eine vermögenswerte Leistung erbracht hat, ist aber in zweifacher Hinsicht eingeschränkt:

 

Erstens ist der Rückstellungsanspruch dadurch und insoweit begrenzt, dass und als die leistende Partei (zB der Lieferant, der dem Abnehmer für das Eingehen einer Bezugsbindung eine Geld- oder Sachleistung erbracht hat) die kartellrechtswidrige Gegenleistung (den ausschließlichen Bezug oder die Abnahme einer bestimmten Menge bei ihm) bereits konsumiert hat. Dieser Einschränkung hat die Klägerin im vorliegenden Fall bereits dadurch Rechnung getragen, dass sie nur den noch nicht „amortisierten“ Teil ihrer Gegenleistung zurückfordert.

 

Zweitens unterliegt der auf § 877 ABGB gründende Rückstellungsanspruch auch der Schranke des § 1174 Abs 1 ABGB. Danach kann das wissentlich zur Bewirkung einer unmöglichen oder unerlaubten Handlung Gegebene nicht wieder zurückgefordert werden. Wissentlich leistet aber nur, wer das Verbot - oder bei Sittenwidrigkeit deren tatsächlichen Grundlagen - kannte oder kennen musste. Die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass auch der Ausschlusstatbestand des § 1174 Abs 1 ABGB der bereicherungsrechtlichen Rückstellung nicht entgegenstehe, weil die Klägerin bei Abschluss der Alleinbezugsvereinbarung im Jahr 1998 das erst durch die Gruppenfreistellungsverordnung, VO Nr 2790/1999, festgelegte Verbot einer Bindungsdauer über fünf Jahre hinaus gar nicht kennen konnte, wird auch in den Rechtsmittelausführungen der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

 

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der von der Klägerin geltend gemachte Rückforderungsanspruch selbst ausgehend von der von den Beklagten behaupteten Nichtigkeit des Lieferungsübereinkommens zu Recht bestehe, steht daher im Einklang mit der Rsp des OGH.

 

Auch die weitere Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Kondiktionsanspruch der Klägerin nach § 877 ABGB grundsätzlich erst in 30 Jahren verjährt, steht im Einklang mit der Rsp des OGH.