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14.05.2012 Zivilrecht

OGH: Haftung des Ausfallsbürgen – zu den Folgen der Unterlassung von in § 98 Abs 2 EheG vorgesehenen Betreibungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner, die zu einer teilweisen Einbringlichkeit der Forderung geführt hätten

Eine dem Gläubiger allenfalls vorwerfbare eigene „Nachlässigkeit“ iSd § 1356 ABGB kann keinesfalls in der Unterlassung von Eintreibungsmaßnahmen nach der Verwirklichung eines der Ausnahmetatbestände des § 1356 ABGB liegen


Schlagworte: Familienrecht, Eherecht, Scheidung, Haftung für Kredite, Ausfallsbürge, Nachlässigkeit des Gläubigers, Ausnahmetatbestände
Gesetze:

§ 98 EheG, § 1356 ABGB

GZ 2 Ob 78/11a [1], 28.03.2012

 

Die klagende Partei macht geltend, § 98 Abs 2 EheG lasse § 1356 ABGB unberührt, wonach der Ausfallsbürge sogleich belangt werden könne, wenn der Hauptschuldner in Konkurs gerate und der Gläubiger nicht nachlässig gewesen sei. Dem Umstand der Konkurseröffnung sei auch die Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Kostendeckung gleichzuhalten. Das BG Wiener Neustadt habe am 26. 6. 2009 den Beschluss über die Nichteröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens mangels Kostendeckung gefasst. Die Beklagte habe erst danach erstmalig Kontakt zu den Klagevertretern aufgenommen. Davor habe die klagende Partei die sonst notwendigen Schritte gem § 98 Abs 2 EheG unternommen. Die späteren Behauptungen und Angaben der Ausfallsbürgin hätten ihre Inanspruchnahme nicht gehindert. Davon abgesehen wäre es der klagenden Partei bei realistischer Einschätzung der Erfolgsaussichten unzumutbar gewesen, die vom Berufungsgericht als geboten erachteten Betreibungsmaßnahmen vorzunehmen.

 

OGH: Der Begriff des Ausfallsbürgen ist nicht gesetzlich definiert; dieser Bürgschaftstyp ist im ABGB auch nicht allgemein geregelt. Ausfallsbürgschaft liegt bei der Einschränkung der Bürgschaft auf den Fall der Uneinbringlichkeit der Hauptschuld vor. Der Gläubiger kann - von den Ausnahmen des § 1356 ABGB abgesehen - erst dann auf den Bürgen greifen, wenn er gegen den Hauptschuldner geklagt und vergeblich Exekution geführt hat. Die näheren Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Ausfallsbürgen hängen von der Vereinbarung ab, mit der die Parteien den Uneinbringlichkeitsfall enger oder weiter festlegen können.

 

In § 98 Abs 2 EheG wurden allerdings die Voraussetzungen für den Eintritt der subsidiären Haftung des Ausfallsbürgen für den dort geregelten Spezialbereich gesetzlich festgelegt. Dies war deshalb notwendig, weil diese Bürgschaft nicht auf Vereinbarung, sondern auf Richterspruch beruht. Entscheidet das Gericht (§ 92 EheG) oder vereinbaren die Ehegatten (§ 97 Abs 2, gegebenenfalls § 55a EheG), wer von beiden im Innenverhältnis zur Zahlung der Kreditverbindlichkeiten, für die beide haften, verpflichtet ist, so hat das Gericht auf Antrag mit Wirkung für den Gläubiger auszusprechen, dass derjenige Ehegatte, der im Innenverhältnis zur Zahlung verpflichtet ist, Hauptschuldner, der andere Ausfallsbürge wird (§ 98 Abs 1 Satz 1 EheG).

 

Ein derartiger Beschluss liegt hier vor.

 

Gem § 98 Abs 2 Satz 1 EheG kann der Ausfallsbürge - vorbehaltlich des § 1356 ABGB - nur wegen des Betrags belangt werden, der vom Hauptschuldner nicht in angemessener Frist hereingebracht werden kann, obwohl der Gläubiger gegen ihn nach Erwirkung eines Exekutionstitels 1. Fahrnis- und Gehaltsexekution und 2. Exekution auf eine dem Gläubiger bekannte Liegenschaft des Hauptschuldners, die offensichtlich für die Forderung Deckung bietet, geführt sowie 3. Sicherheiten, die dem Gläubiger zur Verfügung stehen, verwertet hat.

 

Der OGH vertritt in Anlehnung an die Ausführungen Gameriths überdies die Auffassung, dass der Bürge eine von vornherein aussichtslose Exekutionsführung nicht begehren kann, wobei die Beweislast für die Unzumutbarkeit der im Gesetz vorgesehenen Schritte beim Gläubiger liegt. Hat aber der Gläubiger Exekution geführt und Sicherheiten verwertet, so liegt es am Ausfallsbürgen, substantiiert zu behaupten und zu beweisen, dass weitere Exekutionsschritte sinnvoll und erfolgversprechend gewesen wären.

 

Das Berufungsgericht hat sich in seinem Aufhebungsbeschluss zwar auf die soeben erörterte Rsp gestützt, dabei jedoch dem auf § 1356 ABGB verweisenden Vorbehalt nicht die erforderliche Beachtung geschenkt.

 

Diese Bestimmung normiert zwei Ausnahmen vom Subsidiaritätsprinzip der Bürgschaft, nämlich (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor Inkrafttreten des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes [IRÄG] 2010) die Eröffnung des Konkurses (nunmehr: des Insolvenzverfahrens) über das Vermögen des Hauptschuldners und dessen unbekannter Aufenthalt. Bei beiden Tatbeständen ist es überdies erforderlich, dass der Gläubiger keine Nachlässigkeit bei der Verfolgung seines Anspruchs zu verantworten hat. Der Hinweis in § 98 Abs 2 EheG auf § 1356 ABGB bedeutet somit, dass der Ausfallsbürge vor dem Hauptschuldner belangt werden kann, wenn einer der beiden Ausnahmefälle vorliegt und der Gläubiger nicht „nachlässig“ war.

 

Im Schrifttum besteht Einigkeit darüber, dass dem Fall der Konkurseröffnung gleichsteht, wenn der Konkurs mangels kostendeckenden Vermögens nicht eröffnet wurde. Dies findet seine sachliche Rechtfertigung darin, dass es zur Ablehnung der Konkurseröffnung nur deshalb kommt, weil der zahlungsunfähige Schuldner nicht einmal über genügend Vermögen verfügt, um die Kosten des Verfahrens decken zu können, und daher umso weniger mit der Hereinbringung des geschuldeten Betrags vom Hauptschuldner gerechnet werden kann. In diesen Fällen kann - die Fälligkeit der Forderung vorausgesetzt - sofort auf den Ausfallsbürgen gegriffen werden, ohne dass es zuvor noch der in § 98 Abs 2 EheG vorgesehenen Eintreibungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner bedarf. Aus dieser Rechtslage ist zu folgern, dass eine dem Gläubiger allenfalls vorwerfbare eigene „Nachlässigkeit“ iSd § 1356 ABGB keinesfalls in der Unterlassung von Eintreibungsmaßnahmen nach der Verwirklichung eines der erwähnten Ausnahmetatbestände liegen kann.

 

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde mit Beschluss vom 26. 6. 2009 die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners (gem § 71a Abs 2 iVm § 181 KO) mangels kostendeckenden Vermögens abgelehnt. Es lag somit einer der Ausnahmetatbestände des § 1356 ABGB vor, der es dem Gläubiger ermöglicht, den Ausfallsbürgen sofort, dh ohne weitere Eintreibungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner in Anspruch zu nehmen. Davor hatte die klagende Partei die in § 98 Abs 2 EheG vorgesehenen Schritte gesetzt und auch die ihr zur Verfügung stehenden Sicherheiten verwertet. Als sie von der Beklagten mit Schreiben vom 21. 7. 2009 konkrete Hinweise auf angeblich doch noch pfändbares Vermögen des Hauptschuldners erhielt, war der am 29. 6. 2009 öffentlich bekannt gemachte Beschluss des Konkursgerichts bereits rechtskräftig. Unter diesen Umständen war die klagende Partei zu weiteren Eintreibungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner nicht mehr verpflichtet. Die Unterlassung solcher Maßnahmen kann ihr weder als „Nachlässigkeit“ iSd § 1356 ABGB zum Vorwurf gemacht werden, noch liegt darin eine Verletzung ihrer in § 98 Abs 2 EheG normierten Obliegenheiten.