OGH > Zivilrecht
04.06.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Zulässigkeit einer überlangen Vertragsbindung (hier: 15 Jahre) des Versicherungsnehmers im Bereich der prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge

Sieht der Versicherer in seinen AVB einen zehn Jahre übersteigenden Kündigungsverzicht des Versicherungsnehmers vor, so werden seine Rechte nach § 165 Abs 1 VersVG verletzt, was nach § 178 Abs 1 VersVG nicht zulässig ist


Schlagworte: Versicherungsvertragsrecht, prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge, überlange Vertragsbindung, Kündigungsverzicht
Gesetze:

§ 108g EStG, § 108i EStG, § 165 VersVG, § 178 VersVG, § 9 VersVG

GZ 7 Ob 40/12a [1], 09.05.2012

 

OGH: Der OGH hat zwar bereits ausgesprochen, dass die §§ 108g Abs 1 Z 2 und 108i Abs 1 EStG den §§ 165 Abs 1, 178 Abs 1 VersVG derogieren. Die Prämienrückforderung einer im Rahmen der staatlich geförderten „prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge“ (PZV) abgeschlossenen Lebensversicherung ist innerhalb von zumindest zehn Jahren ausgeschlossen. Die Entscheidungen ergingen aber zu Sachverhalten, in denen der Versicherungsnehmer versuchte, vor Ablauf der zehnjährigen Frist den Lebensversicherungsvertrag zu kündigen. Die hier zur Entscheidung anstehende Rechtsfrage stellte sich in den Vorverfahren nicht.

 

Zutreffend verweist das Berufungsgericht darauf, dass die §§ 108g Abs 1 Z 2 und 108i Abs 1 EStG das durch § 165 Abs 1 VersVG eingeräumte Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers einschränken. In diesem Zusammenhang ist die Wendung „zumindest zehn Jahre“ auszulegen. „Zumindest“ bedeutet damit, dass der Versicherungsnehmer bei der PZV nicht vor Ablauf von zehn Jahren verfügen darf. Genau das ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien (AB 1285 BlgNR XXI. GP 9: Nach Ablauf der Zehnjahresfrist kann der Steuerpflichtige über sein Kapital nach Maßgabe des § 108i Z 1, Z 2 oder 3 EStG verfügen. Demgemäß ist auch eine Herausnahme des Kapitals möglich). Die Vergünstigung soll also dem Steuerpflichtigen nur zustehen, wenn er sich unwiderruflich zu einer mindestens (dh nicht weniger als) zehnjährigen Kapitalbindung verpflichtet. Die Bestimmungen des EStG beziehen sich naturgemäß auf den Steuerpflichtigen. Nichts deutet darauf hin, dass damit auch dem Versicherer ein Recht hätte eingeräumt werden sollen, nämlich das Recht, vom Versicherungsnehmer (fernab von weiteren steuerlichen Begünstigungen) einen Kündigungsverzicht auf unbestimmte Dauer zu verlangen. Der Versicherer ist bloß „indirekter“ Nutznießer der Regelung im EStG.

 

Soweit dem § 165 Abs 1 VersVG durch das EStG nicht derogiert wurde, bleibt er aufrecht. Danach steht dem Versicherungsnehmer bei der Lebensversicherung - auch in Form der PZV - ein jederzeitiges Kündigungsrecht für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode zu. Als Versicherungsperiode in diesem Sinn gilt, falls die Prämie nicht nach kürzeren Abschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres (§ 9 VersVG). Von dieser Bestimmung darf gem § 178 Abs 1 VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers nicht abgewichen werden.

 

Sieht nun die Beklagte in ihren AVB einen zehn Jahre übersteigenden Kündigungsverzicht des Versicherungsnehmers vor, so werden seine Rechte nach § 165 Abs 1 VersVG verletzt, was nach § 178 Abs 1 VersVG nicht zulässig ist. Die Klauseln sind daher nichtig.