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02.07.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Haftung des Dienstgebers bei Arbeitsunfällen gegenüber den Trägern der Sozialversicherung nach § 334 ASVG

Wenn auch § 334 Abs 3 ASVG bestimmt, dass durch ein Mitverschulden des Versicherten die Haftung des Arbeitgebers gem § 334 Abs 1 ASVG weder aufgehoben noch gemindert wird, so ist doch ein allfälliges Mitverschulden des Versicherten bei der Beurteilung, ob der Arbeitsunfall durch eine grobe Fahrlässigkeit des Arbeitgebers verursacht wurde, mitzuberücksichtigen


Schlagworte: Haftung des Dienstgebers bei Arbeitsunfällen gegenüber den Trägern der Sozialversicherung, grobe Fahrlässigkeit, Mitverschulden des Versicherten, Arbeitnehmerschutz
Gesetze:

§ 334 ASVG, § 1304 ABGB

GZ 9 ObA 102/11g [1], 20.06.2012

 

OGH: Die Beklagte stellt nicht in Frage, dass der Arbeitgeber, der einen Arbeitsunfall durch grobe Fahrlässigkeit verursacht, nach § 334 Abs 1 ASVG den Trägern der Sozialversicherung alle nach diesem Gesetz zu gewährenden Leistungen zu ersetzen hat. Die mangelnde Sicherung der die schweren Armverletzungen des Arbeiters verursachenden Umlenkrolle durch ein Schutzgitter stellt grundsätzlich eine dem Arbeitgeber zurechenbare Verletzung der einschlägigen Arbeitnehmerschutzvorschriften dar (siehe insbesondere die §§ 27, 43 Arbeitsmittelverordnung, BGBl II 2000/164). Wenn auch § 334 Abs 3 ASVG bestimmt, dass durch ein Mitverschulden des Versicherten die Haftung des Arbeitgebers gem § 334 Abs 1 ASVG weder aufgehoben noch gemindert wird, so ist die Auffassung der Beklagten richtig, dass ein allfälliges Mitverschulden des Versicherten bei der Beurteilung, ob der Arbeitsunfall durch eine grobe Fahrlässigkeit des Arbeitgebers verursacht wurde, mitzuberücksichtigen ist. Dies wurde in der Berufungsentscheidung aber ohnehin beachtet.

 

Das Berufungsgericht setzte sich ausführlich mit der einschlägigen Rsp des OGH auseinander. Zutreffend hob es hervor, dass die Übertretung von Unfallverhütungsvorschriften noch nicht per se ein grobes Verschulden begründet. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber jene Aufmerksamkeit außer Acht gelassen hat, die in einem Betrieb der in Betracht kommenden Art im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden muss. Wegen ihrer Einzelfallbezogenheit kann die Beurteilung des Verschuldensgrades regelmäßig nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden.

 

Warum die Beklagte meint, sie habe mit dem Unfall nicht rechnen müssen, ist nicht verständlich. Sie hebt selbst hervor, dass der Verletzte an der gegenständlichen Schottersiebanlage allein gearbeitet hat. Fest steht, dass die Anlage nur bei großen Wartungsarbeiten abgeschaltet wurde. Bei den üblichen Kontrollrundgängen des später Verletzten und wenn nicht zu viel Dreck wegzuschaufeln war, blieb die Anlage in Betrieb. Dass es nach der Art des Betriebs der Anlage - früher oder später - durch Unachtsamkeit zu einem ungewollten Kontakt mit der laufenden ungesicherten Umlenkrolle kommen kann, ist daher nicht etwas, womit die Beklagte „überhaupt nicht rechnen musste“. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte nach der Lage des Falls mangels Sicherung der Umlenkrolle durch ein Schutzgitter grobe Fahrlässigkeit zu verantworten habe, ist daher nicht unvertretbar.

 

Von einer Gefährdung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit durch die Berufungsentscheidung kann keine Rede sein. Es liegt auch kein „Wertungswiderspruch“ vor. Die Beurteilung des Berufungsgerichts bewegt sich vielmehr im Rahmen des bei der Beurteilung des Verschuldensgrades eingeräumten richterlichen Ermessens. Die Annahme, dass die Beklagte den gegenständlichen Arbeitsunfall durch grobe Fahrlässigkeit verursacht habe, weicht nicht von der einschlägigen Rsp des OGH ab, insbesondere auch nicht von den von der Revisionswerberin genannten Entscheidungen. Sowohl in 2 Ob 104/67 als auch in 9 ObA 143/91 hielt der OGH ausdrücklich fest, dass § 334 Abs 3 ASVG nicht ausschließt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob der auf Ersatz in Anspruch Genommene grob fahrlässig gehandelt habe, das Verhalten des Versicherten mitberücksichtigt wird. Dieser Grundsatz wurde vom Berufungsgericht ohnehin zugrundegelegt. Letztlich war aber entscheidend, dass im vorliegenden Fall kein so gravierendes Mitverschulden des Verletzten hervorgekommen ist, das etwas am hervorgekommenen groben Verschulden des Arbeitgebers ändern würde. Der Umstand, dass in anderen Fällen der zu entscheidende Sachverhalt die Beurteilung zuließ, dass ein Schaden noch nicht als wahrscheinlich angesehen werden konnte, unterstreicht die Einzelfallbezogenheit der Beurteilung des Verschuldensgrades. Für den Standpunkt der Beklagten bei der Beurteilung des gegenständlichen Sachverhalts ist daraus aber nichts Entscheidendes zu gewinnen.