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30.07.2012 Zivilrecht

OGH: Zum konkreten Umfang der ehelichen Beistandspflicht im Krankheitsfalle sowie zu den Voraussetzungen der Abgeltung von über die Beistandspflicht hinausgehenden Pflegeleistungen (iZm Eheaufteilungsverfahren gem §§ 81 ff EheG)

Die Bestimmungen der §§ 81 ff EheG stehen der Erhebung von Kondiktionsansprüchen zwischen Ehegatten aus zweckverfehlten Leistungen nicht entgegen; es genügt die Annahme, dass die Klägerin davon ausgehen konnte, von ihrer Tätigkeit irgendeinen Vorteil in der Zukunft erlangen zu können; dies kann durchaus ein Vertrauen auf den Weiterbestand der Ehe und die damit verbundenen Ansprüche, insbesondere auch iZm einer allfälligen Witwenpension, sowie die Erwartung entsprechender Erb- bzw Pflichtteilsansprüche, sein; erbringt ein Angehöriger Pflegeleistungen, die weit über dasjenige hinausgehen, was üblicherweise in Wahrnehmung einer besonderen Beistandspflicht zu leisten ist, hat er Anspruch auf deren finanzielle Abgeltung; eine zu weitgehende analoge Heranziehung von kollektiven Löhnen ist dabei, wenn die Umstände eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahelegen, nicht gerechtfertigt


Schlagworte: Familienrecht, Bereicherungsrecht, Kondiktion wegen Zweckverfehlung, Eherecht, Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, eheliche Beistandspflicht, Pflegefall, Pflegeleistungen, Entgelt
Gesetze:

§§ 81 ff EheG, § 1435 ABGB, § 1152 ABGB, § 90 ABGB, BPGG, § 1486 ABGB, § 273 ZPO

GZ 6 Ob 76/12p [1], 22.06.2012

 

OGH: Die Kondiktion wegen Zweckverfehlung greift in Analogie zu § 1435 ABGB dann ein, wenn die Umstände, die nach dem Sinn und Zweck des Geschäfts Grundlage der Leistung waren, weggefallen sind. Für eigene Arbeitsleistungen und sonstige Leistungen kann, wenn der erwartete Rechtsgrund nicht eintrat, angemessene Entlohnung begehrt werden, deren Höhe grundsätzlich vom verschafften Nutzen unabhängig ist.

 

Gem § 1435 ABGB können auch Leistungen, die unter der Voraussetzung der Dauerhaftigkeit der Ehe erbracht worden sind, bei Scheidung zurückgefordert werden, sofern sie über die eheliche Beistandspflicht hinausgehen und jene Umstände nachträglich weggefallen sind, die nach der Interessenabwägung und dem Sinn des Geschäfts die Grundlage der Leistung gebildet hatten.

 

Die Bestimmungen der §§ 81 ff EheG stehen der Erhebung von Kondiktionsansprüchen zwischen Ehegatten aus zweckverfehlten Leistungen nicht entgegen. Auf solche Kondiktionsansprüche sind auch die besonderen Aufteilungsgrundsätze der §§ 81 ff EheG nicht sinngemäß anzuwenden.

 

Nicht rückforderbar sind hingegen Leistungen, die keinen weitergehenden, also in fernere Zukunft reichenden Zweck verfolgen. Dies gilt allerdings etwa dann nicht, wenn ein Teil die Lebenshaltungskosten in Erwartung einer unbestimmten künftigen Gegenleistung allein getragen hat.

 

Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Pflegeleistungen durch die Klägerin keinen in die Zukunft reichenden Zweck verfolgten. Die Klägerin hat vielmehr nach den Feststellungen der Vorinstanzen auf die Ausübung eigener Berufstätigkeit verzichtet und ihre gesamte Lebensführung auf die Pflege und Betreuung ihres kranken Ehegatten ausgerichtet. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Klägerin eine bestimmte zukünftige Gegenleistung erwartete. Vielmehr genügt die Annahme, dass die Klägerin davon ausgehen konnte, von ihrer Tätigkeit irgendeinen Vorteil in der Zukunft erlangen zu können. Dies kann durchaus ein Vertrauen auf den Weiterbestand der Ehe und die damit verbundenen Ansprüche, insbesondere auch iZm einer allfälligen Witwenpension, sowie die Erwartung entsprechender Erb- bzw Pflichtteilsansprüche, sein. In diesem Sinne hat der erkennende Senat etwa bei enttäuschter Erwartung einer testamentarischen Zuwendung infolge erbrachter Leistungen bereicherungsrechtliche Ansprüche nach § 1435 ABGB für möglich gehalten. Hätte die Klägerin vorausgesehen, dass sie für ihre jahrelange Pflege überhaupt nichts bekommen soll, hätte sie ihren Mann nach der Lebenserfahrung nicht in diesem Ausmaß gepflegt, sondern dafür entweder ein entsprechendes Entgelt verlangt oder ihren Mann auf die Inanspruchnahme von Fremdpflege verwiesen.

 

Zwischen Ehegatten wird die Pflege des erkrankten Ehegatten als von der Beistandspflicht des § 90 Abs 1 ABGB erfasst angesehen. Die Beurteilung von Art und Ausmaß der ehelichen Beistandspflichten hat nach den Grundsätzen der Zumutbarkeit und der sachlichen Rechtfertigung zu erfolgen. Der gesunde Ehegatte hat grundsätzlich die Pflicht, bei seinem geistig oder körperlich kranken Ehepartner auszuharren und ihm den Halt und Beistand zu gewähren, den er nach besten Kräften geben kann und auf den der andere angewiesen ist. Er hat ihm im Rahmen des Möglichen das Leben zu erleichtern und auf ihn in jeder Weise Rücksicht zu nehmen.

 

Nach Deixler-Hübner ist außerhalb des Kernbereichs der Beistandsverpflichtung ein Entgeltanspruch für geleistete Dienste, wenn sie nicht schenkungshalber erbracht wurden, stets zu bejahen, und zwar selbst dann, wenn es an einer vertraglichen Regelung zwischen den Beteiligten fehle.

 

Der OGH hat in der Entscheidung 1 Ob 135/01m unter Hinweis auf die Entscheidung 1 Ob 46/01y im Verhältnis zwischen Ehegatten bereits ausgesprochen, dass dann, wenn ein Angehöriger Pflegeleistungen erbringt, die weit über dasjenige hinausgehen, was üblicherweise in Wahrnehmung einer besonderen Beistandspflicht zu leisten ist, Anspruch auf deren finanzielle Abgeltung hat; der hiefür angemessene Betrag sei im Wege einer fiktiven Berechnung zu ermitteln, weil die Pflegeleistungen nicht durch professionelle Kräfte erbracht werden. Dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, indem nicht eine vorübergehende Erkrankung, sondern dauernde Hilfsbedürftigkeit, die Hilfestellung beim Waschen, Gehen, An- und Auskleiden sowie zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens erforderte, erfüllt sind, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

 

Auch in der Entscheidung 6 Ob 641/90 sprach der erkennende Senat aus, dass ein pflegebedürftiges Kind, das von seiner Mutter im Ausmaß einer vollen Arbeitsleistung betreut wird, für die Kosten seiner Pflege gegenüber der Mutter aufzukommen habe; die Leistungen seien angemessen abzugelten.

 

Ist im Falle der Kondiktion nach § 1435 ABGB Wiederherstellung in der Natur unmöglich oder untunlich, so hat der Empfänger für den erlangten Vorteil in Analogie zu § 1325 ABGB ein angemessenes Entgelt zu leisten, dessen Höhe sich iSd § 1431 ABGB nach dem verschafften Nutzen richtet. Der Nutzen für den Ehemann der Klägerin lag in der Ersparnis andernfalls erforderlicher Fremdpflegekosten.

 

Die Bestimmung der Höhe des Entgelts für Leistungen, auf das gem § 1435 ABGB iVm § 1152 ABGB ein Anspruch besteht, erfolgt nach stRsp nach § 273 ZPO. In diesem Sinne hat die Rsp etwa den von der Mutter im eigenen Haushalt erbrachten Pflegeaufwand für den schwerstbehinderten Sohn nach § 273 ZPO ermittelt. Eine zu weitgehende analoge Heranziehung von kollektiven Löhnen ist dabei, wenn die Umstände eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahelegen, nicht gerechtfertigt. Aus diesem Grund ist der Rechtsansicht der Klägerin, die nicht auf den Mindestlohntarif für Krankenbetreuer im Jahr 1995 von 100 ATS (7,27 EUR), sondern auf einen Stundenlohn von 12 EUR abstellt, nicht zu folgen.

 

Auf den von den beklagten Parteien und der Nebenintervenientin in ihren Rekursen erhobenen Verjährungseinwand ist nicht weiter einzugehen. Zwar unterliegen Ansprüche aus „zweckverfehlenden“ Arbeitsleistungen, die inhaltlich nach § 1152 ABGB zu beurteilen sind, nach neuerer Rsp der 3-jährigen Verjährungsfrist nach § 1486 Z 5 ABGB. Die beklagten Parteien und die Nebenintervenientin haben in ihrer Berufung die Verneinung der Verjährung durch das Erstgericht jedoch nicht bekämpft. Wurde die Einrede der Verjährung in der Berufung aber nicht aufrecht erhalten, so kann darauf im Rechtsmittelverfahren unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht Bedacht genommen werden.