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27.08.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage der Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG auf Auflösungsvereinbarungen

Das Rücktrittsrecht nach § 3 Abs 1 KSchG kommt auch bei einem aufrechten Vertragsverhältnis in Betracht, wenn die „Vertragserklärung“ des Verbrauchers in ihrer wirtschaftlichen Tragweite dem Vertragsabschluss entspricht; dies trifft etwa dann zu, wenn ein Wohnungsmieter unter den weiteren Voraussetzungen des § 3 KSchG zu einer Vereinbarung über die Auflösung des Mietvertrags veranlasst worden ist


Schlagworte: Konsumentenschutzrecht, Rücktrittsrecht, Mietrecht, Auflösung des Mietvertrags
Gesetze:

§ 3 KSchG

GZ 2 Ob 1/12d [1], 28.06.2012

 

Am 21. 2. 2009 kündigte die klagende Partei (Vermieterin) eine Wohnungs- und Hausbegehung zur Aufnahme von Mieterdaten an, die am 9. 3. 2009 stattfand. Bei dieser Gelegenheit wurde die Beklagte (Mieterin) vom Geschäftsführer der klagenden Partei und vom Hausverwalter in ihrer Wohnung aufgesucht, befragt, ob sie die Wohnung überhaupt benötige, und nach längeren Verhandlungen, intensivem Drängen und der Drohung, ansonsten wegen Vernachlässigung des Mietgegenstands „hinausgeklagt“ zu werden, dazu veranlasst, eine vorbereitete Auflösungsvereinbarung zu unterschreiben. In dieser wurde der Beklagten eine Investitionsablöse von 5.000 EUR und entgeltfreies Wohnen bis zu ihrem für den 30. 3. 2010 vorgesehenen Auszug aus der Wohnung zugesagt. Eine Information über ein Rücktrittsrecht wurde der Beklagten nicht ausgefolgt. Diese hatte nie den Wunsch, den Mietvertrag aufzulösen.

 

Mit Schreiben vom 19. 3. 2009 erklärte die Beklagte den Rücktritt von dieser Vereinbarung.

 

OGH: Das KSchG findet auch auf Bestandverträge Anwendung, sofern einander ein Unternehmer und ein Verbraucher gegenüberstehen. Dass dies hier zutrifft, ist in dritter Instanz nicht strittig.

 

Höchstgerichtliche Rsp zur Anwendbarkeit des § 3 Abs 1 KSchG auch auf Änderungs- oder Auflösungsvereinbarungen liegt bisher nicht vor.

 

Nach § 3 Abs 1 KSchG kann der Verbraucher von seinem Vertragsantrag oder vom Vertrag zurücktreten, wenn er seine Vertragserklärung weder in den vom Unternehmer für seine geschäftlichen Zwecke dauernd benützten Räumen noch bei einem von diesem dafür auf einer Messe oder einem Markt benützten Stand abgegeben hat. Der Rücktritt muss binnen einer Woche ab Zustandekommen des Vertrags erklärt werden, es sei denn, dem Verbraucher wäre anlässlich der Entgegennahme seiner Vertragserklärung keine schriftliche Belehrung über dieses Rücktrittsrecht ausgefolgt worden.

 

Dieses nach dem Vorbild des früheren § 4 RatG geschaffene Rücktrittsrecht bezweckt den Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung beim Vertragsabschluss durch fragwürdig agierende Unternehmer und ihre Vertreter. Der Verbraucher soll vor Rechtsnachteilen bewahrt werden, die ihm durch die Ausnützung seiner typischerweise schwächeren Position drohen.

 

Die auf alle Verbrauchergeschäfte anzuwendende Regelung des Rücktrittsrechts geht nicht nur über den seinerzeitigen § 4 RatG, sondern auch über die Richtlinie 85/577/EWG („Haustürgeschäfte-RL“) hinaus, die durch die KSchG-Novelle 1993 in Österreich umgesetzt worden ist. So ist etwa anerkannt, dass die Grundregel des § 3 Abs 1 KSchG - von der Sonderbestimmung für Versicherungsverträge abgesehen - auch Dauerschuldverhältnisse erfasst.

 

Mit dem Maklergesetz, BGBl 1996/262, wurde ua § 30a KSchG eingeführt, der einem Verbraucher iZm dem Erwerb eines Bestandrechts ein zusätzliches Rücktrittsrecht gewährt. Voraussetzung ist die Abgabe einer Vertragserklärung am selben Tag, an dem der Verbraucher das Vertragsobjekt das erste Mal besichtigt hat, sofern der Erwerb der Deckung des dringenden Wohnbedürfnisses des Verbrauchers oder eines nahen Angehörigen dienen soll.

 

Auch diese Bestimmung bezweckt den Schutz des Verbrauchers vor einer unüberlegten Vertragsentscheidung, die bei der erstmaligen Besichtigung einer Wohnung typischerweise zu besorgen und mit der Situation bei Haustürgeschäften zu vergleichen ist. Das Rücktrittsrecht steht dem Verbraucher im Gegensatz zu jenem nach § 3 KSchG unabhängig davon zu, ob er den geschäftlichen Kontakt selbst angebahnt hat oder ob ihm ein Unternehmer oder ein anderer Verbraucher als (potentieller) Vertragspartner gegenübersteht. Für die Schaffung dieses Rücktrittsrechts war neben der Vermeidung einer Überrumpelung auch maßgeblich, dass schon die Miete einer Wohnung für einen Verbraucher üblicherweise eine Entscheidung von einschneidender wirtschaftlicher Tragweite ist und deshalb nicht überhastet getroffen werden soll. Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass dem Gesetzgeber gerade der Schutz von Wohnungsmietern vor Überrumpelungen ein besonderes Anliegen ist.

 

Auslegungsprobleme, die sich bei der Subsumtion konkreter Tatumstände eines Geschäftsabschlusses unter die Tatbestandsmerkmale des § 3 KSchG ergeben, sind im Lichte des Gesetzeszwecks zu lösen, dem Verbraucher eine ausreichende Überlegungsfrist zu geben und ihn keiner Zwangssituation auszusetzen. Zwar verbietet die formale Konzeption des § 3 KSchG eine Analogie oder eine teleologische Reduktion der normierten Rücktrittsvoraussetzungen nach Maßgabe der konkreten Überrumpelungsgefahr. Das schließt aber nicht aus, dass die Tatbestandsmerkmale ihrerseits der Auslegung bedürfen und dabei der Aspekt der Überrumpelung zum Tragen kommen kann. Eines dieser Tatbestandsmerkmale ist die „Vertragserklärung“ des Verbrauchers.

 

Der laut Krejci ungewohnte Begriff „Vertragserklärung“ war im Ministerialentwurf noch nicht enthalten. Darin waren stattdessen die Formulierungen „Vertragsantrag“ und „Annahme des Vertragsantrags des Unternehmers“ vorgesehen. Entstehungsgeschichte und Gesetzeswortlaut des § 3 Abs 1 KSchG sprechen dafür, dass der Gesetzgeber (zumindest primär) den Vertragsabschluss bei „Haustürgeschäften“ vor Augen hatte, demnach Willenserklärungen des Verbrauchers, die typischerweise auf die Begründung, nicht aber auf die Änderung oder Aufhebung eines Vertragsverhältnisses gerichtet sind.

 

Sinn und Zweck der Bestimmung geben aber Anlass zur Prüfung, ob die Regelung über das Rücktrittsrecht nicht dennoch auch auf solche Fälle angewendet werden kann. Dabei ist zunächst zu beachten, dass das Schutzbedürfnis des Verbrauchers bei einem bestehenden Vertragsverhältnis in der Regel geringer als bei einem Vertragsabschluss ist. Im Falle von Vertragsänderungen ist daher nur in Ausnahmefällen ein Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG in Betracht zu ziehen. Es muss sich um solche Erklärungen handeln, die für den Verbraucher von vergleichbarer wirtschaftlicher Tragweite sind wie der Vertragsabschluss selbst. Das wird auf die Vereinbarung über die Auflösung eines Wohnungsmietvertrags regelmäßig zutreffen, wird doch der Mieter dadurch in die Lage versetzt, sich zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses ein Ersatzobjekt beschaffen zu müssen.

 

Ausgehend von den dargelegten Wertungen des Gesetzgebers zu den §§ 3 und 30a KSchG erscheint es daher gerechtfertigt, einem Verbraucher den Schutz des § 3 KSchG auch dann zu gewähren, wenn seine „Vertragserklärung“ auf die Auflösung eines Mietvertrags über eine Wohnung gerichtet ist und alle sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Dies ist hier der Fall. Wie schon die Vorinstanzen richtig erkannten, war die Beklagte unter den konkreten Umständen nicht weniger schutzwürdig, als sie es bei einem voreiligen Vertragsabschluss gewesen wäre, drohte ihr doch der Verlust des von ihr seit ihrer Kindheit bewohnten Bestandobjekts. Sie war daher, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, gem § 3 KSchG berechtigt, von der getroffenen Auflösungsvereinbarung zurückzutreten.

 

Eine Belehrung über das Rücktrittsrecht wurde der Beklagten nicht ausgefolgt, weshalb der Rücktritt unbefristet möglich war. Von einer Anbahnung durch die Beklagte (§ 3 Abs 3 Z 1 KSchG) kann nach den Feststellungen der Vorinstanzen keine Rede sein.