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17.09.2012 Zivilrecht

OGH: Haftungsrechtliche Konsequenzen des rechtswidrigen Langsamfahrens auf Autobahnen

Das Fahren mit einer Geschwindigkeit von bloß 20 km/h auf einer Autobahnstrecke mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h - noch dazu bei Dunkelheit und ohne Betrieb der Warnblinkanlage - stellt ein maßgebliches Fehlverhalten dar, das bei der Verschuldensteilung nicht zu vernachlässigen ist


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, rechtswidriges Langsamfahren auf Autobahnen
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB, § 20 StVO, § 46 StVO, § 1311 ABGB

GZ 2 Ob 17/12g [1], 07.08.2012

 

OGH: Gem § 20 Abs 1 letzter Satz StVO darf der Lenker eines Fahrzeugs nicht ohne zwingenden Grund so langsam fahren, dass er den übrigen Verkehr behindert.

 

Gem § 46 Abs 1 StVO dürfen Autobahnen nur mit Kraftfahrzeugen benützt werden, die eine Bauartgeschwindigkeit von mindestens 60 km/h aufweisen und mit denen diese Geschwindigkeit überschritten werden darf. Abs 3 dieser Bestimmung verpflichtet den Lenker, im Falle eines Fahrzeuggebrechens unverzüglich über die nächste Abfahrtsstraße die Autobahn zu verlassen.

 

Der OGH hat in der Entscheidung 8 Ob 192/83 ausgesprochen, dass das Verschulden eines Kfz-Lenkers, der auf einer Autobahn sein Kfz so abstellt, dass es zur Hälfte auf dem Pannenstreifen und zur anderen Hälfte auf der rechten Fahrspur zu stehen kommt, gegenüber dem Verschulden eines Kfz-Lenkers, der wegen überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern kommt und auf das abgestellte Kfz aufprallt, vernachlässigt werden kann.

 

Ähnlich kam die Entscheidung 2 Ob 27/87 zum Ergebnis, dass das Fehlverhalten des Klägers, der sein wegen vorhersehbaren Treibstoffmangels zum Stillstand gekommenes Fahrzeug unter Verwendung der Warnblinkanlage am rechten Fahrbahnrand der Autobahn angehalten hatte, gegenüber jenem des Lenkers, der den stehenden Pkw gestreift und den Kläger niedergefahren habe, weitgehend in den Hintergrund trete.

 

Beide - vom Berufungsgericht zitierte - Entscheidungen sind jedoch für den vorliegenden Sachverhalt nur eingeschränkt einschlägig, weil hier weder eine relevante Geschwindigkeitsüberschreitung und ein Schleudern des Beklagtenfahrzeugs, noch ein Inbetriebsetzen der Warnblinkanlage des Klagsfahrzeugs gegeben ist.

 

Die Entscheidung 2 Ob 29/87 ging von einem Mitverschulden im Verhältnis von 3 : 1 zugunsten des vorschriftswidrig (§ 46 Abs 3 StVO) die Autobahn in weiterem Umfang als erlaubt zum Abschleppen benützenden Fahrzeuglenker gegenüber dem wegen Unaufmerksamkeit auffahrenden Kfz-Lenker aus. Zweck der genannten Bestimmung sei, dass ein Abschleppvorgang auf der für die Einhaltung hoher Geschwindigkeiten vorgesehenen und daher für relativ langsame Abschleppvorgänge besonders gefährlichen Autobahn nur so lange dauern dürfe, wie dies unbedingt erforderlich sei, um das fahruntaugliche Fahrzeug von der Autobahn zu schaffen (vgl auch 2 Ob 314/00s: Mitverschulden von einem Viertel wegen Abstellens eines Busses am Pannenstreifen und Hineinragen in die erste Fahrspur der Autobahn ohne Aufstellung eines Pannendreiecks).

 

In diesen Entscheidungen wurde die Gefährlichkeit von Kfz, die im Autobahnbereich mit unüblich niedriger Geschwindigkeit gelenkt werden oder ein stationäres Hindernis bilden, als (mit-)verschuldensbegründend gewertet.

 

Im vorliegenden Fall hat die (unerklärliche) Fahrweise der Zweitklägerin eine derartige Gefahrensituation herbeigeführt. Es liegt ein grundloses und den übrigen Verkehr behinderndes Langsamfahren des Klagsfahrzeugs vor. Damit ist der Zweitklägerin eine Verletzung der Schutznorm des § 20 Abs 1 letzter Satz StVO vorzuwerfen (vgl 8 Ob 153/80 = RIS-Justiz RS0027620 zur Qualifikation der genannten Bestimmung als Schutznorm iSv § 1311 ABGB). Das Fahren mit einer Geschwindigkeit von bloß 20 km/h auf einer Autobahnstrecke mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h - noch dazu bei Dunkelheit und ohne Betrieb der Warnblinkanlage (vgl § 102 Abs 2 letzter Satz Z 3 KFG) - stellt ein maßgebliches Fehlverhalten dar, das bei der hier vorzunehmenden Verschuldensteilung nicht zu vernachlässigen ist.

 

Im Hinblick auf das doch überwiegende Fehlverhalten (Reaktionsverzögerung) des auffahrenden Erstbeklagten hält der Senat eine Schadensteilung von 1 : 2 zugunsten der Zweitklägerin und des Drittklägers für angemessen.