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17.09.2012 Zivilrecht

OGH: Tierhalterhaftung gem § 1320 ABGB – zu den Anforderungen an die Verwahrungspflicht eines Tierhalters im Falle einer unmittelbar an einer stark frequentierten Autobahn gelegenen Weidefläche

Die unmittelbare Nähe einer beträchtlichen Gefahrenquelle (Autobahn) verpflichtet den Tierhalter zu erhöhter Sorgfalt


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Tierhalterhaftung, Verwahrungspflicht, Autobahn, Weidefläche
Gesetze:

§ 1320 ABGB

GZ 2 Ob 85/11f [1], 28.06.2012

 

OGH: Der OGH hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Gesetzgeber in § 1320 ABGB zwar keine (volle) Gefährdungshaftung normiert hat, die besondere Tiergefahr aber dadurch berücksichtigt wird, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt wird. Der Tierhalter hat zu beweisen, dass er sich nicht rechtswidrig verhielt. Misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten. Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein.

 

Für Weidevieh wird im Allgemeinen die Verwahrung mit elektrischem Weidezaun als ausreichend angesehen und zwar grundsätzlich auch in der Nähe von stark befahrenen Straßen (SZ 45/126; SZ 52/86; 2 Ob 180/98d). In den zuletzt erwähnten Entscheidungen wurde aber auch stets betont, dass die Verwahrung besonders sorgfältig erfolgen muss. Besondere Umstände können im Einzelfall zu einer Anhebung der Sorgfaltsanforderungen führen. Als ein Kriterium hierfür wurde auch die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten genannt: Je größer die Schadensmöglichkeit, umso strengere Anforderungen müssen gestellt werden.

 

Im vorliegenden Fall reichte die umzäunte Weidefläche, auf der sich die weideerfahrenen, an Autolärm gewöhnten sowie mit Futter und Wasser ausreichend versorgten Jungrinder seit vier Tagen befanden, bis auf wenige Meter an die stark befahrene Inntal-Autobahn heran. Dazwischen lagen nur eine im Abstand von 10 m von der Weidefläche parallel zur Autobahn verlaufende, nicht asphaltierte Straße von 3 m Breite und eine daran angrenzende, mit Gras bewachsene, ca einen halben Meter hohe, 2 m breite, danach 1 m abfallende und zur Autobahn auslaufende Böschung. Den Feststellungen sind auch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass sich zwischen der seitlich gelegenen Ausbruchstelle und der Autobahn abschreckende natürliche Hindernisse befunden hätten.

 

In Anbetracht dieser besonderen örtlichen Verhältnisse begründet es keine von der bisherigen Rsp in korrekturbedürftiger Weise abweichende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen, wenn diese die Auffassung vertraten, dass die unmittelbare Nähe einer beträchtlichen Gefahrenquelle (Autobahn) den Tierhalter zu erhöhter Sorgfalt verpflichtet hätte. Das Berufungsgericht hat vielmehr vertretbar die erhöhte Schadensträchtigkeit eines möglichen Ausbruchs der Jungrinder wegen der nahe gelegenen Autobahn in den Vordergrund gerückt.

 

Die Annahme einer erhöhten Hütesicherheit bei Verwendung eines Weidezauns mit durchgehend zwei- oder dreifacher Drahtführung beruht auf den - dem Gutachten des Sachverständigen für Tierhaltung folgenden - Feststellungen des Erstgerichts, die der Erstbeklagte in seiner Berufung erfolglos bekämpfte und an die der OGH gebunden ist. Im Übrigen hat der Erstbeklagte selbst (aber eben nur) teilweise nach dieser Erkenntnis gehandelt, indem er den Zaun auf der zur Autobahn weisenden Seite mit zweifacher Drahtführung errichtet hat. An der Ausbruchstelle war der Zaun hingegen nur mit einem Draht versehen. Es blieb ungeklärt, ob die Tiere auch bei zwei- oder dreifacher Drahtführung entwichen wären. Die Revisionsausführungen über die mögliche Art und Weise des Ausbruchs (Andrängen der ganzen Herde; nur ein Tier erhielt den Stromschlag) stützen sich auf bloße Vermutungen und gehen nicht von der zu diesem Thema vorliegenden Negativfeststellung aus; sie sind daher unbeachtlich.

 

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Erstbeklagte habe den ihm obliegenden Nachweis der objektiv gebotenen Sorgfalt nicht erbracht, wirft unter den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.