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08.10.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Freizeit während der Kündigungsfrist – zur Frage, welche Auswirkung ein vereinbarter Urlaub auf den Freistellungsanspruch nach § 22 AngG hat

Ein Anspruch nach § 22 AngG kommt für jene Zeiten nicht in Betracht, in denen der gekündigte Arbeitnehmer bereits aus anderen Gründen bezahlte Freizeit konsumiert und eine zusätzliche „Freistellung“ begrifflich nicht möglich ist; das gilt bei fristwidriger Kündigung oder unberechtigter Entlassung für jenen Zeitraum, in dem eine Kündigungsentschädigung gebührt, das gilt aber insbesondere auch für die Dauer eines vereinbarten Erholungsurlaubs


Schlagworte: Angestelltenrecht, Freizeit während der Kündigungsfrist, vereinbarter Urlaub
Gesetze:

§ 22 AngG

GZ 8 ObA 28/12v [1], 13.09.2012

 

OGH: Nach § 22 AngG ist dem Angestellten bei Kündigung durch den Dienstgeber während der Kündigungsfrist auf sein Verlangen wöchentlich mindestens ein Fünftel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ohne Schmälerung des Entgelts freizugeben. Der auch als „Postensuchtage“ bezeichnete Anspruch soll dem Arbeitnehmer das Erlangen eines neuen Arbeitsplatzes erleichtern, ist aber nach völlig hA nicht an den Nachweis einer entsprechenden Verwendung gebunden.

 

Der Umfang des bezahlten Mindestfreistellungsanspruchs hängt von der Dauer der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder einzelvertraglich vereinbarten längeren Kündigungsfrist ab. Eine „frühzeitige“ Kündigung erhöht den Anspruch nicht. Bei der Berechnung sind angefangene Wochen nach hA voll zu zählen, sodass im Fall einer Kündigungsfrist von zwei Monaten der Freistellungsanspruch für neun Wochen besteht.

 

Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend zugrundegelegt (§ 510 Abs 3 ZPO), dass ein Anspruch nach § 22 AngG für jene Zeiten nicht in Betracht kommt, in denen der gekündigte Arbeitnehmer bereits aus anderen Gründen bezahlte Freizeit konsumiert und eine zusätzliche „Freistellung“ begrifflich nicht möglich ist. Das gilt bei fristwidriger Kündigung oder unberechtigter Entlassung für jenen Zeitraum, in dem eine Kündigungsentschädigung gebührt, das gilt aber insbesondere auch für die Dauer eines vereinbarten Erholungsurlaubs.

 

Der Anspruch auf Gewährung von Postensuchtagen entsteht nicht bereits ex lege durch die Kündigung, sondern erst durch das darauf gerichtete Verlangen des Arbeitnehmers. Für die Frage, ob ein in der Kündigungsfrist gelegener Erholungsurlaub wirksam vereinbart werden konnte, ohne in den Freistellungsanspruch einzugreifen, kommt es entgegen der Auffassung der Revision daher nicht auf den Zugang der Kündigung, sondern auf den Zugang des Verlangens nach § 22 AngG an. Der Kläger hat sein Freistellungsbegehren erst nach der ausdrücklichen Annahme seines Urlaubsantrags durch die Beklagte erhoben (der zu diesem Zeitpunkt einzig noch nicht fixierte 26. Mai 2011 ist für die Berechnung ohne Relevanz).

 

Ob ein Angestellter von einer in Unkenntnis der nachfolgenden Kündigung getroffenen Urlaubsvereinbarung uU aus wichtigem Grund zurücktreten könnte, steht im vorliegenden Fall nicht zur Prüfung an, weil ein Rücktritt vom Kläger nicht behauptet wurde.

 

Nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt kam zwischen Kläger und Beklagter vor dem Verlangen gem § 22 AngG eine bindende Urlaubsvereinbarung über mehr als drei Arbeitswochen (18. bis 22. 4 und 27. 5. bis 15. 6. 2011) zustande. Ausgehend von insgesamt neun Wochen Kündigungsfrist abzüglich drei Urlaubswochen verblieb dem Kläger daher ein Anspruch auf bezahlte Freistellung iSd § 22 AngG für sechs Wochen. Diese Freizeit hat er mit den ihm gewährten sechs Postensuchtagen zur Gänze konsumiert.

 

Einem Angestellten kann theoretisch bei Vorliegen eines erhöhten Bedarfs die Freistellung auch für einen längeren Zeitraum zu gewähren sein, weil der Gesetzgeber in § 22 AngG ausdrücklich nur einen Mindestanspruch für die Freistellung festgelegt hat. Die Behauptungs- und Beweislast für einen erheblichen Mehrbedarf läge allerdings beim Kläger, der in dieser Hinsicht nichts vorgebracht hat.