OGH > Zivilrecht
12.11.2012 Zivilrecht

OGH: Fehlerhaftes Obduktionsgutachten im Todesfall des Sohnes – Haftung der gerichtlichen Sachverständigen?

Der vorrangige Zweck des Strafverfahrensrechts liegt in der Durchsetzung des (mit in diesem Fall nicht interessierenden Ausnahmen wie Privatanklagedelikten) dem Staat vorbehaltenen Strafverfolgungsanspruchs, dessen Organe im Ermittlungsverfahren von Amts wegen zur Aufklärung eines Verdachts einer (nicht nur auf Verlangen einer hiezu berechtigten Person zu verfolgenden) Straftat verpflichtet sind (vgl § 2 Abs 1 StPO), nicht aber darin, nahen Angehörigen (hier behauptete) Aufwendungen zu ersparen, die ihnen durch Privatermittlungen entstehen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Sachverständigenhaftung, unrichtiges Gutachten, fehlerhafte Ermittlungen im Todesfall des Sohnes, Obduktionsgutachten, Rechtswidrigkeitszusammenhang, Dritte
Gesetze:

§ 1299 ABGB, § 1311 ABGB, § 881 ABGB, § 127 StPO aF, § 128 StPO nF, StPO

GZ 1 Ob 171/12x [1], 11.10.2012

 

OGH: Zunächst ist klarzustellen, dass den Klägern zum Zeitpunkt der Bestellung der Sachverständigen und der Erstattung des Gutachtens in dem in Österreich geführten, im Jahr 2006 eingestellten Strafverfahren nicht die Rechtsposition als Opfer iSd § 65 Z 1 lit b StPO idgF zukam. Die Bestimmungen des vierten Hauptstücks über die Opfer und ihre Rechte (s dazu § 65 Z 1, § 66 und § 70 StPO) wurden mit dem StrafprozessreformG (StPRG), BGBl I 2004/19, eingeführt, das nach § 514 Abs 1 StPO erst am 1. Jänner 2008 in Kraft trat. Die Kläger waren demnach nicht Verfahrensbeteiligte, sondern Dritte.

 

Für die Folgen eines unrichtigen Gutachtens haften gerichtlich bestellte Sachverständige nach den allgemeinen Regeln persönlich und zwar nicht nur den Parteien, sondern auch Dritten, wenn deren Interessen vom Schutzzweck der gerichtlichen Bestellung erfasst werden.

 

Nicht alle Normen der StPO dienen auch dem Schutz des durch eine Straftat Geschädigten. Vielmehr ist bei jeder einzelnen Norm der StPO nach dem Normzweck zu fragen, der sich aus der wertenden Beurteilung des Sinns der Vorschrift ergibt. Beispielsweise bezwecken die Bestimmungen über die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme jedenfalls nicht, einem durch ein Vermögensdelikt Geschädigten die Geldbeträge zu verschaffen, auf die er dann zur Durchsetzung seiner privatrechtlichen Ansprüche greifen könnte. Verneint wurde ein Recht des durch eine Straftat eines unbekannten Täters Geschädigten auf Beteiligung an der Ausforschung des Täters oder auf Durchführung von im strafrechtlichen Sinn „zwecklosen“ (weil wenig aussichtsreichen) Erhebungen bloß zur Erleichterung der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche.

 

In dem nunmehr zu beurteilenden Fall war zu prüfen, ob Bestimmungen der StPO über die Untersuchung von Leichen die Kläger vor dem Eintritt der geltend gemachten Schäden schützen sollten.

 

§ 127 Abs 1 StPO in der hier relevanten Fassung vor dem StPRG ordnete die Vornahme von Leichenbeschau und Leichenöffnung an, wenn bei einem Todesfall zweifelhaft war, ob der Tod durch ein Verbrechen oder ein Vergehen verursacht worden sei. Leichenbeschau und Leichenöffnung waren iSd § 128 Abs 1 leg cit von einem oder falls notwendig von zwei Ärzten vorzunehmen. Das Gutachten hatte nach § 129 leg cit insbesondere festzuhalten, was die Ursache des Todes war und wodurch sie erzeugt wurde (Abs 1), und im Fall wahrgenommener Verletzungen (Abs 2), ob diese durch die Handlung eines anderen zugefügt wurden (Z 1), und - wenn dies zutraf - ob diese Handlung den Tod herbeiführte (Z 2 lit a - d) und letztlich, ob der Tod durch rechtzeitige Hilfe hätte abgewendet werden können (Z 2 lit e).

 

Es dürfte unbestritten sein, dass diese Bestimmungen die Frage klären sollten, ob eine Straftat den Tod verursachte und welcher Art sie war. Das Interesse von (nunmehr in § 65 Z 1 lit b StPO idgF definierten) nahen Angehörigen eines Getöteten, Gewissheit zu haben, ob dieser Opfer einer Straftat war, ist ohne Zweifel legitim. Der vorrangige Zweck des Strafverfahrensrechts liegt aber in der Durchsetzung des (mit in diesem Fall nicht interessierenden Ausnahmen wie Privatanklagedelikten) dem Staat vorbehaltenen Strafverfolgungsanspruchs, dessen Organe im Ermittlungsverfahren von Amts wegen zur Aufklärung eines Verdachts einer (nicht nur auf Verlangen einer hiezu berechtigten Person zu verfolgenden) Straftat verpflichtet sind (vgl § 2 Abs 1 StPO), nicht aber darin, nahen Angehörigen (hier behauptete) Aufwendungen zu ersparen, die ihnen durch Privatermittlungen entstehen.