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12.11.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Zum Missbrauchsverbot gem § 5 KartG (hier: Geschäftsverweigerung)

Nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ist zu beurteilen, ob der marktbeherrschende Unternehmer, der bereits mit anderen Nachfragern kontrahiert hat, dies auch mit neuen Nachfragern tun muss, die als geeignete Vertragspartner erscheinen; eine Grenze der Kontrahierungspflicht ergibt sich aus der Eignung des Geschäftsanbahnenden zur Durchführung des Geschäfts und aus den vorhandenen Kapazitäten des Marktbeherrschers


Schlagworte: Kartellrecht, Missbrauchsverbot, Kontrahierungspflicht, Geschäftsverweigerung, essential-facilities-Doktrin
Gesetze:

§ 5 KartG, Art 102 AEUV

GZ 16 Ok 1/12 [1], 11.10.2012

 

Die Rekurswerberin (ÖBB) bestreitet eine kartellrechtliche Kontrahierungspflicht. Sie macht dazu geltend, als juristische Person des Privatrechts, die im öffentlichen Eigentum stehe, könne sie nur dann der Fiskalgeltung der Grundrechte unterliegen, wenn ihr vom Staat eine spezifische, im Wesentlichen öffentlich-rechtlich begründete faktische oder rechtliche Monopolstellung eingeräumt sei. Nach der Liberalisierung des Eisenbahnsektors existiere eine solche „staatliche Übermacht“ nicht mehr. Das Erstgericht nehme unzulässig eine unmittelbare Drittwirkung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes an. Der Missbrauchstatbestand der Geschäftsverweigerung gem § 5 KartG oder Art 102 AEUV sei schon deshalb nicht verwirklicht, weil nach den Feststellungen der Zugang zu den Fahrplanmedien der Rekurswerberin für die Antragstellerin nicht erforderlich sei, um erfolgreich in den Schienenpersonenverkehrsmarkt einzutreten. Die Geschäftsverweigerung sei gerechtfertigt, weil es die Antragstellerin verabsäumt habe, die technischen, inhaltlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine umfassende Beurteilung der Realisierbarkeit ihres Zugangsbegehrens durch die Rekurswerberin zu schaffen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs 1 Z 3 KartG seien nicht erfüllt. Auf den Fall seien die Grundsätze der essential-facilities-Doktrin anzuwenden. Danach liege ein Missbrauch nicht vor, weil für die Antragstellerin der Zugang zu den Informationssystemen nicht unerlässlich für die Erbringung von Verkehrsleistungen sei.

 

OGH: Vom persönlichen Schutz des § 5 Abs 1 Z 3 KartG erfasst sind Vertragspartner, von jenem des vergleichbaren Art 102 lit c AEUV Handelspartner des marktbeherrschenden Unternehmers. Nach der Rsp des EuGH und nach überwiegender Ansicht im Schrifttum fallen potentielle Kunden des marktbeherrschenden Unternehmens nicht in den Anwendungsbereich des Art 102 lit c AEUV.

 

Wird ein potentieller Kunde dadurch diskriminiert, dass der Marktbeherrscher selektiv beliefert und sich weigert, eine Geschäftsbeziehung einzugehen, so kann dieses Verhalten als Lieferverweigerung nach der Generalklausel wettbewerbswidrig sein und einen Kontrahierungszwang begründen. Dieser Auffassung ist auch im Anwendungsbereich des KartG zu folgen, sind doch nach der Rsp des Senats für die Beurteilung der Missbrauchstatbestände nach dem KartG auch Art 102 AEUV und die dazu ergangenen Entscheidungen heranzuziehen. Auf die weiteren Ausführungen der Rekurswerberin gegen die rechtliche (den Missbrauchstatbestand des § 5 Abs 1 Z 3 KartG bejahende) Beurteilung des Erstgerichts muss damit nicht weiter eingegangen werden.

 

Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin ist der Fall nicht unter dem Aspekt der essential-facilities-Doktrin zu prüfen, setzt doch deren Anwendung voraus, dass das marktbeherrschende Unternehmen hinsichtlich der begehrten Leistung - anders als im Anlassfall - noch keinen Wettbewerb eröffnet hat.

 

Nach der Rsp unterliegen Monopolisten und Unternehmen der öffentlichen Hand zur Daseinsvorsorge einem „allgemeinen“ oder „mittelbaren“ Kontrahierungszwang; nicht monopolistische Unternehmen der öffentlichen Hand sind hingegen soweit zum Vertragsabschluss verhalten, als dessen Verweigerung ihrer Pflicht zur Gleichbehandlung widerspräche.

 

Da die Rekurswerberin als (nicht monopolistische) Anbieterin von Fahrplaninformationsmedien aber keine Aufgaben der öffentlichen Hand wahrnimmt, trifft sie für diese Tätigkeit keine aus ihrer Stellung als Versorgungsunternehmen der öffentlichen Hand abgeleitete Pflicht zur Gleichbehandlung; insoweit wird sie wie eine andere private Aktiengesellschaft tätig. Für die Rekurswerberin ist daraus aber nichts zu gewinnen.

 

Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist verboten (§ 5 Abs 1 Satz 1 KartG). Dadurch, dass die Rekurswerberin die Aufnahme der Züge der Antragstellerin in ihre Informationssysteme verweigert, missbraucht sie iS dieser Generalklausel ihre marktbeherrschende Stellung.

 

Als missbräuchlich werden sämtliche Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung bezeichnet, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmers bereits geschwächt ist und die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, die von den Mitteln eines normalen Produktwettbewerbs oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktteilnehmer abweichen.

 

Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liegt dann vor, wenn ein den anderen Marktteilnehmern wirtschaftlich überlegener Unternehmer auf das Marktgeschehen in einer Weise Einfluss nimmt, die geeignet ist, negative Auswirkungen auf die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse zu entfalten.

 

Bei der Prüfung, ob eine missbräuchliche Ausnützung einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt, ist stets eine sorgfältige Abwägung der einander widerstreitenden Interessen vorzunehmen.

 

Weder nach dem KartG noch nach europäischem Wettbewerbsrecht besteht - wie der Senat bereits ausgesprochen hat - grundsätzlich ein Kontrahierungszwang. Marktbeherrschenden Unternehmen wird aber missbräuchliches Verhalten, insbesondere in Form einer Lieferungsverweigerung, dann zugerechnet, wenn ihr Verhalten durch keine objektiven Gründe gerechtfertigt wird.

 

Besteht zum Zeitpunkt der Weigerung, eine Geschäftsbeziehung aufzunehmen, für den Gegenstand des Geschäfts ein Markt, hat also das marktbeherrschende Unternehmen bereits mit anderen kontrahiert, kommt nach europäischem Wettbewerbsrecht bei der Verweigerung einer Geschäftsbeziehung mit geeigneten Dritten im Einzelfall ein Verstoß gegen die Generalklausel des Art 102 Satz 1 AEUV in Betracht; auch bei nicht monopolistischen marktbeherrschenden Unternehmen besteht demnach tendenziell eine Pflicht zur Geschäftsaufnahme, wenn diese keine sachlichen Gründe für ihr Weigerung anführen können.