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26.11.2012 Zivilrecht

OGH: § 140 ABGB – zum Unterhaltscharakter vergangener Naturalleistungen

Längerfristige Anschaffungen wie etwa Kleidung sind grundsätzlich geldunterhaltsmindernd anzurechnen


Schlagworte: Familienrecht, Unterhalt, Naturalleistungen, Kleidung, mit / ohne Schenkungsabsicht
Gesetze:

§ 140 ABGB

GZ 10 Ob 34/12s [1], 10.09.2012

 

OGH: Es hat bereits das Rekursgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass bei der Entscheidung über einen (an sich berechtigten) Antrag auf rückwirkende Erstbemessung oder rückwirkende Unterhaltserhöhung die in der Vergangenheit erbrachten, die ursprünglich titulierte Unterhaltspflicht übersteigenden Naturalleistungen mit Unterhaltscharakter anspruchsmindernd anzurechnen sind, und zwar unabhängig von der Zustimmung des obsorgeberechtigten Elternteils. Unterhaltscharakter haben vergangene Naturalleistungen in diesem Zusammenhang dann, wenn sie ohne Schenkungsabsicht - also in Alimentationsabsicht (was vermutet wird) - erbracht wurden und zu einer ausgewogenen Deckung des gesamten angemessenen Lebensbedarfs des Kindes beigetragen haben, ohne dass eine sachlich nicht gerechtfertigte Überalimentation in einem Bedürfnisbereich um den Preis eines Deckungsdefizits in einem anderen Bedürfnisbereich hingenommen werden darf.

 

Aber auch in Schenkungsabsicht erbrachte Naturalleistungen können nicht dazu führen, dass der bereits in natura gedeckte Bedarf quasi fiktiv aufrechterhalten wird und dem Unterhaltspflichtigen nochmals die Deckung des fiktiven Bedarfs in Geld auferlegt wird und es damit zu einer Doppelversorgung kommt, auf die der Unterhaltsberechtigte keinen Anspruch hat. Wird daher etwa ein Begehren auf Erhöhung der Geldunterhaltsverpflichtung auf die Bedürfnissteigerung des Kindes infolge des Wachstums und die notwendig gewordene Anschaffung neuer Kleidung gestützt, wird der Geldunterhaltspflichtige erfolgreich einwenden können, dass er einen Teil des Bedarfs bereits durch die Anschaffung passender und objektiv angemessener Kleidung gedeckt hat, auch wenn dies in Schenkungsabsicht erfolgt ist, da eben der Bedarf und damit der Unterhaltsanspruch (teilweise) gedeckt wurde und daher nicht weiter besteht. Voraussetzung dabei ist jedoch immer, dass es sich dabei um für das Kind brauchbare, zweckentsprechende, bedürfnisgerechte Naturalleistungen handelt.

 

Bei einer rückwirkenden Unterhaltserhöhung kann es (anders als bei der Ermittlung der Unterhaltsverletzung und der Anrechnung auf den laufenden Unterhalt) gerechtfertigt sein, nicht nur Naturalleistungen zur regelmäßigen oder längerfristigen Bedürfnisbefriedigung, sondern auch vereinzelte Unterhaltszuwendungen wie Sportausrüstung, Bekleidungsstücke, Schikurskosten oder angemessene Freizeitreisekosten geldunterhaltsmindernd anzurechnen.

 

Die Frage, inwieweit aber grundsätzlich anrechenbare Leistungen bei der rückwirkenden Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.