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26.11.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Zur Hausdurchsuchung gem § 12 WettbG

Selbst wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen; bei einer Hausdurchsuchung darf auch nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind


Schlagworte: Kartellrecht, Wettbewerbsrecht, Bundeswettbewerbsbehörde, Hausdurchsuchung, begründeter Verdacht, Verhältnismäßigkeit, unbekannte Informationsquellen, Auskunftsverlangen
Gesetze:

§ 12 WettbG, § 11a WettbG, § 58 KartG

GZ 16 Ok 5/12 [1], 11.10.2012

 

OGH: Entgegen der Ansicht der Rekurswerberinnen besteht zwischen den der Bundeswettbewerbsbehörde zustehenden Ermittlungsbefugnissen keine hierarchische Ordnung. Es ist daher weder die Durchführung eines Auskunftsverlangens (§ 11a WettbG) noch dessen Ankündigung Voraussetzung für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls. Auskunftsverlangen und Nachprüfung sind zwei voneinander unabhängige Ermittlungsinstrumente zur Sachverhaltsaufklärung.

 

Vor dem Hintergrund, dass Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bilden, ist aber an das Interesse an der Sachaufklärung durch eine Hausdurchsuchung ein strenger Maßstab zu stellen. Im Einzelfall kann sich daher unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Einschränkung der Wahlfreiheit der Bundeswettbewerbsbehörde ergeben.

 

Zweckmäßig ist eine Nachprüfung insbesondere dann, wenn aus Sicht der Behörde Verdunkelungsgefahr besteht. Gründe, weshalb im vorliegenden Fall eine Hausdurchsuchung unverhältnismäßig ist, nennen die Rekurswerberinnen nicht.

 

Nach § 12 Abs 1 WettbG setzt die Anordnung einer Hausdurchsuchung voraus, dass die Hausdurchsuchung zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist und der begründete Verdacht eines in dieser Bestimmung genannten Kartellverstoßes besteht.

 

Entgegen der Ansicht der Rekurswerberinnen bedarf es nach dem klaren Wortlaut des § 12 Abs 1 WettbG nicht eines dringenden Verdachts, sondern es genügt ein begründeter Verdacht.

 

Begründet ist ein Verdacht dann, wenn er sich rational nachvollziehbar dartun lässt. Dafür müssen Tatsachen vorliegen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen im Gesetz genannte Wettbewerbsbestimmungen vorliegt.

 

Hier ergibt sich aus dem vom Erstgericht festgestellten Inhalt des E-Mail-Verkehrs zwischen Mitarbeitern von K und einer Mitarbeiterin einer Gesellschaft der R, insbesondere der E-Mail vom 31. 12. 2007 und vom 8. 1. 2008, nachvollziehbar zum einen der Verdacht einer Abstimmung der Endverkaufspreise zwischen K und der R und zum anderen der Verdacht, dass K dieser geholfen hat, ihre Preise mit ihren Wettbewerbern im Lebensmitteleinzelhandel abzustimmen. Damit wurde nachvollziehbar und vertretbar der Verdacht kartellrechtswidriger Absprachen dargetan.

 

Die Bestimmung des § 12 WettbG ist weitgehend dem Europäischen Recht, insbesondere Art 20 der Verordnung Nr 1/2003 über die Nachprüfungsrechte der Europäischen Kommission, nachgebildet. Danach muss die konkrete Nachprüfungshandlung zur Erfüllung der durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben erforderlich sein, also die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlung ermöglichen. Selbst wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen. Die Erforderlichkeit ist anhand des verfolgten und dem Adressaten bekanntgegeben Zwecks zu beurteilen.

 

Die Ermittlungen sind aber nicht auf Tatsachen beschränkt, die unmittelbar die Tatbestandsvoraussetzungen eines Wettbewerbsverstoßes betreffen, sondern umfassen auch Informationen über den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem der Verfahrensgegenstand beurteilt werden muss. Bei einer Hausdurchsuchung darf auch nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind.

 

Besteht ein begründeter Verdacht, dass ein Kartell trotz ausdrücklichen Verbots fortgesetzt wird, ist regelmäßig die Besorgnis berechtigt, die Unternehmen versuchten Beweismittel zu unterdrücken, sollten sie von den Erhebungen Kenntnis erlangen. Aus diesem Grund kann in derartigen Fällen idR nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung einer Hausdurchsuchung unverhältnismäßig ist.

 

Die Antragstellerin hat die Erforderlichkeit der Hausdurchsuchung damit begründet, dass der begründete Verdacht bestehe, die Antragsgegnerinnen und verschiedene Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels seien maßgeblich an - sowohl der Art als auch der Dauer nach - schwerwiegenden kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt gewesen und es sei zu vermuten, dass sich bei den Antragsgegnerinnen die zur Erlangung von Informationen notwendigen Geschäftsunterlagen befinden könnten. Die Hausdurchsuchung diene zudem der Abklärung, wie lange die Verstöße durch die betroffenen Unternehmen gedauert hätten, ob sie noch andauerten und welche Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels an den Preisabstimmungsmaßnahmen der Antragsgegnerinnen beteiligt gewesen seien.

 

Vor dem Hintergrund der referierten Rsp ist dem Erstgericht in seiner Beurteilung zuzustimmen, dass die begehrte Hausdurchsuchung aufgrund des begründeten Verdachts kartellrechtswidriger Absprachen und des von der Antragstellerin dargetanen Zwecks erforderlich und nicht unverhältnismäßig war.

 

Unerheblich ist die Behauptung der Rekurswerberinnen, ihre Machtposition reiche zur Gestaltung von Verkaufspreisen im Einzelhandel nicht aus: Am Verdacht einer kartellrechtswidrigen Absprache ändert es nichts, wenn die Antragsgegnerinnen die Einhaltung von Preisbindungen von (marktmächtigen) Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels nicht erzwingen können.