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03.12.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob ein geschädigter Anleger im Fall der Insolvenz eines Emittenten vom grundsätzlich schadenersatzpflichtigen Finanzberater Geldersatz in Form des Differenzschadens ohne Berücksichtigung der noch nicht bezifferbaren Quote im Insolvenzverfahren erlangen kann

Ein Zuwarten bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens ist den Anlegern - unabhängig von einer allenfalls zu erwartenden Quote - nicht zumutbar; in einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Anlage (endgültig) wertlos und ein Verkauf weder möglich noch erforderlich ist; der Subtrahend der Differenzrechnung ist vielmehr mit Null anzusetzen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Anlageberaterhaftung, Insolvenz eines Emittenten, Quote, Leistungsklage, Differenzrechnung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1323 ABGB

GZ 4 Ob 140/12k [1], 18.10.2012

 

Die Beklagten haben schon in der Berufung die Schadenshöhe einschließlich Zinsenbegehren nicht mehr in Frage gestellt. Sie machen in dritter Instanz allein geltend, dass mangels Bezifferbarkeit des den Klägern endgültig entstandenen Schadens vor Abschluss des Insolvenzverfahrens über die Emittentin eine auf Geldleistung gerichtete Schadenersatzklage nicht möglich sei, sondern die Kläger auf einen Feststellungsanspruch zu verweisen seien; im Insolvenzverfahren sei nämlich mit einer zumindest teilweisen Befriedigung der Kläger zu rechnen.

 

OGH: Allgemein gilt, dass der Geschädigte bei pflichtwidriger Anlageberatung verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt, ihn also richtig und vollständig beraten hätte. Er kann den Vertrauensschaden verlangen.

 

Beim Vermögensschaden unterscheidet man einerseits den realen Schaden, der in der tatsächlichen negativen Veränderung der Vermögensgüter des Geschädigten liegt und auf dessen Ausgleich die Naturalherstellung (§ 1323 ABGB) ausgerichtet ist. Für diese ist eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht entscheidend.

 

Unter rechnerischem Schaden hingegen versteht man die in Geld messbare Verminderung des Vermögens oder eines Vermögensgutes des Geschädigten. Der rechnerische Schaden wird stets durch eine Differenzberechnung ermittelt. Nach der Differenzmethode besteht das zu leistende Interesse (der rechnerische Schaden) in der Differenz zwischen der Vermögenslage des Geschädigten, wie sie sich im Beurteilungszeitpunkt ohne schädigendes Ereignis darstellen würde, und dem nach dem schädigenden Ereignis nun tatsächlich vorhandenen Vermögensstand.

 

Die Kläger begehren Geldersatz, also den rechnerischen Schaden. Dieses Begehren setzt zwar im Allgemeinen voraus, dass die Kläger das aufgrund der mangelhaften Beratung erworbene Anlageprodukt verkauft haben und dann den Differenzschaden geltend machen. Im konkreten Fall ist zwischen den Parteien aber nicht strittig, dass die Forderung der Kläger wegen Vermögenslosigkeit der Emittentin, über die ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, uneinbringlich ist. Die Uneinbringlichkeit der Forderung gegen die Emittentin ist der Wertlosigkeit gleichzuhalten. Ein Zuwarten bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens ist den Klägern - unabhängig von einer allenfalls zu erwartenden Quote - nicht zumutbar. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Anlage (endgültig) wertlos und ein Verkauf - wie der Senat erst jüngst ausgesprochen hat - weder möglich noch erforderlich ist (4 Ob 67/12z mwN); der Subtrahend der Differenzrechnung ist vielmehr mit Null anzusetzen.

 

Im Anlassfall ist nicht die Höhe des rechnerischen Schadens, den die Kläger infolge der mangelhaften Beratung durch die Beklagten erlitten haben, sondern allein jener möglicherweise in Zukunft eintretende Vorteil strittig, den die Kläger allenfalls dadurch erzielen werden, dass ihnen im Insolvenzverfahren über die Emittentin ein Teil ihrer dort angemeldeten Forderung als Konkursquote ausgezahlt werden wird. Die Beklagten haben allerdings das Vorbringen der Kläger, die im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen überschritten 30 Mio EUR, es sei lediglich mit einer Quote im unteren einstelligen Bereich zu rechnen, nicht substantiiert bestritten. Darauf, ob eine Verringerung der Schadenshöhe durch Zahlung einer Konkursquote zu erwarten ist, kommt es aber hier nicht weiter an, weil der den Klägern aus ihrer mangelhaften Beratung bereits entstandene rechnerische Schaden nicht in Frage steht.

 

Der Befürchtung der Beklagten, die Kläger könnten sich - gewährte man ihnen bereits jetzt einen ungekürzten Zahlungsanspruch - auf ihre Kosten bereichern, sofern das Insolvenzverfahren zu einer Ausschüttung an die Gläubiger führt, hat das Berufungsgericht zutreffend die Rsp entgegengehalten, wonach ein Kläger, der seinen Rechtsanwalt wegen Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht auf Schadenersatz klagt, nicht solange mit der Klage gegen diesen zuwarten muss, bis feststeht, in welcher Höhe der Kläger aus der Konkursmasse seines ursprünglichen Schuldners Deckung erhalten werde.

 

Die Beklagten treten ja dann, wenn sie - auch im Wege des Schadenersatzes - eine fremde Schuld zahlen, nach der Legalzessionsnorm des § 1358 ABGB in die Rechte des Gläubigers ein (vgl 8 Ob 32/02t zum Regress des Vertragserrichters gegen den Verkäufer einer Liegenschaft nach Zahlung von Schadenersatz an den Käufer wegen unterlassener Sicherung vor Auszahlung des Kaufpreises), die hier im Teilnahmeanspruch im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Emittentin samt Anspruch auf Auszahlung einer allfälligen Quote bestehen. Der Revision kann daher kein Erfolg beschieden sein.