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10.12.2012 Zivilrecht

OGH: Kollision nach Sturz einer zwölfjährigen Schifahrerin – zum Verschulden Unmündiger (Billigkeitshaftung nach § 1310 ABGB)

Die Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h auf einer harten Kunstschneepiste mit eisigen Stellen begründet im Hinblick auf die auch für gute Schifahrer stets vorhandene Gefahr des Sturzes und die sich daraus ergebenden Folgen für andere Schifahrer, die sich im Sturzbereich befinden, eine Sorgfaltswidrigkeit (relativ überhöhte Geschwindigkeit); diese Gefahr ist auch für eine 12-jährige gute Schifahrerin erkennbar und die Gefahrenvermeidung (Einhaltung einer geringeren Fahrgeschwindigkeit oder eines wesentlich größeren Abstands zu anderen, insbesondere viel langsameren Pistenbenützern) zumutbar; in jedem der in § 1310 ABGB erwähnten Fälle einer ausnahmsweisen Haftung des unmündigen Schädigers ist es dem billigen Ermessen des Richters überlassen, das Maß des zu leistenden Schadenersatzes festzusetzen, das uU den ganzen Betrag erreichen kann, aber nicht erreichen muss


Schlagworte: Schadenersatzrecht, unmündiger Schifahrer, Kollision, Billigkeitshaftung, Haftpflichtversicherung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1310 ABGB, § 153 ABGB, § 21 ABGB

GZ 3 Ob 177/12v [1], 17.10.2012

 

OGH: Die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen über die örtlichen Verhältnissen und den Unfallshergang lassen auf ein unfallauslösendes Fehlverhalten (Sorgfaltswidrigkeit) der (zum Unfallszeitpunkt 12-jährigen) Beklagten schließen, welches ihr gem § 1310 erster Fall ABGB als Verschulden zur Last zu legen ist. Die Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h auf einer harten Kunstschneepiste mit eisigen Stellen begründet im Hinblick auf die auch für gute Schifahrer stets vorhandene Gefahr des Sturzes und die sich daraus ergebenden Folgen für andere Schifahrer, die sich im Sturzbereich befinden, eine Sorgfaltswidrigkeit (relativ überhöhte Geschwindigkeit). Diese Gefahr ist auch für eine 12-jährige gute Schifahrerin erkennbar und die Gefahrenvermeidung (Einhaltung einer geringeren Fahrgeschwindigkeit oder eines wesentlich größeren Abstands zu anderen, insbesondere viel langsameren Pistenbenützern) zumutbar. Die überhöhte Fahrgeschwindigkeit ist ungeachtet der hier nicht zu klärenden unmittelbaren Sturzursache für die Verletzung der Klägerin kausal, weil die höhere Geschwindigkeit sowohl einen längeren Rutschweg nach dem Sturz als auch eine höhere Aufprallgeschwindigkeit auf einen im Sturzbereich befindlichen Schifahrer und damit eine Erhöhung der Gefahr dessen Verletzung bewirkt. Auf die von der Revisionswerberin angesprochenen Fragen allfälliger Kausaltiätsvermutungen kommt es daher hier nicht an.

 

Schließlich rügt die Beklagte, dass das Berufungsgericht entgegen stRsp im Hinblick auf die bestehende Haftpflichtversicherungsdeckung keine Billigkeitsabwägung vorgenommen habe. Sie unterlässt es aber darzulegen, aufgrund welcher Überlegungen diese Billigkeitsabwägung zu einer anderen Entscheidung als der Verurteilung zur gänzlichen Schadenshaftung führen hätte müssen.

 

In jedem der in § 1310 ABGB erwähnten Fälle einer ausnahmsweisen Haftung des unmündigen Schädigers ist es dem billigen Ermessen des Richters überlassen, das Maß des zu leistenden Schadenersatzes festzusetzen, das uU den ganzen Betrag erreichen kann, aber nicht erreichen muss. Das Verschulden des Schädigers ist stärker zu gewichten, wobei freilich zu beachten ist, dass das Verschulden Unmündiger milder zu beurteilen ist. Auch die von der Beklagten vermisste Billigkeitsabwägung führt in diesem Fall unter Berücksichtigung des keineswegs zu vernachlässigenden Verschuldens der wesentlich zu schnell fahrenden Beklagten unter Berücksichtigung vorhandener Haftpflichtdeckung zu keinem anderen Ergebnis als der vollen Haftung der Beklagten für die der unbestritten gänzlich schuldlosen Klägerin entstandenen Schäden.