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24.12.2012 Verfahrensrecht

OGH: Übertragung der Zuständigkeit (in einer Pflegschaftssache) gem § 111 JN

Auch während eines offenen Obsorgestreits hat sich die Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung ausschließlich daran zu orientieren, welches Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände sachgerechter und umfassender beurteilen kann; bei der Gesamtbeurteilung der für die Übertragung der Elternrechte maßgebenden Kriterien ist dabei stets von der aktuellen Lage auszugehen und sind Zukunftsprognosen miteinzubeziehen


Schlagworte: Zuständigkeit, Übertragung, Außerstreitverfahren, Pflegschaftssache, Obsorgestreit
Gesetze:

§ 111 JN

GZ 8 Ob 115/12p [1], 24.10.2012

 

OGH: Der Rekurs der Mutter, mit dem sie die Genehmigung der Zuständigkeitsübertragung anstrebt, ist zulässig, und auch berechtigt.

 

Maßgeblich für die Entscheidung über die Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN ist die bestmögliche Wahrung des den Pflegebefohlenen zukommenden Schutzes. Offene Anträge sind noch kein grundsätzliches Übertragungshindernis, sondern es hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob eine Entscheidung darüber durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist.

 

Auch während eines offenen Obsorgestreits hat sich die Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung ausschließlich daran zu orientieren, welches Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände sachgerechter und umfassender beurteilen kann. Bei der Gesamtbeurteilung der für die Übertragung der Elternrechte maßgebenden Kriterien ist dabei stets von der aktuellen Lage auszugehen und sind Zukunftsprognosen miteinzubeziehen. Nur wenn eine Erforschung aller maßgeblichen Lebensumstände der Beteiligten möglichst vollständig und aktuell in die Entscheidung einfließen kann, ist das Wohl des Kindes gewährleistet. An diesen Überlegungen ist die Zweckmäßigkeit der Übertragung zu messen.

 

Im vorliegenden Fall hat das BG Krems noch keine aufwändigen Verfahrensschritte gesetzt. Ein Richterwechsel und damit ein neues Einarbeiten in den Akt wäre außerdem auch bei diesem Gericht unumgänglich, weil der bisher zuständige Richter mittlerweile in den Ruhestand getreten ist.

 

Zu Recht setzt die Rekurswerberin den Bedenken des OLG entgegen, dass der Vater die Übertragung der alleinigen Obsorge gar nicht beantragt hat, sondern die Beibehaltung der bestehenden Lage anstrebt, weshalb derzeit - unabhängig vom Verfahrensausgang - nichts für eine bevorstehende Veränderung der Wohnverhältnisse des Kindes spricht. Aus dem gleichen Grund ist auch nicht zu befürchten, dass in der Zuständigkeitsentscheidung bereits ein Präjudiz für den Obsorgestreit erblickt werden könnte.

 

Für die Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung spricht schließlich, dass sie für alle Beteiligten eine Verkürzung der Anreisewege zu Gericht mit sich bringt. Die Wohnorte der beiden Elternteile liegen, wenn auch durch eine Bezirksgrenze getrennt, nur wenige Kilometer voneinander entfernt; das BG Melk ist nicht nur für die Rekurswerberin, sondern auch für den Vater erheblich schneller erreichbar als das BG Krems.

 

Die Übertragung der Zuständigkeit an das BG Melk lässt daher eine Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens erwarten und entspricht am Besten dem Interesse des Kindes. Ausnahmsweise hindert unter den besonderen Umständen auch der noch unerledigte Provisorialantrag den Zuständigkeitswechsel nicht, zumal das BG Krems nach dem gegebenen Verfahrensstand nicht (mehr) schneller und effizienter darüber entscheiden könnte als das Empfangsgericht.