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21.01.2013 Zivilrecht

OGH: Zu den Schutz- und Sorgfaltspflichten eines Konzessionärs aus Glücksspielverträgen in elektronischen Lotterien gegenüber pathologischen Spielern

Den Betreiber trifft gegenüber dem Spieler nur in „Extremfällen“ eine Haftung, etwa bei positiver Kenntnis des Betreibers von der Existenzgefährdung durch das Glücksspiel


Schlagworte: Glücksspielrecht, Schadenersatzrecht, Spielbankhaftung, Schutz- und Sorgfaltspflichten, pathologische Spieler, elektronische Lotterie / Glücksspiel im Internet, Existenzgefährdung, positive Kenntnis
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 25 GSpG

GZ 6 Ob 61/12g [1], 19.12.2012

 

OGH: Der Gesetzgeber hat den verschiedenen Gefahren der verschiedenen Arten des Glücksspiels auf jeweils unterschiedliche Weise Rechnung getragen. Während es für einen Spielbankbesucher (der von § 25 Abs 3 GSpG geschützt ist) kein höhenmäßiges Limit eines Spieleinsatzes gibt, ist nach den Feststellungen bei der elektronischen Lotterie das Wochenlimit auf 800 EUR beschränkt.

 

Bei dieser Sachlage besteht aber keine Grundlage dafür, wie das Berufungsgericht den von § 25 Abs 3 GSpG verfolgten Zweck auf die nach allgemeinem bürgerlichen Recht zu beurteilenden Schutz- und Sorgfaltspflichten übertragen zu wollen und somit die Bestimmung quasi „durch die Hintertür“ dennoch einzuführen und anzuwenden.

 

Was die - unter Außerachtlassung des § 25 Abs 3 GSpG - die Beklagte treffenden Schutz- und Sorgfaltpflichten betrifft, ist Folgendes auszuführen:

 

Das Glücksspiel ist deshalb gefährlich, weil es zur Sucht werden kann, die die finanziellen und wirtschaftlichen Grundlagen des Süchtigen (und womöglich auch seiner Angehörigen) zerstören kann. Nun wohnt aber jeder Sucht (zB Alkoholsucht, Nikotinsucht, Drogensucht, Magersucht, Esssucht, Kaufsucht uam) die Gefahr der Zerstörung der eigenen (wirtschaftlichen oder auch körperlichen) Existenz inne. Im Allgemeinen legt die Rechtsordnung aber den Vertragspartnern von Süchtigen keine Pflichten dergestalt auf, diese vor ihrer Sucht und der damit verbundenen Selbstschädigung zu schützen: So ist etwa der Winzer nicht dazu verpflichtet, sich vor dem Verkauf von Wein über eine allfällige Alkoholsucht des Käufers zu erkundigen. Der durch den Wein geschädigte Alkoholsüchtige kann weder den Kaufpreis des Weins zurückverlangen noch vom Winzer Schadenersatz für die vom Wein verursachte Gesundheitsschädigung verlangen.

 

Der Schutz der Süchtigen wird vom Gesetzgeber einerseits (nur) dort verfolgt, wo Verbotsnormen (zB das SMG) bestehen, andererseits dadurch, dass Rechtsgeschäfte eines Süchtigen, der (wegen seiner Sucht) geschäftsunfähig ist, unwirksam sind und dadurch dem Süchtigen zur Rückabwicklung eines unwirksamen Rechtsgeschäfts Bereicherungsansprüche zustehen.

 

Auch P. Bydlinski vertritt die Ansicht, beim Automatenglücksspiel, auf das § 25 Abs 3 GSpG nicht anwendbar sei, treffe (sofern sonst keine speziellen Schutznormen für Spieler bestehen) den Betreiber gegenüber dem Spieler nur in „Extremfällen“ eine Haftung, etwa bei positiver Kenntnis des Betreibers von der Existenzgefährdung durch das Glücksspiel.

 

Im vorliegenden Fall wurde die Existenzgefährdung des Klägers durch sein Spielen nicht festgestellt, geschweige denn die Kenntnis der Beklagten davon.

 

Im Licht dieser Erwägungen ist dem Erstgericht beizupflichten, dass der Beklagten weder ein Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen oder die Auflagen des Konzessionsbescheids vorzuwerfen ist noch angesichts der festgestellten Überprüfungsmaßnahmen eine Verletzung von vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten zur Last fällt.