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28.01.2013 Zivilrecht

OGH: Ärztliche Aufklärungspflicht – zum Umfang der Aufklärungspflicht eines Zahnarztes im Falle einer „Kronenversorgung“

Die Aufklärung über ein in der Zahnmedizin „durchaus bekanntes“ - wenngleich seltenes - Risiko einer Allergie bei Kronen auf Edelmetallbasis vor einer nicht dringenden Behandlung führt zu keiner Überspannung der Sorgfaltspflicht


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, Aufklärungspflicht, Zahnarzt, Kronen, Allergien
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 18 ZÄG

GZ 2 Ob 43/12f [1], 29.11.2012

 

OGH: Der OGH hat in einer Vielzahl von Entscheidungen Grundsätze über die Erforderlichkeit und den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht entwickelt, von denen auch die Vorinstanzen ausgegangen sind. Danach soll die ärztliche Aufklärung den Patienten instand setzen, die Tragweite seiner Erklärung, in eine bestimmte Behandlung einzuwilligen, zu überschauen. Der Patient kann nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde. Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig. In einem solchen Fall ist die ärztliche Aufklärungspflicht selbst dann zu bejahen, wenn erheblich nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind. Es ist dann auch auf die Möglichkeit äußerst seltener, aber gravierender Risiken hinzuweisen. Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls.

 

Die beklagte Zahnärztin zieht zu Recht nicht in Zweifel, dass diese Grundsätze auch bei Zahnbehandlungsverträgen maßgeblich sind (vgl etwa 8 Ob 33/01p; 4 Ob 39/09b; Sparl, (Medizin-)rechtliche Fragen der Zahnmedizin [2009], 97 ff; vgl auch die - auf den vorliegenden Sachverhalt noch nicht anzuwendende - Regelung der Aufklärungspflicht in § 18 Zahnärztegesetz, BGBl I 2005/126). Zwischen den Parteien ist überdies unstrittig, dass die im Jahr 2004 stattgefundene Behandlung des Klägers (Versorgung des Ober- und Unterkiefers mit Kronen auf Edelmetallbasis) nicht dringlich war.

 

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist es möglich, dass beim Kläger entweder schon vor dem Einsetzen der Kronen eine „Goldallergie“ bestand oder dass sich eine solche erst nach dem Einsetzen der Kronen entwickelt hat. In der Zahnmedizin ist „durchaus bekannt“, dass auch hochgoldhaltige Legierungen Allergien auslösen können, wenngleich klinisch fassbare Reaktionen „äußerst selten“ sind. Wäre dem Kläger schon vor der Behandlung mitgeteilt worden, dass das Material Gold eine Allergie auslösen könnte, hätte er sich einem Allergietest unterzogen. Zu welchem Ergebnis ein solcher Test damals geführt hätte, konnte nicht festgestellt werden.

 

Bei dieser Sachlage ist dem Berufungsgericht keine vom OGH aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es davon ausging, dass die Beklagte den Kläger im Zuge des Beratungsgesprächs über die Folgen einer „Goldallergie“ und die Möglichkeit eines Allergietests aufklären hätte müssen. Auch wenn eine derartige Allergie nur „äußerst selten“ vorkommt, ist doch zu bedenken, dass die Verträglichkeit des in Aussicht genommenen Materials essentielle Voraussetzung für einen beschwerdefreien Behandlungserfolg und daher auch für die Entscheidung des Patienten war. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es hätte dem Kläger die Möglichkeit zur Abklärung einer allfälligen Allergie eröffnet werden müssen, hält sich daher noch im Rahmen der höchstgerichtlichen Judikatur.

 

Nach den Feststellungen hat die Beklagte den Kläger darüber aufgeklärt, dass bei Kronen auf Nichtedelmetallbasis Allergien vorkommen könnten. Warum dann die Aufklärung über ein in der Zahnmedizin ebenfalls „durchaus bekanntes“ - wenngleich noch selteneres - Risiko einer Allergie bei Kronen auf Edelmetallbasis vor einer nicht dringenden Behandlung zu einer Überspannung ihrer Sorgfaltspflicht führen sollte, ist nicht ohne weiteres einzusehen. Eine Überschreitung des ihm zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraums ist dem Berufungsgericht daher nicht vorwerfbar, wenn es diese Frage verneinte.

 

Der Kläger hat zwar im Anamnesebogen und im persönlichen Gespräch mit der Beklagten das Vorliegen von Allergien jedweder Art verneint. Dies geschah allerdings vor der Erstbehandlung, die mit dem gegenständlichen Eingriff noch in keinem Zusammenhang stand. Die zu diesem Thema geäußerte Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht davon ausgehen können, dass der Kläger „alle seine Allergien“ kenne, es hätte daher vor der konkreten Behandlung einer zielgerichteten Aufklärung bedurft, ist zumindest vertretbar und wirft deshalb keine erhebliche Rechtsfrage auf.

 

Die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte, trifft für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht den Arzt.

 

Angesichts der Feststellung des Erstgerichts, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger in die Zahnbehandlung eingewilligt hätte, wenn er über die Möglichkeit eines Allergietests aufgeklärt worden wäre, und der bereits erwähnten (weiteren) Negativfeststellung zum hypothetischen Ergebnis eines solchen Tests, ist dieser Beweis misslungen.

 

Unter den dargelegten Umständen begründet es somit keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, wenn es die Haftung der Beklagten für den Schaden des Klägers dem Grunde nach bejahte.