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04.02.2013 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage des Widerspruchsrechts eines begünstigten Behinderten bei einem Betriebsübergang

Der betriebsübergangsbedingte Übergang eines iSd BEinstG bestandgeschützten Dienstverhältnisses stellt als solcher noch keinen den Widerspruchsgründen des § 3 Abs 4 AVRAG gleichzuhaltenden Grund dar


Schlagworte: Betriebsübergang, Widerspruchsrecht, begünstigter Behinderter
Gesetze:

§ 3 Abs 4 AVRAG, BEinstG

GZ 9 ObA 72/12x [1], 26.11.2012

 

OGH: § 3 Abs 4 AVRAG sieht ein Widerspruchsrecht vor, wenn der Erwerber den kollektivvertraglichen Bestandschutz (§ 4 ArbVG) oder die - auf einer Einzelvereinbarung beruhenden - betrieblichen Pensionszusagen (§ 5 ArbVG) nicht übernimmt. Das setzt das Vorliegen eines solchen Bestandschutzes oder einer entsprechenden Pensionszusage voraus. Gibt es sie nicht (und wird vom Erwerber eine solche Erklärung etwa nur vorsichtshalber abgegeben), führt der Betriebsübergang diesbezüglich auch zu keinem Verlust des Arbeitnehmers. Nur dann wäre aber nach dem Sinn der Bestimmung ein Widerspruchsrecht gerechtfertigt.

 

Der Kläger beruft sich darauf, dass das Widerspruchsrecht nicht auf die in § 3 Abs 4 AVRAG angeführten Fälle beschränkt sei. Es sei ihm aufgrund seiner Eigenschaft als begünstigter Behinderter per se zuzugestehen. Auf den Nachweis einer konkreten Verschlechterung, die im Voraus gar nicht beurteilbar sei, könne es nicht ankommen.

 

Zur Reichweite des Widerspruchsrechts wurde in der Entscheidung 8 ObA 41/10b - auch unter Bedachtnahme auf die europarechtlichen Vorgaben - umfassend dargelegt, dass nach der bestehenden Gesetzeslage nicht von einem allgemeinen Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber ausgegangen werden könne, ein über die gesetzlich vorgesehenen Fälle hinausgehendes Widerspruchsrecht hingegen dort zu bejahen sei, wo ein den Widerspruchsgründen des § 3 Abs 4 AVRAG gleichgewichtiger Grund für den Widerspruch vorhanden sei, auf den der Gesetzgeber offenkundig nicht Bedacht genommen habe.

 

Einem Betriebsratsmitglied wurde aus Gründen des Mandatsschutzes ein - nicht explizit normiertes - Widerspruchsrecht zugestanden (8 ObA 105/97t).

 

Zur Frage, ob ein den Widerspruchsgründen des § 3 Abs 4 AVRAG gleichzuhaltender Grund auch durch ein iSd BEinstG bestandgeschütztes Dienstverhältnis verwirklicht ist, werden in der Lit folgende Ansichten vertreten:

 

Ernst zeigt auf, dass es aufgrund des Betriebsübergangs für den Arbeitnehmer zu wesentlichen, auch faktische Gegebenheiten umfassenden Änderungen der Arbeitsbedingungen kommen könne, zB eine geringere Bonität des neuen Arbeitgebers oder die Zuweisung einer Tätigkeit, die der begünstigte Behinderte aus Alters- oder Gesundheitsgründen nicht verrichten könne. Sie würden ihn zur Kündigung berechtigen. Der besondere Kündigungsschutz nach dem BEinstG werde von § 3 Abs 4 AVRAG nicht umfasst. Mit Rücksicht darauf, dass § 8 BEinstG Sonderregelungen lediglich für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses infolge Kündigung durch den Arbeitgeber, nicht jedoch für andere Beendigungsarten vorsehe und § 3 Abs 4 AVRAG die Widerspruchsgründe taxativ aufzähle, sei kein Raum für eine extensive Auslegung. Zur Sicherung eines aufrechten Dienstverhältnisses im Betrieb des Veräußerers schlägt Ernst aber - offenbar de lege ferenda - vor, dass eine dem besonderen Bestandschutz behinderter Arbeitnehmer adäquate Regelung durch die Einräumung eines eigenen Widerspruchsrechts gewährleistet werden könnte.

 

Gahleitner/Leitsmüller führen aus, insbesondere bei Ausgliederungen könnten durch den Betriebsübergang der Betriebszweck und die Betriebsgröße entsprechend eingeschränkt werden und damit auch das Verweisungsfeld, also der potenzielle Tätigkeitsbereich des geschützten Arbeitnehmers, verkleinert werden. Die meisten besonderen Kündigungsschutzbestimmungen erlaubten unter bestimmten Voraussetzungen Kündigungen iZm entsprechenden Betriebseinschränkungen, daher könne das Kündigungsrisiko durch einen Betriebsübergang bzw besonders durch einen Betriebsteilübergang erheblich erhöht werden. Dies könnte vom Arbeitnehmer allerdings nur bekämpft werden, wenn nachgewiesen werde, dass die betriebliche Umstrukturierung zur Umgehung des besonderen Kündigungsschutzes erfolgt sei.

 

Binder weist darauf hin, dass beim Erwerber uU dessen Tätigkeitsbereich entfalle, weshalb der Behindertenausschuss zur beantragten Kündigung die Zustimmung nach § 8 Abs 4 lit a BEinstG erteilen müsste. Aber selbst wenn iSd sozialen Gestaltungspflicht eine Weiterbeschäftigung ohne erheblichen Schaden für den Erwerber möglich sei, müsse der Behinderte für die Zukunft doch andere Arbeitsbedingungen hinnehmen.

 

Reissner sieht für begünstigte Behinderte mögliche Verschlechterungen im Bereich der Beschäftigung, etwa weil der neue Inhaber die vom begünstigten Behinderten erbrachten Leistungen nur in einem geringen Ausmaß benötige oder über keine Möglichkeiten zur Behindertenförderung verfüge. Ein anderer zu würdigender Aspekt könnte in der zu erwartenden Schwächung des Kündigungsschutzes zu sehen sein, der ua bei Betriebseinschränkungen gelockert sei. Dass die beteiligten Arbeitgeber Schutzbestimmungen umgehen wollten, sei nicht erforderlich.

 

Folgendes ist zu erwägen:

 

Aufgrund der Übergangsautomatik des § 3 Abs 1 AVRAG tritt der Erwerber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses ein. Der Rechtsübergang als solcher vermag daher am erhöhten Bestandschutz des Arbeitsverhältnisses eines begünstigten Behinderten nichts zu ändern. Da der Erwerber alleine aus dem Grund des Betriebsübergangs nicht berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis zu lösen, ist der Übergang des Arbeitsverhältnisses eines begünstigten Behinderten per se auch nicht geeignet, eine Beeinträchtigung seiner Position zu begründen.

 

Die primäre Befürchtung der genannten Autoren liegt darin, dass sich eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des begünstigten Behinderten daraus ergeben kann, dass ihm der Erwerber - gleich, ob aufgrund einer Tätigkeitsänderung oder Betriebseinschränkung - keinen seiner Behinderung gerechten Arbeitsplatz anzubieten vermag, wodurch der begünstigte Behinderte beim Erwerber einem erhöhten Kündigungsrisiko (§ 8 Abs 4 BEinstG) ausgesetzt wäre. Auch wenn man diesen Umstand in seinem Gewicht den in § 3 Abs 4 AVRAG genannten Gründen gleichstellen will und ihn nicht nur als (bloß zur Kündigung berechtigende) wesentliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen iSd § 3 Abs 5 leg cit erachtet, so bedürfte es dafür doch eines konkreten Anhaltspunkts im jeweiligen Sachverhalt. Ein solcher ist aber im vorliegenden Fall weder dem Vorbringen des Klägers noch den Feststellungen zu entnehmen.