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12.02.2013 Zivilrecht

OGH: Negatorischer Unterlassungsanspruch gegen unbefugtes Eindringen in ein EDV-System – Haftung des Arbeitgebers als mittelbarer Störer für Rechtsverstöße eines Mitarbeiters?

Auch vom mittelbaren Störer kann Unterlassung und nicht bloß Einwirkung auf den unmittelbaren Störer begehrt werden; der bloße Umstand, dass der unmittelbare Störer nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt ist, reicht ohne weitere Maßnahmen (etwa entsprechende generelle Anweisungen) zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr nicht aus, ist doch nicht ausgeschlossen, dass andere Mitarbeiter vergleichbare Rechtsverstöße setzen


Schlagworte: Unterlassung, mittelbarer Störer, Haftung, Arbeitgeber, Verstöße des Mitarbeiters, Beseitigung der Wiederholungsgefahr, generelle Anweisungen
Gesetze:

§ 523 ABGB, § 364 ABGB, § 14 UWG, § 226 ZPO, § 354 ABGB

GZ 6 Ob 126/12s [1], 16.11.2012

 

Die Klägerin begehrt, die Beklagte zu verpflichten, zu unterlassen zu versuchen sich Zugang zu den Datenbanken der Klägerin zu verschaffen, insbesondere durch Ausprobieren von Passwörtern sich Zugang zum E-Mail-System der Klägerin zu verschaffen. Dazu brachte sie im Wesentlichen vor, sie habe in ihrem E-Mail-System als Immobilienverwalterin höchst sensible Daten gespeichert, darunter auch Geschäftsgeheimnisse. Eine nähere Untersuchung habe ergeben, dass die Hacking-Versuche von einer im Einflussbereich der Beklagten stehenden IP-Adresse aus von einem Mitarbeiter der Beklagten unternommen worden seien.

 

OGH: Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Schadenersatzanspruch. Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob die Kriterien der §§ 1313a, 1315 ABGB erfüllt sind. Vielmehr steht der Klägerin ein negatorischer Unterlassungsanspruch gegen unbefugtes Eindringen in ihr EDV-System zu. Insoweit sind daher die von der Rsp zu §§ 523, 364 Abs 2 ABGB entwickelten Grundsätze auch auf die vorliegende Konstellation zu übertragen.

 

In der Rsp ist anerkannt, dass sowohl der Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB als auch jener nach § 523 ABGB sich auch gegen denjenigen richten kann, der die Störung nur mittelbar veranlasst hat; die Störereigenschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Dritten aus eigenem Antrieb und selbstverantwortlich handeln.

 

Demnach kann auch vom mittelbaren Störer - das ist derjenige, der die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit hat, die auf ihn zurückgehende, seiner Interessenwahrung dienende, aber unmittelbar von Dritten vorgenommene Störhandlung zu steuern und gegebenenfalls auch zu verhindern - Unterlassung und nicht bloß Einwirkung auf den unmittelbaren Störer begehrt werden. Aus dieser Erwägung hat der OGH Unterlassungsansprüche iZm Werbeverteilung gegen den Auftraggeber der Werbeaktion bejaht.

 

Dieser Grundsatz entspricht mittlerweile stRsp. So hat der OGH etwa Unterlassungsansprüche in einem Fall bejaht, in dem sich der Sicherungskasten für die klagende Partei in der Wohnung der beklagten Parteien befand. In diesem Fall waren wiederholt Sicherungen herausgedreht bzw gelockert worden, sodass es zu Stromausfällen in der klägerischen Wohnung kam. Obwohl nicht festgestellt werden hatte können, von wem die Sicherungen manipuliert worden waren, bejahte der OGH die passive Klagslegitimation der beklagten Parteien, weil diese auch gegenüber Personen, die sich mit ihrem Wissen und Willen in ihrer Wohnung aufhielten, berechtigt und verpflichtet gewesen wären, das Herausdrehen oder Lockern von Sicherungen zu unterbinden. Ebenso wurde etwa die Passivlegitimation eines Liegenschaftseigentümers für Handlungen seiner Jagdgäste bejaht.

 

Diese Grundsätze finden im Wesentlichen die Billigung der neueren Lehre. Nach P. Bydlinski sind „fast alle“ im Rahmen der bisherigen Diskussion herangezogenen Kriterien zu beachten. Konkret nennt er neben der Intensität der Beeinträchtigung die Abhilfemöglichkeit und die für den Dritten damit verbundenen Nachteile. Dabei sei auf das Denkmodell des beweglichen Systems abzustellen. Zu berücksichtigen sei dabei auch, inwieweit Abhilfemaßnahmen zumutbar seien. Auch die Erfolgswahrscheinlichkeit der dem Dritten möglichen Maßnahmen sei zu berücksichtigen. Je geringer die Wahrscheinlichkeit sei, dass nach Vornahme der entsprechenden Maßnahme die Wiederholung von Besitzstörungshandlungen ausgeschlossen werden kann, und je größer die damit verbundene Belastung des Dritten sei, umso weniger könne von Zumutbarkeit ausgegangen werden.

 

Auch zum verwandten Problem der Haftung des mittelbaren Störers im Besitzrecht wird darauf abgestellt, dass durch den Einsatz von Gehilfen der eigene Aktionsradius erweitert wird. Wesentlicher Gesichtspunkt sei auch die abstrakte Beherrschbarkeit der Gefahr. Für die Beurteilung der Möglichkeit zur Abhilfe komme es auf die Beziehung zwischen Störer und Drittem an. Dabei sei nicht nur die Möglichkeit als solche entscheidend, sondern auch, auf welche Weise der Dritte seinen Einfluss ausüben könne und mit welchen Nachteilen dies gegebenenfalls für den Dritten verbunden sei. Je leichter der „Geschäftsherr“ auf den unmittelbaren Störer Einfluss nehmen könne, umso eher sei seine Haftung gerechtfertigt. Für das Bestehen des Unterlassungsanspruchs sei auch dessen Bedeutung für die Sicherstellung effizienten Schutzes in der Zukunft zu berücksichtigen. Dabei wird auch hervorgehoben, dass die Identität des unmittelbaren Störers dem Beeinträchtigten vielfach unbekannt sein wird.

 

Auch Kietaibl stimmt im Rahmen seiner Kommentierung des § 354 ABGB den von der Rsp entwickelten Grundsätzen zu. Wenngleich die Abhilfemöglichkeit allein noch nicht ausreiche, einen Unterlassungsanspruch zu begründen, seien die Entscheidungen im Ergebnis richtig, wenn und weil das Rechtsverhältnis zwischen unmittelbarem und mittelbarem Störer so ausgestaltet sei, dass die unmittelbare Störung wertungsmäßig als solche (auch) des Vertragspartners anzusehen sei. Grund dafür sei, dass die Störung im Zuge seines Handelns „für“ die Zwecke des Vertragspartners (insbesondere für den Arbeitgeber oder Auftraggeber) erfolge und der Vertragspartner aus dem (die unmittelbare Störung veranlassenden) Vertragsverhältnis Nutzen ziehe, sodass dem Vertragspartner letztlich die „Nutzungs- und Dispositionsbefugnis“ über den unmittelbaren Störer zukomme. Damit zusammenhängend spreche auch der allgemeine Rechtsgedanke der Erweiterung des eigenen Aktionsradius durch den Einsatz Dritter und die daraus folgende Verantwortlichkeit auch für diese Dritte für eine Zurechnung.

 

Ein wesentlicher Gesichtspunkt sei die Effektivität des Schutzes vor Eigentumsbeeinträchtigungen. Handle der unmittelbare Störer im Interesse oder im Verantwortungsbereich eines Dritten, so wäre dem Gestörten mit einem Anspruch bloß gegen den jederzeit austauschbaren unmittelbaren Störer wenig geholfen. Zuletzt spreche aus dem Blickwinkel eines wirksamen negatorischen Schutzes auch die „Anonymität“ des unmittelbaren Störers: Die Identität des mittelbaren Störers (zB Arbeitgeber, Grundeigentümer) sei für den beeinträchtigten Eigentümer oft weitaus leichter feststellbar als diejenige des unmittelbar Handelnden.

 

Diese Überlegungen lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Es geht gleichfalls um einen absoluten Unterlassungsanspruch. Wenngleich § 364 Abs 2 ABGB nicht unmittelbar einschlägig ist, hat doch die Beklagte den Computer mit der entsprechenden IP-Adresse zur Verfügung gestellt. Damit hat die Beklagte aber schon aufgrund dieses Umstands Einfluss auf Art und Weise der Benutzung dieses Anschlusses. Dazu kommen zumindest mittelbare gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten, die der Beklagten als Holdinggesellschaft zukommen. Im Übrigen hat die Beklagte nach ihrem eigenen Vorbringen offenbar sogar direkte Durchgriffsrechte, konnte doch der Geschäftsführer der Beklagten den betreffenden Redakteur direkt suspendieren.

 

Damit ist aber entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts von einer Haftung der Beklagten für die Rechtsverstöße des Redakteurs auszugehen.

 

Ziel des Unterlassungsanspruchs ist die Verhinderung künftiger gleichartiger Verletzungen. Er steht immer zu bei der Gefahr eines künftigen Schadenseintritts, uzw sowohl bei bereits erfolgter Rechtsverletzung als auch vorbeugend, wenn Begehungsgefahr, also die Gefahr eines erstmaligen Schadenseintritts, besteht. Nach stRsp indiziert die Rechtsverletzung die Wiederholungsgefahr. Sofern bereits eine Rechtsverletzung stattgefunden hat, ist nach stRsp idR Wiederholungsgefahr anzunehmen, sofern nicht das nachträgliche Verhalten des Eingreifers oder andere Umstände dies zumindest äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die Rsp formuliert hier vielfach, dass die Wiederholungsgefahr vermutet werde. Daher muss nicht der Kläger die Wiederholungsgefahr gesondert behaupten oder beweisen, sondern der Beklagte die diesbezügliche Vermutung widerlegen.

 

Der bloße Umstand, dass der Redakteur nicht mehr bei der Konzerngesellschaft der Beklagten beschäftigt ist, führt noch nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr, ist doch nicht ausgeschlossen, dass andere Mitarbeiter aus ähnlichen Überlegungen vergleichbare Rechtsverstöße setzen. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, aus Anlass des betreffenden Falls entsprechende generelle Anweisungen erlassen zu haben. Weder hat die beklagte Partei ihre übrigen Mitarbeiter aufgefordert, vergleichbare Rechtsverstöße zu unterlassen, noch hat sie entsprechende Aufklärungsmaßnahmen gesetzt. Selbst die Freistellung des Redakteurs ist erst unter dem Druck des Prozesses erfolgt. Derartige Maßnahmen führen aber nie zum Wegfall der Wiederholungsgefahr.