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08.04.2013 Zivilrecht

OGH: Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB – zur Beaufsichtigungspflicht / Verwahrungspflicht eines Hundehalters (hier: Sturz einer Mountainbikerin aufgrund Umherlaufens eines nicht angeleinten Hundes auf der Straße)

Grundsätzlich bedeutet das freie Umherlaufenlassen eines Hundes auf der Straße, ohne dass der Hund von einem Tierhalter oder von einer von diesem beauftragten Person unter Kontrolle gehalten wird, eine Vernachlässigung der Verwahrungspflicht, wobei es gleichgültig ist, ob der Hund geradezu bösartig ist oder nicht


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Tierhalterhaftung, Beaufsichtigungspflicht, Verwahrungspflicht, Hundehalter, Umherlaufen eines nicht angeleinten Hundes auf Straße, Mountainbike, Sturz, Mitverschulden
Gesetze:

§ 1320 ABGB, § 1304 ABGB

GZ 2 Ob 196/12f [1], 21.02.2013

 

OGH: Es trifft nicht zu, dass ein Hund in ländlicher Umgebung stets frei herumlaufen darf. Welche Maßnahmen bei der Verwahrung oder Beaufsichtigung eines Tieres notwendig sind, richtet sich nach den dem Tierhalter bekannten oder erkennbaren Eigenschaften des Tieres und den jeweiligen Umständen. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein. Maßgeblich ist die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung und eine Abwägung der betroffenen Interessen.

 

Da es zu den Eigenschaften eines Hundes, und zwar auch eines an sich gutmütigen Tieres gehört, sich auf der Straße unachtsam zu verhalten, weil er eben die damit verbundenen Gefahren nicht erkennt, stellt ein auf einer Straße frei herumlaufender Hund ein erhebliches Gefahrenmoment dar, und zwar im besonderen Maße für die Benützer einspuriger Fahrzeuge. Grundsätzlich bedeutet das freie Umherlaufenlassen eines Hundes auf der Straße, ohne dass der Hund von einem Tierhalter oder von einer von diesem beauftragten Person unter Kontrolle gehalten wird, eine Vernachlässigung der Verwahrungspflicht, wobei es gleichgültig ist, ob der Hund geradezu bösartig ist oder nicht.

 

Der Beklagte hat dadurch, dass er seinen Hund nicht (durch Anleinen oder Zurückrufen) daran gehindert hat, von der rechten Fahrbahnseite zur Fahrbahnmitte zu gehen, die objektiv für einen Tierhalter gebotene Sorgfalt verletzt. Diese Verletzung der Verwahrungs- bzw Beaufsichtigungspflicht ist keineswegs zu vernachlässigen, weil das Freilaufen eines Hundes auf der Straße eine erhebliche Unfallgefahr für den Fahrzeugverkehr darstellt.

 

Die Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten ist jedoch der Sorglosigkeit der Klägerin in eigenen Angelegenheiten gegenüber zu stellen. Festgestellt wurde, dass die Klägerin den Beklagten mit seinem Hund bereits aus einer Entfernung von zumindest 30 m wahrnahm, dass sich der Hund langsam vom rechten Fahrbahnrand in Richtung Fahrbahnmitte bewegte, dass die vor der Klägerin fahrende Tochter stark bremste und die Klägerin, um nicht auf das Fahrrad ihrer Tochter aufzufahren, eine Vollbremsung durchführte, wobei sie offensichtlich durch das Blockieren des Vorderrades nach vor auf die Fahrbahn stürzte. Zutreffend hat das Berufungsgericht dieses Verhalten (zu hohe Geschwindigkeit und / oder zu geringer Tiefenabstand bzw zu geringe Aufmerksamkeit und jedenfalls unsachgemäße Bremsung) als grob sorgfaltswidrig beurteilt. Zutreffend ist auch, dass diese Sorgfaltswidrigkeit jene des Beklagten überwiegt.

 

Der Senat hält daher eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zugunsten des Beklagten für angemessen.