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15.04.2013 Zivilrecht

OGH: Einbruchdiebstahlversicherung; Belassen eines Fensters in Kippstellung bei Verlassen der Räumlichkeiten als Verletzung einer Sicherheitsvorschrift? – zur Auslegung des Art 4 Z 2 BEFLS

Sowohl nach dem Wortlaut, als auch unter Bedacht auf den Sinn und Zweck der betreffenden Versicherungsbedingung kann kein Zweifel daran bestehen, dass unter dem „Versperren der Versicherungsräumlichkeiten“ nicht nur das Versperren der Türen, sondern auch das Verschließen der Fenster gemeint ist; das Belassen eines Fensters in Kippstellung bei Verlassen der Räumlichkeiten stellt einen groben Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten dar, wenn das Fenster leicht erreichbar und zum Einsteigen in die Räumlichkeiten geeignet ist


Schlagworte: Versicherungsrecht, Einbruchdiebstahlversicherung, Sachversicherung, Verletzung der Obliegenheit, grobes Verschulden, gekipptes Fenster, Versperren der Versicherungsräumlichkeiten
Gesetze:

Art 4 BEFLS, ABS, § 6 VersVG, § 61 VersVG

GZ 7 Ob 239/12s [1], 18.02.2013

 

Der Kläger schloss mit der Beklagten einen Versicherungsvertrag, dem die „K*****-Bedingungen für die Einbruchdiebstahl-, Feuer-, Leitungswasser- und Sturmversicherung (BEFLS)“, Fassung 1/2003 mit der Kennzeichnung F741, und die „Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS)“ Fassung 1/2008 mit der Kennzeichnung A97 zu Grunde lagen. Deren für das vorliegende Verfahren maßgebliche Bestimmungen lauten wie folgt:

 

„Artikel 4 BEFLS: Welche Sicherheitsmaßnahmen sind zu treffen bzw wann tritt eine Gefahrenerhöhung ein?

 

1. Allgemeines

...

Bei Verletzung dieser und nachstehender Sicherheitsvorschriften kommen die in Art 2 und 3 ABS angeführten Rechtsfolgen zur Anwendung.

 

2. Einbruchdiebstahlversicherung

 

Werden die Versicherungsräumlichkeiten von allen Personen verlassen, sind sie zu versperren und die im Antrag angegebenen oder sonst vereinbarten Sicherungen vollständig zur Anwendung zu bringen ... .“

 

„Artikel 3 ABS – Sicherheitsvorschriften

...

2. Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Versicherungsfalles trotz Ablaufes der Frist die Kündigung nicht erfolgt war.

 

3. Im Übrigen gilt § 6 VersVG. Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Gefahrenerhöhung verbunden, finden auch die Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung Anwendung.“

 

OGH: Nach stRsp sind Allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertrags-auslegungsgrundsätzen (§§ 914 ff ABGB) auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren. Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen sind, wenn sie - wie hier - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen. In allen Fällen ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen. Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen daher so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten iSd § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der AGB, also des Versicherers gehen.

 

Davon ausgehend ist die Auslegung des Art 4 BEFLS durch die Vorinstanzen zu billigen. Der Revisionswerber vermag seine gegenteilige Ansicht nicht stichhältig zu begründen. Da er lediglich an seinen diesbezüglich bereits in erster und zweiter Instanz gebrauchten, schon von den Vorinstanzen verworfenen Argumenten festhält, genügt es, auf deren zutreffende Ausführungen zu verweisen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Sowohl nach dem Wortlaut, als auch unter Bedacht auf den Sinn und Zweck der betreffenden Versicherungsbedingung kann kein Zweifel daran bestehen, dass unter dem „Versperren der Versicherungsräumlichkeiten“ nicht nur das Versperren der Türen, sondern auch das Verschließen der Fenster gemeint ist.

 

Frei von Rechtsirrtum ist auch die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass den Kläger an der Verletzung der ihn treffenden Obliegenheit grobes Verschulden trifft, wofür entgegen seiner Ansicht die getroffenen Feststellungen auch ausreichen.

 

Der Versicherer muss die objektive Verletzung der Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer, der Versicherungsnehmer mangelndes Verschulden (oder einen geringeren Schuldgrad als grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz) sowie mangelnde Kausalität beweisen. Grobe Fahrlässigkeit ist im Bereich des Versicherungsvertragsrechts dann gegeben, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen.

 

Das Belassen eines Fensters in Kippstellung bei Verlassen der Räumlichkeiten stellt einen groben Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten dar, wenn das Fenster leicht erreichbar und zum Einsteigen in die Räumlichkeiten geeignet ist. Durch ein in Kippstellung befindliches Fenster wird in diesen Fällen die Gefahr eines Einbruchdiebstahls erheblich gesteigert, weil ein Fenster in dieser Stellung, sofern es nicht mit besonderen Sicherheitsvorkehrungen versehen ist, einem Einbrecher weit weniger Widerstand bietet als ein geschlossenes Fenster. Diese Voraussetzungen lagen nach den Feststellungen vor. Der Einbruchdiebstahl wurde durch Belassen des Fensters in Kippstellung grob fahrlässig herbeigeführt. Auf ein einmaliges, nicht zu erklärendes Versehen berief sich der Kläger gar nicht.