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22.04.2013 Zivilrecht

OGH: Unfall eines Rennradfahrers aufgrund eines auf einem Mehrzweckstreifen iSd § 2 Abs 1 lit 7a StVO stehendem LKW

Angesichts des dem Gebot des Fahrens auf Sicht und der allgemeinen Aufmerksamkeits- und Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr krass widersprechenden Fahrverhaltens (Einnahme einer „aerodynamische Stellung“, in der „der Blick immer auf den Radweg einige Meter nach vor gerichtet“ war) wäre auch das bei Bejahung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs anzunehmende geringfüge Fehlverhalten des Erstbeklagten vernachlässigbar


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Mitverschulden, Verkehrsrecht, Mehrzweckstreifen, Unfall eines Rennradfahrers, Halte- und Parkverbot, Fahren auf Sicht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB, § 2 StVO, § 24 StVO, § 20 StVO

GZ 2 Ob 189/12a [1], 21.02.2013

Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem sie als Lenkerin eines Rennrades mit etwa 30 km/h ohne nach vorne zu schauen unter die Bordfläche eines LKW auffuhr, der so abgestellt war, dass er den von der Klägerin benutzten Mehrzweckstreifen um ca 1 m auf ca 30 bis 40 cm einengte. Die Klägerin hatte auf den LKW uneingeschränkte Sicht aus einer Entfernung von mindestens 85 m, für deren Überwindung sie rund 10 Sekunden benötigte. Ausgehend von einem Anhalteweg des Rennrades von 20 m hätte die Klägerin den Unfall verhindern können, wenn sie 2,5 Sekunden vor dem Aufprall reagiert hätte. Die rechnerische Reaktionsverspätung liegt dann bei 2,5 Sekunden. Geht man dagegen davon aus, dass sie noch reagiert hat, die Reaktion aber nicht mehr wirksam wurde, ergibt sich eine rechnerische Reaktionsverspätung von bei 1,5 Sekunden.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage, ob der spezifische Schutzzweck des § 24 Abs 1 lit k StVO strenger als bei anderen, „normalen“ Halteverboten zu sehen sei, keine Rsp des OGH vorliege.

OGH: Diese Rechtsfrage und die in der Revision geltend gemachten Rechtsfragen sind nicht entscheidungsrelevant:

Es hätte nämlich auch dann bei der Entscheidung der Vorinstanzen zu bleiben, wenn man - wie das Berufungsgericht - das Halte- und Parkverbot des § 24 Abs 1 lit k StVO im Hinblick darauf, dass Mehrzweckstreifen gem § 2 Abs 1 lit 7a StVO ebenfalls Radfahrstreifen (die unter besonderer Rücksichtnahme auf die Radfahrer auch von anderen Fahrzeugen befahren werden dürfen) sind, auch auf jene anwendet und einen von hinten auffahrenden Radfahrer als vom Schutzzweck der Norm umfasst ansieht.

Die Vorinstanzen haben der Klägerin nämlich zu Recht nicht nur die rechnerische Reaktionsverspätung sondern auch die Tatsache vorgeworfen, dass sie „ohne nach vorne zu schauen“ unter die Bodenfläche des stehenden LKW fuhr, obwohl sie ihn aus einer Entfernung von mindestens 85 m, die sie bei ihrer Geschwindigkeit in rund 10 Sekunden durchfuhr, wahrnehmen konnte. Die Klägerin hat dazu selbst vorgebracht, dass sie eine „aerodynamische Stellung“ eingenommen habe, in der „ihr Blick immer auf den Radweg einige Meter vor ihr gerichtet“ gewesen sei.

Angesichts dieses dem Gebot des Fahrens auf Sicht und der allgemeinen Aufmerksamkeits- und Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr krass widersprechenden Fahrverhaltens wäre aber auch das bei Bejahung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs anzunehmende geringfüge Fehlverhalten des Erstbeklagten vernachlässigbar.