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22.04.2013 Wirtschaftsrecht

OGH: Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der gewerberechtliche Geschäftsführer einer GmbH zur Haftung für von der Gesellschaft nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge herangezogen werden kann

Der gewerberechtliche Geschäftsführer ist für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften, nicht aber für die Einhaltung grundsätzlich aller iZm der Ausübung eines Gewerbes relevanten Rechtsvorschriften verantwortlich; Regelungen, die zwar zur Gewerbeausübung in Beziehung stehen, jedoch nicht auf dem Kompetenztatbestand „Angelegenheit des Gewerbes und der Industrie“ gem Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG fußen, scheiden für die Verantwortlichkeit des gewerberechtlichen Geschäftsführers aus, darunter ua arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Vorschriften


Schlagworte: Gewerberecht, Sozialversicherungsrecht, Bau GmbH, Angelegenheit des Gewerbes und der Industrie, Gewerbeausübung, gewerberechtliche Geschäftsführer, gewerberechtliche Vorschriften, Gewerbeinhaber, sozialversicherungsrechtliche Vorschriften, Sozialversicherungsbeiträge, Dienstnehmerbeiträge, Abführung der Krankenkassenbeiträge, Schutzgesetz, Beitragstäter
Gesetze:

§ 13 GewO, § 16 GewO, § 19 GewO, § 39 GewO, § 87 GewO, § 12 StGB, § 153c StGB, 153d StGB, § 1299 ABGB, § 69 IO

GZ 4 Ob 173/12p [1], 19.03.2013

OGH: Die Vorschriften der GewO können grundsätzlich als Schutzgesetze iSv § 1311 ABGB erachtet werden. Der Verstoß gegen ein Schutzgesetz begründet aber eine Haftung nur für jene Schäden, welche die Schutznorm verhindern sollte. Im Einzelfall ist daher zu prüfen, ob das Gesetz überhaupt den Schutz Einzelner bezweckt, ob es gerade den entstandenen Schaden verhindern wollte und jene Interessen verletzt wurden, deren Schutz im Zweckbereich der Norm liegt.

Der Zweckbereich der von der Klägerin herangezogenen Bestimmungen der GewO liegt in der fachlich einwandfreien Gewerbeausübung. Nur diese liegt im Verantwortungsbereich des gewerberechtlichen Geschäftsführers. Gem § 39 Abs 1 GewO ist der vom Gewerbeinhaber bestellte gewerberechtliche Geschäftsführer dem Gewerbeinhaber gegenüber für die fachlich einwandfreie Ausübung des Gewerbes und der Behörde gegenüber für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften verantwortlich. Seine Aufgabe ist es demnach (nur), auf die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften zu achten. Sein Verantwortungsbereich ist dabei auf die gewerberechtlichen Vorschriften begrenzt, die die Ausübung des Gewerbes betreffen. Eine Haftung gegenüber Dritten kommt nur dann in Betracht, wenn eine drittschützende gewerberechtliche Vorschrift verletzt wird.

Eine Haftung des gewerberechtlichen Geschäftsführers aus Schutzgesetzverletzung gem § 1311 ABGB iZm der GewO scheidet im vorliegenden Fall aus.

Trifft die Pflicht zur Einzahlung der Dienstnehmerbeiträge eine juristische Person, zB eine GmbH, oder eine Personengemeinschaft ohne Rechtspersönlichkeit, kommen als Täter jene natürlichen Personen in Betracht, die dem zur Vertretung befugten Organ angehören, also zB die Geschäftsführer einer GmbH. Dies schreibt § 153c Abs 2 erster Satz StGB ausdrücklich vor. Leitende Angestellte sind nicht von § 153c Abs 2 StGB erfasst, sie können aber als Beteiligte strafbar werden. § 153d Abs 3 StGB erfasst allerdings neben natürlichen Personen, die Dienstgeber sind, auch leitende Angestellte. Das sind Angestellte eines Unternehmens, auf dessen Geschäftsführung ihnen ein maßgeblicher Einfluss zusteht. Ein maßgeblicher Einfluss des Beklagten auf die Geschäftsführung der Bau GmbH ist aber zu verneinen.

Eine Haftung des gewerberechtlichen Geschäftsführers für vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge wäre dann begründbar, wenn er einen vorsätzlichen Tatbeitrag zu tatbildlichen Handlungen iSv §§ 153c und 153d StGB des unternehmensrechtlichen Geschäftsführers geleistet hätte. Dieser Tatbeitrag kann auch darin liegen, dass der Beklagte der Bau GmbH seine Gewerbeberechtigung mit dem (zumindest bedingten) Vorsatz zur Verfügung stellte, an einem (betrügerischen) Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen bzw Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung durch den handelsrechtlichen Geschäftsführer mitzuwirken. An der Kausalität bestünde - entgegen der Auffassung des Erstgerichts - kein Zweifel, weil anzunehmen wäre, dass ohne seinen Tatbeitrag ein anderes Unternehmen mit der Durchführung der Arbeiten betraut worden wäre und dieses die Sozialversicherungsbeiträge an die Klägerin abgeführt hätte Es fehlen zu Recht Feststellungen des Erstgerichts zu den behaupteten Handlungen bzw Unterlassungen des Beklagen als Beitragstäter iSd §§ 153c und 153d StGB.