OGH > Zivilrecht
29.04.2013 Zivilrecht

OGH: Unfall in Kletterhalle – zur Haftung des Führers

Voraussetzung für das Vorliegen eines „Führers aus Gefälligkeit“ ist eine ausdrückliche oder schlüssige Übertragung von Verantwortung; entscheidend für die Beurteilung, ob eine solche Übertragung stattfand, sind mehrere Kriterien, die iSe beweglichen Systems zu bewerten sind; jedenfalls dann, wenn es um die Gefährdung der körperlichen Gesundheit geht, besteht für die Annahme einer Einschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit kein Raum


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Kletterunfall, Führer aus Gefälligkeit, psychische Kausalität, Partnercheck, keine Einschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 6 Ob 91/12v [1], 13.09.2012

 

OGH: Der OGH hat sich bereits in mehreren Entscheidungen mit der Haftung des Führers aus Gefälligkeit bei Bergtouren auseinandergesetzt. Demnach kann bei Bedachtnahme auf die beim Bergsteigen notwendige Eigenverantwortlichkeit bei einem Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Bergtour nie der Geübtere oder Erfahrenere allein deshalb verantwortlich gemacht werden, weil er die Führung übernommen oder das Unternehmen geplant hat. Anders liegen die Dinge, wenn jemand die Führung aus Gefälligkeit übernimmt, aber seinem unerfahrenen Begleiter die erst später auftretenden, für diesen vorher nicht erkennbaren Gefahren und Schwierigkeiten verschweigt oder wenn jemand einen Bergunerfahrenen zu einer für diesen schwierigen Bergtour bzw zu einem schwierigen Abstieg dadurch, dass er deren Gefährlichkeit verniedlicht oder gar bestreitet, überredet.

 

In der Literatur wird für das Vorliegen eines „Führers aus Gefälligkeit“ eine ausdrückliche oder schlüssige Übertragung von Verantwortung verlangt. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine solche Übertragung stattfand, sind mehrere Kriterien, die iSe beweglichen Systems zu bewerten sind.

 

Zutreffend haben bereits die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass der Beklagten bekannt war, dass der Kläger die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen nicht beherrschte, zumal er ohne ihre Zusage die Kletterwand gar nicht benutzen hätte dürfen. Weiters haben die Vorinstanzen zutreffend auf die klare Überlegenheit der Beklagten hinsichtlich Können und Erfahrung hingewiesen. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Beklagte daher Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger treffe, ist nicht zu beanstanden.

 

Auszugehen ist davon, dass jedermann gegenüber absoluten Gütern andere entsprechende Sorgfaltspflichten treffen. Dabei ist freilich auch der Aspekt der Eigenverantwortung zu berücksichtigen. In der Lehre wird dieser Aspekt unter dem Stichwort „psychische Kausalität“ diskutiert. Demnach ist, wenn jemand bloß die Bedingung dafür setzt, dass ein anderer sich zur Gefährdung oder Schädigung eigener Güter entschließt, eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei muss va berücksichtigt werden, dass jeder selbst zu entscheiden hat, welche Gefahren er auf sich nehmen will und wie er sich Dritten gegenüber verhalten will. Dabei sind aber auch die besondere Gefährlichkeit der Situation, das fehlende Einsichtsvermögen des Geschädigten, die Missbilligung des auslösenden Verhaltens des Schädigers, die Billigung des Verhaltens des Geschädigten durch die Rechtsordnung und das gezielte Einwirken des Schädigers zu berücksichtigen. Darauf lag das Schwergewicht der Entscheidungen zur Haftung des Führers aus Gefälligkeit bei Bergtouren. In diesen Fällen erfolgt die Teilnahme grundsätzlich auf eigenes Risiko jedes Teilnehmers; es bedarf daher ganz besonderer Gründe, warum die Veranlassung zur Teilnahme durch einen anderen als rechtswidrig qualifiziert werden kann.

 

Besondere Sorgfaltspflichten können sich aber nicht nur aus der Übernahme einer „Führerrolle“, sondern ganz allgemein aus der Übernahme von Pflichten ergeben.

 

In einer Bergsteigergruppe entstehen Schutz- und Sorgfaltspflichten der Gruppenmitglieder füreinander nicht erst durch die Bejahung der Führerqualität bei einem oder mehreren Gruppenmitgliedern. Sie bestehen vielmehr auch unabhängig vom Vorhandensein eines Führers. Die Mitglieder einer Bergsteigergruppe sind demnach bei der Bergtour im Rahmen objektiver Zumutbarkeit zu gegenseitiger Hilfeleistung und Unterstützung bei der Bewältigung alpiner Gefahren verpflichtet, wobei die Intensität der daraus konkret erfließenden Handlungspflicht von der mit der jeweiligen Situation verbundenen Schwierigkeit und Gefahr abhängt. Derartige Pflichten können somit auch zwischen „gleichrangigen“ Gruppenmitgliedern bestehen.

 

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist seit ca zehn Jahren ein Partnercheck beim Klettern üblich. Dabei handelt es sich bereits um eine Verkehrsnorm.

 

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte durch ihre Erklärung, den Kläger „mitzunehmen“, wodurch diesem erst die Benützung der Kletterhalle eröffnet wurde, freiwillig Sorgfaltspflichten übernommen. Dabei ist schadenersatzrechtlich lediglich die freiwillige Pflichtenübernahme entscheidend; die rechtliche Qualifikation des Verhältnisses zwischen den Parteien als bloße Gefälligkeit oder Vertrag ist demgegenüber nur von akademischer Bedeutung, weil die Qualifikation dieses Verpflichtungsverhältnisses für die Bejahung von dessen Existenz und va auch für den anzulegenden Sorgfaltsmaßstab ohne Bedeutung ist.

 

Die Beklagte war ohne entsprechende Vereinbarung natürlich nicht verpflichtet, den Kläger in die Kletterhalle mitzunehmen und dort zu betreuen; wenn sie dies aber tat, übernahm sie damit auch entsprechende Sorgfaltspflichten. Diese umfassten nicht nur eine entsprechende Einweisung, sondern auch eine Kontrolle der ordnungsgemäßen Sicherung, ist diese doch Grundvoraussetzung für ein weitgehend gefahrloses Klettern. Dabei ist auch wesentlich, dass der Beklagten bekannt war, dass der Kläger keine einschlägigen Vorkenntnisse hatte.

 

Für eine von der Beklagten geforderte Einschränkung ihrer Haftung auf grobe Fahrlässigkeit besteht kein Anhaltspunkt. Der Beklagten ist zuzugeben, dass bei unentgeltlichen Leistungen, insbesondere bei unentgeltlicher Erteilung von Rat oder Auskunft, vielfach eine Einschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit angenommen wird. Diese Haftungsbeschränkung gilt jedoch - wenn überhaupt - nur im Zweifel. Jedenfalls dann, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um die Gefährdung der körperlichen Gesundheit geht, besteht für die Annahme einer derartigen Haftungsbeschränkung kein Raum. Die besondere Gefahrengeneigtheit des Kletterns sowie Gewicht und Bedeutung der dabei gefährdeten Rechtsgüter sprechen gegen die Annahme, der Kläger habe einer derartigen Haftungsbeschränkung zugestimmt. Demgemäß bejahen die Entscheidungen zum Bergführer aus Gefälligkeit eine Haftung auch bereits bei leichter Fahrlässigkeit. Im Übrigen hat die Beklagte auch keine tatsächlichen Umstände vorgebracht, aus denen mit der erforderlichen Eindeutigkeit (§ 863 ABGB) auf eine stillschweigende Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung geschlossen werden könnte.

 

Auch aus § 1300 ABGB ist für den Rechtsstandpunkt der Beklagten nichts abzuleiten. Nach dieser Bestimmung besteht außer im Fall von Vorsatz keine Haftung. Diese Bestimmung gilt aber nur für bloße Vermögensschäden, nicht hingegen, wenn es um die Schädigung absolut geschützter Güter geht. Nach Koziol ist dabei allerdings zu berücksichtigen, dass es sich um einen Fall psychischer Kausalität handle, wenn infolge einer falschen Erklärung der Empfänger des Rates eigene absolute Güter schädigt. Daher sei davon auszugehen, dass jeder selbst zu entscheiden habe, wie er sich seinen Gütern gegenüber verhalte, und der Verursacher daher nur bei besonderer Gefährlichkeit seines Verhaltens und deren Erkennbarkeit rechtswidrig handle. Die falsche Auskunft müsse in weiterem Umfang Ersatzpflichten auslösen: Da sie typischerweise gefährlicher sei und es um den Schutz absoluter Güter gehe, sei davon auszugehen, dass auch fahrlässig erteilte falsche Auskünfte haftbar machen.

 

In Anbetracht der fehlenden Erfahrung des Klägers und seiner Freundin S reichte es nicht aus, wenn die Beklagte die beiden zu einem Partnercheck anhielt; vielmehr war die Beklagte auch verpflichtet, unabhängig davon ihrerseits zu überprüfen, ob der Kläger entsprechend gesichert war. Aufgrund der Unerfahrenheit des Klägers hätte die Beklagte in Erwägung ziehen müssen, dass ihm Fehler unterlaufen können. Dies galt in gleicher Weise für die Kontrolle durch die - ebenso unerfahrene - S. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass der Faktor Zeit beim Sportklettern im Gegensatz zu Touren im alpinen Gelände keine Rolle spielt.