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13.05.2013 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, ob der Bezug von Wochengeld durch eine Rechtsanwältin aus einer gem § 50 Abs 4 RAO von einer Rechtsanwaltskammer abgeschlossenen vertraglichen Gruppen-Krankenversicherung zum Bezug eines einkommensabhängigen Kindesbetreuungsgeldes iSd § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 KBGG berechtigt

Für den Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld ist gem § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 erster Satz KBGG primär Voraussetzung, dass der antragstellende Elternteil in den letzten sechs Kalendermonaten vor der Geburt durchgehend erwerbstätig iSe tatsächlichen Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gewesen ist, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht schädlich auf einen allfälligen Anspruch auswirken (diese Anspruchsvoraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil das Kind am 18. 6. 2011 geboren wurde, die Klägerin aber ihre Erwerbstätigkeit durch ihren Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft bereits mit 15. 5. 2011 beendet hatte)


Schlagworte: Einkommensabhängiges Kindesbetreuungsgeld, Rechtsanwältin, Gruppen-Krankenversicherung, Bezug von Wochengeld, Verzicht auf Ausübung der Rechtsanwaltschaft vor der Geburt, durchgehend erwerbstätig
Gesetze:

§ 24 KBGG, § 50 RAO, § 5 GSVG

GZ 10 ObS 42/13v [1], 16.04.2013

 

Die Klägerin war vom 25. 7. 2006 bis zu ihrem Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft mit 15. 5. 2011 in die Liste der Rechtsanwälte der Rechtsanwaltskammer Wien eingetragen. Sie hatte von der Möglichkeit des „opting out“ aus der gesetzlichen Pflichtversicherung in der Krankenversicherung iSd § 5 Abs 1 GSVG iVm § 50 Abs 4 RAO durch Beitritt zur Gruppen-Krankenversicherung der UNIQA Personenversicherung AG für Rechtsanwälte Gebrauch gemacht.

 

Die Revisionswerberin vertritt die Ansicht, es stehe ihr ein einkommensabhängiges Kindesbetreuungsgeld iHv 66 EUR pro Tag zu, weil der Zeitraum, in dem sie Wochengeld gem dem Kranken-Gruppenversicherungsvertrag der UNIQA Personen-Versicherung AG bezogen habe, „Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbots nach dem MSchG oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften“ gem § 24 Abs 2 KBGG gleichzusetzen sei und daher auch als „der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt“ gelten müsse.

 

OGH: Nach den Gesetzesmaterialien steht das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld nur vor der Geburt tatsächlich erwerbstätigen Eltern offen. Die Erwerbstätigkeit muss durchgehend in den letzten sechs Monaten vor Geburt tatsächlich ausgeübt werden, wobei sehr geringfügige Unterbrechungen (das sind solche von bis zu 14 Tagen) zulässig sind. Keine Unterbrechung der tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit stellen Zeiten des Erholungsurlaubs oder der Krankheit dar (unter der Voraussetzung, dass die Sozialversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt, wie es etwa bei arbeitsrechtlicher Entgeltfortzahlung der Fall ist).

 

Zeiten des Beschäftigungsverbots nach MSchG (Mutterschutz) werden Zeiten der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Ebenso fallen darunter Beschäftigungsverbote nach anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften (zB LAG), dazu gehören aber auch Zeiten der dem Beschäftigungsverbot vergleichbaren Situation etwa einer Landwirtin, Selbständigen oder Gewerbetreibenden mit nach GSVG oder BSVG für diese Zeiten gewährter Betriebshilfe bzw gewährtem Wochengeld. Weiters gelten Zeiträume, in denen die Erwerbstätigkeit unterbrochen wurde, um sich der Kindererziehung zu widmen, als der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt, sofern es sich um Zeiten der gesetzlichen Karenz nach dem MSchG oder VKG handelt (aufrechtes, ruhendes Dienstverhältnis). Darunter fällt auch eine der einer Karenz nach MSchG und VKG nachgebildeten Karenz nach anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften (zB LAG), dazu gehören aber auch Zeiten der einer solchen Karenz vergleichbaren Situation, etwa die einer Selbständigen oder Gewerbetreibenden, die ihr Gewerbe anlässlich der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung ruhend meldet (nicht jedoch abmeldet). Wurde die Erwerbstätigkeit beendet (zB das Dienstverhältnis aufgelöst oder das Gewerbe abgemeldet), so kann ab dem Zeitpunkt keinesfalls mehr von einer tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit ausgegangen werden.

 

Die Revisionswerberin begehrt die Gleichstellung zu Selbständigen, denen Wochengeld nach dem GSVG gewährt wurde, weil die Zeit vom 23. 4. 2011 bis 12. 8. 2011, in der sie Wochengeld bezogen habe, gem § 24 Abs 2 KBGG Zeiten der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichzustellen sei.

 

Es trifft zwar zu, dass der OGH in seiner Entscheidung 10 ObS 72/11b im Hinblick auf den Regelungszweck des § 6 Abs 1 KBGG (Vermeidung einer Mehrfachversorgung aus den Maßnahmen der sozialen Sicherheit) ausgeführt hat, dass auch das von einer Rechtsanwältin aufgrund ihres Beitritts zu einer durch die Rechtsanwaltskammer abgeschlossenen Gruppen-Krankenversicherung bezogene (vertragliche) Wochengeld in Bezug auf die Frage eines allfälligen Ruhens des Kinderbetreuungsgeldes gem § 6 Abs 1 KBGG einem Wochengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung gleichzuhalten ist. Für den Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld ist aber nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts gem § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 erster Satz KBGG primär Voraussetzung, dass der antragstellende Elternteil in den letzten sechs Kalendermonaten vor der Geburt durchgehend erwerbstätig iSe tatsächlichen Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gewesen ist, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht schädlich auf einen allfälligen Anspruch auswirken. Dass die Klägerin diese Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt, weil ihr Kind am 18. 6. 2011 geboren wurde, sie aber ihre Erwerbstätigkeit durch ihren Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft bereits mit 15. 5. 2011 beendet hatte, ist nicht strittig.

 

Wie der OGH bereits in der Entscheidung 10 ObS 170/11i ausgeführt hat, sind nach dem eindeutigen Wortlaut des § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG Zeiten eines Beschäftigungsverbots nach dem MSchG (oder nach gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften) der Ausübung der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nicht schlechthin gleichgestellt, sondern nur „Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit“ während eines Beschäftigungsverbots nach dem MSchG (oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften). Nichts anderes kann für Zeiten der dem Beschäftigungsverbot nach dem MSchG vergleichbaren Situation etwa einer Gewerbetreibenden mit nach GSVG für diese Zeiten gewährter Betriebshilfe bzw gewährtem Wochengeld gelten. Für die Inanspruchnahme des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes muss daher jedenfalls eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit (wie zB ein Dienstverhältnis oder ein aufrechtes Gewerbe) bestehen, welche im Zeitraum des Bezugs des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes vorüber-gehend unterbrochen wird, da nur eine bestehende Erwerbstätigkeit „vorübergehend unterbrochen werden kann“. Von einer durchgehenden Erwerbstätigkeit kann daher auch dann nicht mehr die Rede sein, wenn zwar ein individuelles Beschäftigungsverbot der Schwangeren noch zur Zeit eines aufrechten Dienstverhältnisses beginnt, dieses aber bereits vor der Geburt endet, weil dann keine bloß vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gegeben ist.

 

Zutreffend ist daher das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass keinesfalls mehr von einer tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit - aber auch nicht von einer bloß vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit - ausgegangen werden kann, wenn die Klägerin - wie im vorliegenden Fall durch ihren Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft mit 15. 5. 2011 und die damit verbundene Streichung aus der Liste der Rechtsanwaltskammer Wien - ihre Erwerbstätigkeit bereits zuvor beendet hatte. Ab diesem Zeitpunkt kann nicht mehr von einer weiteren „tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit“ gesprochen werden. Diese Auslegung nach dem Wortlaut der Bestimmung wird auch durch die bereits zitierten Gesetzesmaterialien gestützt, wonach keinesfalls mehr von einer tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit ausgegangen werden kann, wenn die Erwerbstätigkeit beendet wurde (zB das Dienstverhältnis aufgelöst oder das Gewerbe abgemeldet wurde). Der Verzicht der Klägerin auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft ist einer Abmeldung des Gewerbes gleichzuhalten.

 

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen für die Gewährung eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes nach § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 KBGG, steht somit im Einklang mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, den zitierten Materialien und der Rsp des OGH in vergleichbaren Fällen (10 ObS 170/11i; 10 ObS 110/12t).

 

Der OGH hat in diesen beiden zuletzt erwähnten Entscheidungen auch bereits zur Frage der Verfassungsgemäßheit der Anspruchsvoraussetzung nach § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 KBGG Stellung genommen. Die Anspruchsvoraussetzung, dass der Elternteil, der das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld beziehen will, in den letzten sechs Monaten vor der Geburt einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sein muss, wurde als sachlich begründet erachtet, weil das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld den Zweck hat, als „teilweiser“ Ersatz für den Entfall des früheren Einkommens jenen Elternteilen, die vor der Geburt über ein relativ hohes Einkommen verfügt haben, die Möglichkeit zu geben, trotz kurzzeitigem Rückzug aus dem Erwerbsleben den bisherigen Lebensstandard zu halten. Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, neben dem pauschalen Kinderbetreuungsgeld auch ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld zu schaffen und dabei die einkommensabhängige Variante an das Vorliegen einer aufrechten Erwerbstätigkeit zu knüpfen.

 

Soweit die Revisionswerberin die Ansicht vertritt, sie würde gegenüber anderen Personen innerhalb der Gruppe der Selbständigen unsachlich benachteiligt, weil eine selbständige Rechtsanwältin mit nach dem GSVG gewährtem Wochengeld in einer vergleichbaren Situation Anspruch auf ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld hätte, ist ihr mit den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung entgegenzuhalten, dass eine solche Benachteiligung nicht vorliegt. Nach GSVG in der Krankenversicherung pflichtversicherten Frauen gebührt nach § 102a GSVG in den Zeiten, in denen Dienstnehmer Wochengeld nach dem ASVG beziehen können, anstelle des Wochengeldes je nach Verfügbarkeit die Sachleistung einer Betriebshilfe. Die Betriebshilfe soll selbständig erwerbstätigen Frauen im Fall der Mutterschaft die Freistellung von betrieblichen Tätigkeiten erleichtern. Ist die Leistung von Betriebshilfe nicht möglich, gebührt den versicherten Frauen ebenfalls ein tägliches Wochengeld, welches aber im Gegensatz zu Unselbständigen nicht dem Entgeltersatz, sondern der Bezahlung einer die Versicherte entlastenden betriebsfremden Kraft dient. Eine nach GSVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte Frau in der Situation der Klägerin hätte daher nach Beendigung der selbständigen Erwerbstätigkeit keinen Anspruch auf Wochengeld und mangels aufrechter Erwerbstätigkeit auch keinen Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld. Die Situation der Klägerin ist daher auch nicht mit der einer Dienstnehmerin vergleichbar, die sich in einem aufrechten Dienstverhältnis befindet, sondern eher mit einer Wochengeldbezieherin, deren Dienstverhältnis bereits zuvor beendet wurde, und die ebenfalls mangels aufrechter Erwerbstätigkeit keinen Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld hat.

 

Zutreffend verweist die beklagte Partei auch darauf, dass entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin aus dem tatsächlichen Bezug von Wochengeld oder einer vergleichbaren Leistung nicht zugleich auch das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit ableitbar ist, da viele nicht erwerbstätige, arbeitslose Frauen ein Wochengeld beziehen können (zB Bezieherinnen von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe usw), diese jedoch später keinen Anspruch auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld haben.

 

Soweit die Revisionswerberin offenbar auch die Ansicht vertritt, bei anderen gewerbetreibenden Frauen sei mit einer Ruhendstellung des Gewerbes vor der Geburt das Erfordernis der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit erfüllt, während für sie diese Möglichkeit nach den Statuten der Rechtsanwaltskammer Wien nicht bestehe, ist ihr mit den Ausführungen der beklagten Partei entgegenzuhalten, dass auch andere selbständige Frauen bei einer Ruhendstellung ihres Gewerbes keinen Anspruch auf sozialversicherungsrechtliche Leistungen wie Betriebshilfe oder Wochengeld haben und der Hinweis in den Gesetzesmaterialien zur Ruhendmeldung des Gewerbes auch nach den eigenen Ausführungen der Revisionswerberin nur die Fälle einer Karenz nach dem MSchG, VKG oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, also die Beurteilung der Erfüllung des Erwerbstätigkeitserfordernisses für ein zweites Kind betrifft, wenn der Elternteil unmittelbar davor wegen des ersten Kindes in Karenz war. Auch aus diesen Ausführungen der Revisionswerberin lässt sich daher für ihren Rechtsstandpunkt im vorliegenden Verfahren nichts gewinnen.

 

Da die Klägerin somit nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes gem § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 KBGG nicht erfüllt, musste ihre Revision erfolglos bleiben.