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10.06.2013 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, inwieweit auch einmalige Krankenstände von mehr als sechsmonatiger Dauer Invalidität begründen können

Eine „Arbeitsunfähigkeit“ iSd § 120 Abs 1 Z 2 ASVG, also wenn der Versicherte infolge einer Krankheit nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, in der Lage ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit zu verrichten, ist nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen einer Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG


Schlagworte: Pensionsversicherung, Invaliditätspension, Krankenstand, mehr als sechsmonatige Dauer, Krankheit
Gesetze:

§ 254 ASVG, § 255 ASVG, § 120 ASVG

GZ 10 ObS 43/13s [1], 16.04.2013

 

OGH: Nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG setzt der Anspruch auf Invaliditätspension ua voraus, dass „die Invalidität (§ 255) voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern würde“. Die Minderung der Arbeitsfähigkeit muss daher nicht auf unbestimmte Zeit andauern. Voraussetzung ist vielmehr, dass sie voraussichtlich sechs Monate andauert bzw andauern würde. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen damit Leistungen aus der Pensionsversicherung nur dann eingreifen, wenn eine bestimmte Mindestdauer eines (allenfalls „einmaligen“) Leidenszustands erreicht wird; unterhalb dieser Schwelle sind typischerweise Leistungen aus der Krankenversicherung zu erbringen.

 

Eine Invalidität der Versicherten nach der für die Klägerin maßgebenden Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG liegt vor, wenn die Versicherte infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

 

In der Entscheidung 10 ObS 21/11b war der Fall eines damals 23-jährigen Klägers, der nach seiner Entlassung aus der Strafhaft eine insgesamt sechsmonatige stationäre Psychotherapie für Suchtkranke absolviert hatte, zu beurteilen. Der erkennende Senat verneinte damals einen Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension gem § 255 Abs 3 ASVG im Wesentlichen mit der Begründung, der damalige Kläger wäre auch während des stationären Aufenthalts in der Lage gewesen, die näher angeführten Verweisungsberufe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten und damit auch die gesetzliche Lohnhälfte iSd § 255 Abs 3 ASVG zu erzielen. Der erkennende Senat verwies in dieser Entscheidung auch darauf, dass eine „Arbeitsunfähigkeit“ iSd § 120 Abs 1 Z 2 ASVG, also wenn der Versicherte infolge einer Krankheit nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, in der Lage ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit zu verrichten, nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen einer Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG ist.

 

In diesem Sinne ist das Verfahren nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts ergänzungsbedürftig. Es wird daher vom Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren näher festzustellen sein, ob unter der bisher festgestellten „Arbeitsunfähigkeit“ der Klägerin während der Therapiedauer (nur) eine „Arbeitsunfähigkeit“ der Klägerin iSd § 120 Abs 1 Z 2 ASVG („Krankenstand“) oder (auch) eine darüber hinausgehende Invalidität der Klägerin iSd § 255 Abs 3 ASVG zu verstehen ist, bei der die Klägerin auch nicht mehr in der Lage wäre, zumindest halbtägig leichte Arbeiten zu verrichten und damit die gesetzliche Lohnhälfte iSd § 255 Abs 3 ASVG zu erzielen. Sollte bei der Klägerin während der unbestritten medizinisch indizierten einjährigen Hepatitis C-Therapie eine Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG vorliegen, wird ihr für die Dauer dieser Therapie eine zeitlich befristete Invaliditätspension zuzuerkennen sein.

 

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass nach der Rsp des OGH ein Versicherter vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, wenn in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer Krankenbehandlung leidensbedingte Krankenstände in einer Dauer von sieben Wochen und darüber im Jahr zu erwarten sind. Es wird auch von der Klägerin zu Recht nicht in Zweifel gezogen, dass entsprechend der stRsp Zeiten von „einmaligen“, wenn auch länger dauernden Krankenständen, im Regelfall nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einbezogen werden.