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01.07.2013 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob die schuldhafte Versäumung der Frist zur Verlängerung einer Niederlassungsbewilligung durch den ausländischen Unterhaltspflichtigen zu dessen Anspannung führt

Mit einer Anspannung ist dann nicht (mehr) vorzugehen, wenn der Unterhaltspflichtige auch bei Einsatz aller seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz zu erlangen; da der Vater nach den Feststellungen der Vorinstanzen ab 5. 8. 2009 einkommenslos und infolge fehlenden Aufenthaltstitels auch nicht vermittelbar war, entspricht die Verneinung des Vorliegens der Anspannungsvoraussetzungen durch die Vorinstanzen der Rechtslage; beim Anspannungsgrundsatz handelt es sich um eine Art Missbrauchsvorbehalt, die Anspannung setzt immer Verschulden voraus; dabei führt aber etwa auch ein selbst verschuldeter Arbeitsplatzverlust regelmäßig nur dann zu einer Anspannung auf das bislang erzielte Einkommen, wenn dem Unterhaltspflichtigen Schädigungsabsicht zu Lasten seiner Unterhaltsberechtigten vorwerfbar ist (Unterhaltsschädigungsabsicht des Vaters bei Versäumung der Verlängerungsfrist betreffend die Niederlassungsbewilligung nahmen die Vorinstanzen ausdrücklich nicht an)


Schlagworte: Familienrecht, Fremdenrecht, Unterhalt, Anspannung, schuldhafte Versäumung der Frist zur Verlängerung einer Niederlassungsbewilligung
Gesetze:

§ 140 ABGB aF, § 231 ABGB nF

GZ 6 Ob 80/13b [1], 08.05.2013

 

OGH: Es entspricht stRsp des OGH, dass der Unterhaltspflichtige alle Kräfte anzuspannen hat, um seiner Verpflichtung zur angemessenen Unterhaltsleistung nachkommen zu können; er muss alle seine persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einsetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit erzielen könnte. Mit einer Anspannung ist allerdings dann nicht (mehr) vorzugehen, wenn der Unterhaltspflichtige auch bei Einsatz aller seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz zu erlangen.

 

Ob die Voraussetzungen für eine Anspannung im konkreten Fall gegeben sind oder nicht, richtet sich nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls.

 

Nach hA kann von einem ausländischen, in Österreich lebenden Unterhaltspflichtigen verlangt werden, dass er in Österreich erforderliche Anträge auf Erteilung einer Niederlassungs- und Arbeitsbewilligung stellt und diese Verfahren gehörig betreibt, um einer erlaubten Beschäftigung nachgehen zu können; dazu gehört auch, dass er sich um eine fristgerechte Verlängerung einer ablaufenden Bewilligung kümmert. Sind dem Unterhaltspflichtigen allerdings die Erlangung bzw der Erhalt einer Bewilligung nicht möglich, scheidet eine Anspannung auf ein Einkommen aus illegaler Beschäftigung (Schwarzarbeit) aus; eine derartige Anspannung wäre mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen.

 

Da der Vater nach den Feststellungen der Vorinstanzen ab 5. 8. 2009 einkommenslos und infolge fehlenden Aufenthaltstitels auch nicht vermittelbar war, entspricht die Verneinung des Vorliegens der Anspannungsvoraussetzungen durch die Vorinstanzen der Rechtslage. Dass der Vater zur Wiedererlangung eines Aufenthaltstitels nicht vor dem 1. 1. 2012 freiwillig aus Österreich ausgereist ist, um nach Ablauf von drei Monaten wieder zurückzukehren und dann seine Lebensgefährtin zu ehelichen, ist ihm nicht vorzuwerfen: Der OGH hat bereits klargestellt, dass ein Unterhaltspflichtiger seine persönliche Lebensgestaltung (konkret: Unterlassen einer Lebensgemeinschaft) nicht danach ausrichten muss, öffentlich-rechtliche Leistungen zu beziehen; ein ausländischer Unterhaltspflichtiger kann daher im Rahmen der Anspannungstheorie auch nicht verhalten werden, eine Österreicherin zu ehelichen, um in Österreich arbeiten zu dürfen.

 

Der OGH hat zwar - iZm der Einstellung von Unterhaltsvorschüssen - bisweilen die Auffassung vertreten, es sei mit einer Anspannung auf (tatsächlich nicht zustehendes) Wochengeld einer geldunterhaltspflichtigen Mutter vorzugehen, wenn diese es unterlassen gehabt habe, vor der Geburt ihres (weiteren) Kindes einer zumutbaren Beschäftigung nachzugehen, und dies nunmehr eine Entgeltfortzahlung für die Dauer des Beschäftigungsverbots nach dem MSchG hindere. Diesen Grundgedanken will der Revisionsrekurs offensichtlich auf die gegenständlich gegebene Situation übertragen.

 

Die Rsp stieß allerdings zum einen in der Literatur auf Ablehnung, habe sie doch lediglich „punitiven“ Charakter; der Geldunterhaltspflichtige könne ja tatsächlich auch bei sorgfaltsgemäßer Anstrengung aller Kräfte diese Leistungen nicht mehr erreichen. Zum anderen entspricht es stRsp, dass die Anspannung nicht zu einer bloßen Fiktion führen darf; vielmehr muss sie immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige konkret zu erzielen in der Lage wäre. Folgerichtig wurde - insbesondere auch im hier interessierenden Zusammenhang - mehrfach entschieden, es gehe nicht an, im Rahmen der Anspannung „ganze Fiktionsketten zu bilden, weil dies an der Realität letztlich vorbeigeht“. Auch vor dem Hintergrund dieser Rsp begegnen die Entscheidungen der Vorinstanzen keinen Bedenken.

 

Nach stRsp des OGH muss sich ein Unterhaltspflichtiger, der es aus in seiner Sphäre liegenden Gründen unterlässt, einen Antrag (etwa) auf Gewährung einer öffentlich-rechtlichen Leistung zu stellen, dieses ihm mögliche Einkommen iSd Anspannungstheorie für die Unterhaltsleistung anrechnen lassen, sofern dieser Antrag auch tatsächlich Erfolg gehabt hätte bzw haben würde. Ist dies nicht (mehr) der Fall, ist nach der Ursache für die unterlassene Antragstellung zu fragen: Beim Anspannungsgrundsatz handelt es sich nämlich um eine Art Missbrauchsvorbehalt, die Anspannung setzt immer Verschulden voraus. Dabei führt aber etwa auch ein selbst verschuldeter Arbeitsplatzverlust regelmäßig nur dann zu einer Anspannung auf das bislang erzielte Einkommen, wenn dem Unterhaltspflichtigen Schädigungsabsicht zu Lasten seiner Unterhaltsberechtigten vorwerfbar ist; lediglich im Fall der Aufgabe gehobener Einkommensverhältnisse ohne triftige Gründe nahm die Entscheidung 1 Ob 81/10h eine Anspannung auf eben diese Verhältnisse vor. Diese Grundsätze können auch auf die hier zu beurteilende Situation übertragen werden.

 

Unterhaltsschädigungsabsicht des Vaters bei Versäumung der Verlängerungsfrist betreffend die Niederlassungsbewilligung nahmen die Vorinstanzen ausdrücklich nicht an. Der Vater hat außerdem die maßgebliche Frist lediglich um zwei Tage versäumt, ein bewusstes Vorgehen dabei behauptet der Revisionsrekurs nicht. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist somit die Enthebung des Vaters von seiner Unterhaltsverpflichtung durch die Vorinstanzen vertretbar.