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01.07.2013 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Integritätsabgeltung nach § 213a ASVG und grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften

Grobe Fahrlässigkeit iSd §§ 213a und 334 Abs 1 ASVG ist dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit iSd § 1324 ABGB gleichzusetzen; zu prüfen ist, ob nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz nicht angestellt wurden; der objektiv besonders schwere Sorgfaltsverstoß muss auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen sein


Schlagworte: Unfallversicherung, Integritätsabgeltung, grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften
Gesetze:

§ 213a ASVG, § 334 ASVG, § 1324 ABGB

GZ 10 ObS 51/13t [1], 28.05.2013

 

OGH: Die Entscheidung hängt von der Lösung der Rechtsfrage ab, ob der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde (§ 213a Abs 1 ASVG). Strittig ist nur noch, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt.

 

Nach stRsp ist grobe Fahrlässigkeit iSd §§ 213a und 334 Abs 1 ASVG dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit iSd § 1324 ABGB gleichzusetzen. Grobe Fahrlässigkeit ist immer dann anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar war. Nicht jede Übertretung von Unfallverhütungsvorschriften bedeutet für sich allein aber bereits das Vorliegen grober Fahrlässigkeit. Bei der Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrads ist auch nicht der Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern der Schwere des Sorgfaltsverstoßes und der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besondere Bedeutung zuzumessen. Zu prüfen ist, ob nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz nicht angestellt wurden. Der objektiv besonders schwere Sorgfaltsverstoß muss auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen sein. Bei der Beurteilung des Verschuldensgrads sind jeweils die Umstände des Einzelfalls zu prüfen.

 

Von diesen Grundsätzen der Rsp weichen die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht ab.

 

Nach den Feststellungen war dem Polier bewusst, dass er bei Verwendung des nur 5 cm langen Schlagankers (statt des 18 cm langen Durchsteckankers) die Montageanleitung des Gerüstherstellers nicht befolgt hat. Die Vorinstanzen erachteten diesen objektiv groben Sorgfaltsverstoß auch als subjektiv schwer vorwerfbar. Dem steht nicht entgegen, dass der Polier - wie die Revisionswerberin vorbringt - aufgrund seiner Ausbildung und Kenntnisse subjektiv gar nicht in der Lage gewesen wäre, die Folgen seines Handelns abzuschätzen, was insbesondere daraus deutlich werde, dass er die Konsolenbühne bis zum Unfall auch selbst benützt habe. Dabei übersieht die Revisionswerberin, dass die Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten die hier erkennbare, anzunehmende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei einem Verstoß gegen die Montageanleitung nicht beseitigt. Es geht um die Abgrenzung des Verschuldens, bei dessen Beurteilung kein subjektiver, sondern ein objektiver, nach Betriebshierarchie typisierender Maßstab anzulegen ist. Die Ansicht der Vorinstanzen, der Polier habe bei objektiver Betrachtungsweise als Adressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften bei der fehlerhaften Montage der Konsolenbühne ganz einfache und naheliegende Überlegungen und Handlungen in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz unterlassen, stellt jedenfalls keine Fehlbeurteilung dar, die ein korrigierendes Einschreiten des OGH erforderlich macht.

 

Die von der beklagten Partei zitierte Entscheidung 8 ObA 8/08x betraf einen anders gelagerten Sachverhalt. Der Beklagte war kein „professioneller Gerüsterrichter“ im Rahmen eines Vertragsverhältnisses, sondern baute ein Gerüst, um selbst an seiner eigenen Garage unter Mitwirkung seines Sohnes sowie im Rahmen der Nachbarschaftshilfe tätiger Personen den Außenputz aufzubringen. Wenngleich das Gerüst nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach, wurde die Wertung des Berufungsgerichts, es liege keine grobe Fahrlässigkeit vor, im Hinblick darauf nicht als Fehlbeurteilung erachtet, dass es sich um ein für Verputzarbeiten übliches Gerüst handelte, das im Rahmen der Nachbarschaftshilfe verwendet wird und an den Beklagten nicht derselbe strenge Maßstab anzulegen sei, wie an einen professionellen, erwerbsmäßig Tätigen. Diese Aussagen sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.