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22.07.2013 Zivilrecht

OGH: Arzthaftung – vorzeitige Beendigung des Behandlungsvertrages und Mitwirkungsrecht des Patienten (hier: Versäumen der Operationsvorbereitung wegen Verlassens des Krankhauses für mehrere Stunden)

Dass die Beklagte nicht bereit war, die Operation der Klägerin ohne vorhergehende Visite, ohne ausführliche Aufklärung und ohne erforderliche Anzeichnung des Operationsbereichs vorzunehmen, kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden; in diesem Zusammenhang genügt der Hinweis, dass der mit dem Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die Pflicht umfasst, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, Krankenhaus, Behandlungsvertrag, vorzeitige Beendigung, Mitwirkungsrecht des Patienten, Verlassen des Krankhauses für mehrere Stunden, Versäumen der Operationsvorbereitung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 9 Ob 39/12v [1], 24.04.2013

 

Nach den Feststellungen wurde die Klägerin, begleitet von einem ersten Aufklärungsgespräch, in das Krankenhaus der Beklagten stationär aufgenommen, um am nächsten Tag operiert zu werden. Diese Operation konnte allerdings am nächsten Tag nicht vorgenommen werden, weil die Klägerin das Krankenhaus nach der stationären Aufnahme wieder für etwa fünf Stunden verlassen hatte und deshalb nicht bei der Visite, der für eine Stunde vorgesehenen fachärztlichen Aufklärung, der für etwa 20 Minuten veranschlagten Anzeichnung durch den Operateur und der bis 16:00 Uhr vorzunehmenden Festlegung des Operationsplanes für den nächsten Tag anwesend war. Der für die Klägerin vorgesehene Operationstermin, der etwa 2 ½ bis 3 Stunden beansprucht hätte, wurde deshalb an einen anderen Patienten vergeben. Die Klägerin kehrte am Aufnahmetag erst gegen 17:00 Uhr in das Krankenhaus zurück. Sie ließ die Operation in der Folge in einem anderen Krankenhaus vornehmen.

 

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadenersatz iHv 6.050 EUR sA wegen Nichtdurchführung der Operation. In der Zeit, in der sie auf den neuen Operationstermin habe warten müssen, habe sie zusätzliche Schmerzen erlitten (Schmerzengeld 5.000 EUR) und Haushaltshilfekosten (1.000 EUR) sowie pauschale Unkosten gehabt (50 EUR).

 

OGH: Die Klägerin vertrat in erster Instanz den Standpunkt, dass sie sich erst nach der Vornahme sämtlicher Untersuchungen und Aufklärungen aus dem Krankenhaus entfernt habe. Die zwischen den Parteien strittige Frage, ob die Klägerin tatsächlich einer Krankenschwester vom Verlassen des Krankenhauses zur Vornahme von Besorgungen Mitteilung gemacht habe, kann auf sich beruhen. Keinesfalls steht nämlich fest - wie von der Klägerin zugrundegelegt -, dass in Bezug auf die Operationsvorbereitung ohnehin nichts mehr zu tun gewesen sei und die Operation am nächsten Tag „problemlos“ hätte durchgeführt werden können. Die Klägerin behauptete nicht, dass sie beim „Abmelden“ aus dem Krankenhaus habe erkennen lassen, dass sie vorhabe, für fünf Stunden fernzubleiben, sodass sie die vor der Operation noch ausständige Visite die ausführliche Aufklärung und das Anzeichnen des Operationsbereichs versäumen könne. Die Klägerin berief sich auch nicht darauf, dass dem Krankenhauspersonal auffallen musste, dass sie den Zweck und die Gegebenheiten eines stationären Krankenhausaufenthalts nicht verstanden habe.

 

Ob man nun in Bezug auf die Operationsvorbereitung von einer Mitwirkungsverpflichtung oder einer bloßen Mitwirkungsobliegenheit des Patienten ausgeht, ist im vorliegenden Fall nicht relevant. Entscheidend ist, dass die Klägerin bei der unabdingbaren Vorbereitung der Operation nicht anwesend und für das Krankenhauspersonal trotz intensiver Versuche nicht erreichbar war, sodass die für den nächsten Tag geplante mehrstündige Operation nicht vorbereitet und daher auch nicht durchgeführt werden konnte. Dass die Beklagte nicht bereit war, die Operation der Klägerin ohne vorhergehende Visite, ohne ausführliche Aufklärung und ohne erforderliche Anzeichnung des Operationsbereichs vorzunehmen, kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden. In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis, dass der mit dem Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die Pflicht umfasst, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Beklagten auch nicht die Abwesenheit der Klägerin von der Vorbereitung der Operation angelastet werden könne, ist nach der Lage des Falls vertretbar. Die Klägerin machte in erster Instanz gar nicht geltend, dass sie im Zuge der von ihr behaupteten „Abmeldung“ habe erkennen lassen, dass sie vorhabe, für mehrere Stunden abwesend zu sein, woraus sich ein Versäumen der Operationsvorbereitung ergeben könne.

 

Der Behandlungsvertrag zwischen Patienten und Krankenhaus ist ein gemischter Vertrag sui generis, der auch Elemente eines Werkvertrags enthalten kann. Vor dem Hintergrund, dass die Operation der Klägerin ohne gehörige Vorbereitung nicht wie geplant durchgeführt werden konnte, erübrigen sich weitere rechtliche Überlegungen, ob der Behandlungsvertrag nach dem Scheitern des geplanten Operationstermins hinfällig war oder ob es eines Rücktritts einer Partei unter Nachfristsetzung bedurft hätte oder ob bei aufrechtem Behandlungsvertrag von den Parteien nur ein neuer Operationstermin zu vereinbaren gewesen wäre. Für das (mangelnde) Bestehen der auf die Verzögerung der Operation gestützten Klageforderung ist nur relevant, dass nach den Feststellungen die Operation der Klägerin an einem neuen Termin im Krankenhaus der Beklagten aus terminlichen Gründen nicht vor der von der Klägerin in einem anderen Krankenhaus vorgenommenen Operation hätte durchgeführt werden können. Da die ursprünglich geplante Operation infolge Abwesenheit der Klägerin von der Operationsvorbereitung nicht durchführbar war, ohne dass dies der Beklagten nach der Lage des Falls angelastet werden kann, können der Beklagten auch nicht die aus der Verschiebung der Operation resultierenden Schmerzen und finanziellen Aufwendungen der Klägerin als ersatzfähiger Schaden zugerechnet werden.